Ende August 2021 waren an der holländischen Wattenmeer-Küste in nur zehn Tagen über 190 tote Schweinswale (Phocoena phocoena) angespült worden. Das schreckte die für das Management der Schweinswalbestände zuständigen WissenschaftlerInnen und Behörden auf – normalerweise stranden dort im gesamten Jahr nur ungefähr 600 Kleinwale. Woher kam der plötzliche Anstieg?
(s. auch Meertext: Nordsee: Woran sterben die holländischen Schweinswale?)
WissenschaftlerInnen der Universitäten Utrecht und Wageningen hatten einige tote Wale eingesammelt und untersucht, jetzt sind die Ergebnisse da (Pressemitteilung der Universität Utrecht).
Die Autopsien ergaben eine auffallend hohe Belastung mit dem Bakterium Erysipelothrix rhusiopathiae, ein Bakterium das bei Walen unter anderem Blutvergiftungen verursachen kann.
Das Team um die Biologin und Schweinswal-Expertin Lonneke IJsseldijk hat insgesamt wurden 22 Tiere untersucht, davon waren 16 ausgewachsene Weibchen. Alle Schweinswale waren in einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung. Aufgrund des Verwesungsgrads der Kadaver und der Strömungen vor den Stränden hatten die Wissenschaftler bereits im August geschätzt, dass die meisten Tiere an der gleichen Todesursache in der offenen Nordsee verstorben waren.
Plötzlicher Tod mit leerem Magen
Alle Wale waren gut genährt, sie hatten eine dicke Fettschicht, relativ wenige Parasiten und viele der erwachsenen Weibchen waren trächtig. Ebenfalls auffallend waren die trotz des guten Ernährungszustands leeren oder fast leeren Mägen.
Das ist ungewöhnlich, denn aufgrund ihres hohen Stoffwechsels, der für Meeressäuger ja typisch ist, müssen die kleinen Schweinswale regelmäßig fressen.
Das, so IJsseldijk, sprich für einen plötzlichen Tod.
In diesem Fall haben die gestrandeten Tiere offenbar die letzten Tage vor ihrem Tod gehungert, was auf eine schwere und akute Erkrankung hindeutet.
Bei über drei Viertel der untersuchten Schweinswale wurde der gleiche Bakterienstamm gefunden Erysipelothrix rhusiopathiae. Diese Bakterien sind bei vielen Tierarten verbreitet, wie etwa bei Schweinen und Truthähnen und können vor und können Infektionen verursachen.
Erysipelothrix rhusiopathiae kann auch in bei Reptilien, Fischen und Menschen vorkommen.
Bei den Schweinswalen hatten diese Bakterien verschiedene Organe befallen, was auf eine Blutvergiftung hindeutet. Die Schweinswale können diese Bakterien etwa über infiziertes Wasser oder infizierten Fisch aufgenommen haben oder auf andere Weise.
Ob und inwieweit dieses Bakterium für den Tod so vieler kleiner Wale verantwortlich ist, bleibt unklar. In der Literatur gibt es bis jetzt keine Beschreibung eines Wal-Massensterbens aufgrund einer Erysipelothrix rhusiopathiae-Infektion, es sind nur einige individuelle Fälle beschrieben worden.
„Wir wissen also noch nicht, ob dieses Bakterium normalerweise in Schweinswalen vorkommt. Aber der Fakt, dass es uns bisher noch nie in einer Autopsie aufgefallen ist, ist schon sehr bemerkenswert.“ meint Lonneke IJsseldijk. „Alles in allem können wir nach den Autopsien verschiedene Todesursachen ausschließen: Unterwasser-Explosionen, Offshore-Windfarmen, Klimakrise und Fischerei haben dieses Walsterben nicht verursacht.“
Die Untersuchung auf Viren ist noch nicht abgeschlossen, die Forscher der Erasmus-Universität sind noch dabei.
Außerdem wurde geringe Mengen von Saxitoxin (STX) gefunden. Saxitoxin ist ein hochwirksames Biotoxin, das u. a. von Rotalgen produziert wird. Es greift das Nervensystem von Walen an, die durch eine solche Giftalgenblüte hindurchschwimmen.
Solche „Red Tides“ sind u. a. in von den amerikanischen Atlantik- und Pazifik-Küsten bekannt, sie treten vor allem bei höheren Wassertemperaturen wie etwa in El Nino-Jahren auf. So verursachten sie Massensterben (Unusual Mortality Events – Ungewöhnliches Massensterben) an Delphinen, Buckel-, Finn- und Seiwalen und sind sogar fossil belegt, durch den Walfriedhof Cerro Ballena. Da Red Tides vor allem in Meeresarealen mit hoher Oberflächentemperatur auftreten, werden sie im Zuge der Klimakrise häufiger und ausgedehnter.
Inwieweit Saxitoxin am Tod dieser Nordsee-Schweinswale beteiligt war, lässt sich aber nicht sagen.
Quelle:
Pressemitteilung der Universität Utrecht vom 29.11.2021 und persönlicher Mail-Verkehr.
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