In 535 bis 420 Metern Tiefe liegen dort auf 240 Quadratkilometern (zum Vergleich wird gerade überall die Insel Malta genannt) schätzungsweise 60 Millionen Nester. Durchschnittlich 1700 Eier werden von einem Fischvater bewacht. Die Nester waren zu 79 Prozent aktiv, in leeren Nestern lagen teilweise verstorbene Fische.
Diese Entdeckung war ein Zufallsbefund: RV Polarstern brach sich ihren Weg durch das Filchner-Schelf und Autun Purser ließ bei der Gelegenheit den Videoschlitten mitschleppen, zur Routine-Analyse. Auf einmal tauchten auf den Überwachungsbildschirmen Dutzende der Nester von Jonahs Eisfisch (Neopagetopsis ionah) auf.
„Nach der spektakulären Entdeckung der vielen Fischnester haben wir uns an Bord eine Strategie überlegt, um herauszufinden, wie groß das Brutgebiet ist – es war buchstäblich kein Ende in Sicht“, sagt Purser. Jedes Forschungsschiff hat einen Arbeitsplan, der eingehalten werden muss, schließlich möchte jede Arbeitsgruppe ihre angemeldeten Projekte durchführen. Glücklicherweise sind die Nester um die 75 Zentimeter groß sind und auf dem sandig-kiesigen Meeresboden auffallende Strukturen. „So konnten wir die Höhe über dem Boden auf etwa drei Meter und die Schleppgeschwindigkeit auf bis zu 5,5 Kilometer pro Stunde erhöhen und damit das untersuchte Gebiet vervielfachen. Wir haben eine Fläche von 45.600 Quadratmetern abgedeckt und auf den Foto- und Videoaufnahmen unglaubliche 16.160 Fischnester gezählt.“ Und 12.000 erwachsene Neopagetopsis ionah-Exemplare bei der Bewachung ihrer Brut. Die Video-Daten ließen sich dann mit den Sonardaten ergänzen: Das Side Scan Sonar konnte die auffallenden Strukturen für mehrere Hundert Meter rechts und links ihrer Route erfassen.
Der Tiefsee-Biologe Dr. Autun Purser ist beim AWI verantwortlich für den Betrieb Kamerasysteme zum Tiefsee-Monitoring und die Bildauswertung. Damit erforscht und dokumentiert er das Vorkommen und die räumliche Verteilung von Tiefseebewohnern in Relation zu den ökologischen Parametern. Dadurch verbringt er jedes Jahr mehrere Monate auf See.
An Bord des eisbrechenden Forschungsschiffes RV Polarstern war seine Aufgabe, den OFOBS-Videoschlitten (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) hinter dem Schiff zu halten, um dort den Meeresboden abzubilden. Das OFOS ist ein geschleppter Schlitten mit montierter Kamera und bathymetrischen Sensoren (Wassertiefe, Salinität, Temperatur) in einem speziellen Rahmen, der in diesem Fall auch noch ein Side Scan Sonar trug. Die Kamera, erklärt Autun Purser „ist eine normale Canon Kamera. Sie ist bloß in einem 3.5 Millionen Euro-Rahmen montiert.“
Die Kamera blickt vertikal auf den Meeresboden und kartiert so großräumige Muster von Besiedlung durch bodenbewohnende Tiere, aber auch Gegenstände wie Müll. Der Schlitten wird „an einem Stahlseil, in dem ein Lichtwellenleiter für die Daten- und Videoübertragung und eine Kupferleitung für die Energieübertragung untergebracht sind, bis auf ca. 1,5 m über Grund zum Meeresboden herabgelassen und mit 0,5 Knoten geschleppt.“ .
Jonahs Eisfisch hat wie alle Eisfische einen stacheligen Kopf, der an einen Drachen erinnert und wird maximal 56 Zentimeter lang. Eisfische sind durch eine besondere Mutation besonders gut an das eisige Südpolarmeer angepaßt: Ihr Blut und die Kiemen sind fast farblos. Ihnen fehlen die roten Blutkörperchen und damit das Hämoglobin, den Muskeln fehlt das Myoglobin. Stattdessen binden sie den Sauerstoff für die Atmung physikalisch im Blutplasma. Die zusätzliche Hautatmung und ein sehr großes Blutvolumen sowie das extrem sauerstoffreiche Südpolarmeer machen diese Mutation möglich. Ebenfalls eine Kälteanpassung ist ihr eher langsamer Stoffwechsel, sie wachsen langsam und werden spät fortpflanzungsfähig, meist erst zwischen fünf und acht Jahren.
Eisfisch-Nest-Ansammlungen sind schon an anderen Stellen beschrieben worden, aber bisher waren es nur einige Dutzend Nester. So hatte ein italienisches Team um Emilio Riginella gerade Ansammlungen von bis zu 93 Eisfischnestern und ihre Brutfürsorger beschrieben. Ihre Daten stammten aus Photos, außerdem hatten sie mit einem Agassiz-Trawl einige Fische gefangen. Vor allem Weibchen, von denen viele gerade abgelaicht hatten, meist vier oder fünf Jahre alt. Die Nester wurden von jeweils einem einzelnen Männchen bewacht, neben einigen leeren Nestern lagen tote Fische.
Die jetzt entdeckte Massen-Kinderstube hatte niemand erwartet!
Erwachsene Eisfische bauen runde Nester, indem sie mit den Brustflossen Kies und Sand wegschaufeln, Mulden auf sandig-kiesigem Grund mit 75 Zentimetern Durchmesser. In jedem Nest können bis zu 2100 Eier liegen. Das ist für Fische eine sehr niedrige Geburtenrate, unsere einheimische Scholle laicht zwischen 50.000 und 500.000 Eier ab. Allerdings sind die Eier der Eisfische wesentlich größer und werden ja auch noch bewacht. Diese Strategie mit wenigen Nachkommen und viel Brutfürsorge ist gerade in der Antarktis sehr erfolgreich, bei so unterschiedlichen Tiergruppen wie Flohkrebsen und Pinguinen.
Die Wahl des Ortes für diese Brutkolonie dürfte kein Zufall sein: Die über die Nistkolonie gemessenen Temperaturen am Meeresgrund waren bis zu 2 °C wärmer als die Umgebung. Das deutet auf einen räumlichen Zusammenhang mit dem dort aufströmenden warmen Tiefenwasser (mWDW) hin, das das Weddell-Schelf und die Brutkolonie umfließt.
Eine gute Nachricht ist, dass Jonahs Eisfisch nicht kommerziell befischt wird.
Trotzdem wäre es wichtig, an dieser Stelle zügig ein Schutzgebiet (Marine Protected area, MPA) einzurichten, um sicherzustellen, dass diese einmalige und für die antarktischen Ökosysteme wichtige Brutkolonie nicht durch direkte oder indirekte menschliche Einwirkung gestört werden kann.
Etwa für die Robben sind die Eisfische eine extrem wichtige Nahrungsquelle. Die Forscher hatten Weddel Robben (Leptonychotes weddellii) kleine Sender auf den Kopf geklebt und so schon vorab herausgefunden, dass dieses Seegebiet für die Meeressäuger ausgesprochen attraktiv ist. Die Sender fallen spätestens beim nächsten Fellwechsel wieder ab und behindern die großen kräftigen Robben nicht beim Schwimmen, Weddell-Robben müssen mit über 2,5 Meter Größe und 400 Kilogramm Gewicht nur Orcas fürchten, ansonsten sind sie neben Seeleoparden die Top-Prädatoren der Antarktis.
Die Eisfische selbst fressen als Jungtiere Krill und später Krill und kleinere Fische. Diese Nistkolonie aus lebenden und toten Fischen ist eine extrem hohe Konzentration von Biomasse und dürfte einen gewaltigen ökologischen Impact für das gesamte Areal haben.
Quelle: Autun Purser, Laura Hehemann, Lilian Boehringer et al: “A vast icefish breeding colony discovered in the Antarctic”. January 13, 2022, CurrentBiology, DOI:https://doi.org/10.1016/j.cub.2021.12.022
Hier ist ein AWI-Video der Entdeckung: “Weltweit größtes Fischbrutgebiet in der Antarktis entdeckt”
Autun Purser, der geniale Illustrator spekulativer Zukünfte
Autun Purser ist aber nicht nur ein exzellenter Meeresbiologe, der mit seinen Kameras stetig neue aufregende Tiere und Ökosysteme ausspioniert – where no man has gone and observed before – sondern auch ein ausgezeichneter Illustrator.
Seine digitale Kunst veranschaulicht nicht nur seine Reisen in entlegene Ökosysteme, seine Arbeit und die pittoreske Tiefsee-Fauna und Unterwasserlandschaften, sondern er begeistert sich auch für spekulative Zukünfte der Unusual Fiction (Science Fiction, Fantasy, Strange Fiction,…). So illustriert er imaginäre Reisen in zukünftige Zeiten, auch an unirdische Orte.
Für diese Abbildung eines höchst irdischen Johnas Eisfisches hat er uns freundlicherweise die Genehmigung erteilt.
In diesem Kontext habe ich ihn vor einigen Jahren in Dortmund auf der SF-Veranstaltung DortCon getroffen, wo er als Ehrengast eingeladen war.
Seine Kunst finde ich phantastisch, ein kleines Poster hängt seit der DortCon an meiner Wand.
Gern hätte ich ihm noch ein paar Stunden zugehört, er kann nämlich wunderbar erzählen, sowohl über seine Arbeit als auch über seine Freizeitbeschäftigung.
Seine genialen Werke kann man hier anschauen und bestellen.
Kommentare (6)