Schließlich konnte die Schwammexpertin des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und Erstautorin Teresa Morganti gemeinsam mit Anna de Kluijver von der Universität Utrecht und dem Labor von Gesine Mollenhauer am AWI herausfinden, was diese Schwämme fressen: Sie begnügen sich mit den Resten abgestorbenen Wurmkolonien!
An den Kraterrändern der Unterwasser-Berge waren mehrere Generationen von Röhrenwurm-Kolonien aufeinander gewachsen, die übrig gebliebenen Röhrendickichte der abgestorbenen Kolonien sehen fast fellartig aus. Die Würmer sind vor mehreren Tausend Jahren abgestorben, heute sind nur noch ihre Wurmröhren aus Chitin und Proteinen erhalten.
Am Rand der aktiven Vulkane wuchsen einst Kolonien von hitzeresistenten Röhrenwürmern (sie gehören zu den Seep Biota), die sich mit ihren symbiontischen Mikroben von Methan und vulkanischen Ausgasungen ernährten. Diese Würmer sitzen fest an einem Ort, aus ihren Chitin-Röhren guckt oben ein Büschel Kiemen heraus wie ein Federtuff. Das Chitin für die Röhrenbehausung scheiden die Würmer selbst ab, sie verkleben es mit Proteinen zu einer stabilen Hülle. Die Würmer tragen Bakterien im Innern, die die vulkanischen Substanzen verdauen können und dafür ihren Wurm-Wirten Zucker geben. Nach dem Erlöschen der Vulkane verhungerten und starben die Würmer. Ihre weichen Teile wurden gefressen oder verwesten und zum Schluss blieben nur die leeren Chitin-Hüllen erhalten. Sie enthalten kaum Nährstoffe und sind für die meisten Lebewesen unverdaulich – aber im Mikrobiom der Schwämme sind ein paar Mikroorganismen, die diese harte Substanz eben doch verdauen können. Durch die Aufschließung der normalerweise verschmähten harten Teile ermöglichen die kleinen Endosymbionten ihren schwammigen Wirten das Überleben. Zusätzlich nutzen die Schwämme natürlich auch alle organischen Partikel, die von oben herunterrieseln.
Die Schwämme haben sich dann direkt auf diesen Wurmkolonien abgesiedelt, Wurmröhren und Schwammreste wie Nadeln bilden einen regelrechten Filz.
Schwämme gelten als sessil (festsitzend), können sich aber dennoch langsam bewegen. Diese Schwammwanderung hatten Teresa M. Morganti, Autun Purse et al schon im vergangene Jahr beschrieben: Sie hatten auf den OFOBS-Aufnahmen meterlange Spuren entdeckt, an deren Ende ein lebender Schwamm saß. Zunächst dachten sie, dass möglicherweise starke Wasserströmungen die Schwämme vielleicht mitgeschleift hatten. Allerdings gab es dort keine solchen Strömungen. Und dann führten die Spuren auch noch in alle Richtungen und sogar bergauf. Damit war der einzig plausible Schluss, dass die Schwämme sich selbst aktiv bewegt haben mussten. Sie könnten sich vielleicht durch Körperkontraktionen fortbewegen, solche Bewegungen sind bei lebenden Schwämmen schon beobachtet worden. Gerade das „Laufen“ bergauf könnte die Tiere hier in immer neue Areale der Wurmkolonien bringen, in denen noch kein Schwammholobiont „gegrast“ hatte.
Schwämme auf Tour
Außerdem verlagern Schwammkolonien ihren Standort bei der Reproduktion: Bei der sexuellen Vermehrung stoßen sie Larven aus, die mit den Meeresströmungen zu neuen Jagdgründen gelangen können. Auch wenn die meisten Larven nicht überleben, schaffen einige es, einen guten Platz zu finden, sich dort anzusiedeln und zu wachsen. Bei der asexuellen Vermehrung schnüren erwachsene Schwämme Knospen ab, die dann auch etwas verdriftet werden können. Dadurch können Schwammbestände langfristig ihren Standort ändern und besseren Lebensräume erreichen. Schwamm-Individuen können sich aber offenbar auch aktiv ganz langsam bewegen, wie die Spuren auf der verfilzten Matte des Untergrunds belegen.
Der Schwammrasen und seine aus Schwammnadeln und anderen Partikeln gebildete Matte ist ein eigenes Ökosystem, in dem andere Tiere wie kleine Garnelen und Weichkorallen leben können. Einige Seesterne fressen sogar abgestorbene Schwämme.
Auch wenn die Schwämme mit ihrem langsamen und niedrigen Stoffwechsel sehr genügsam sind, sind auch die Reste der Wurmkolonien eine endliche Ressource. Damit ist auch die Lebenszeit des Schwammrasens begrenzt. Solange aber bietet das ungewöhnliche Ökosystem vielen Tieren ein kleines Paradies und einen sehr ungewöhnlichen Lebensraum, wo eigentlich kaum Leben existieren kann.
Der Klimawandel dürfte diese Schwammgärten allerdings bedrohen: Durch das abtauende Meereis wird sich immer mehr Planktonproduktivität in immer höheren Breitengraden abspielen, damit erhöht sich der Nährstoffeintrag signifikant. Damit bietet auch die Zentralarktis dann vielen anderen Arten einen immer besseren Lebensraum. Die Erwärmung des arktischen Ozeans führt also zu einer zunehmenden Biodiversität, die die genügsamen Schwämme irgendwann einfach überwuchern wird.
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