Gerade eben habe ich eine ESA-Pressemitteilung bekommen, zur Neuausrichtung geplanter Programme und Missionen angesichts des Ukraine-Kriegs.
Rußland hat am im Februar die Ukraine überfallen hat und mitten in Europa einen Kriegsschauplatz eröffnet hat, der die gesamte Nachkriegsordnung nach 1945 umgeworfen hat. Neben den militärischen Vorstößen und den Kriegsverbrechen an der ukrainischen Bevölkerung tobt auch eine Propagandaschlacht. Manche ExpertInnen wie die Rußland- und Putin-Kennerin und Präsidentenberaterin Fiona Hill postulieren, dass 2014 mit dem Krim-Überfall der dritte Weltkrieg begonnen habe (Das Interview ist bedrückend, Hills Einschätzung wird von deutschen ExpertInenn geteilt und zeigt eine immer noch erschreckende Naivität vieler westlicher PolitikerInnen). Seitdem hat Putin seinen längst niedergeschriebenen Plan eines “Novorossiya,” – Neues Rußland – sowohl mit Waffengewalt als auch mit Propaganda weiter umgesetzt
Haben zunächst viele westliche Medien, PolitikerInenn und andere Menschen es als Putins Krieg bezeichnet, den die armen russischen Bevölkerung nicht unterstützt, zeichnet sich längst ein anderes Bild ab.
Durch den stringent geplanten Propagandafluß in Rußland und das Ausschalten aller anderen Meinungen und Medien, wird nun auch die Auswirkung auf Wissenschaft und Forschung immer deutlicher.
Die europäische Raumfahrt ist unmittelbar davon betroffen, ESA hat jetzt Konsequenzen gezogen.
Der Roskosmos-Chef Rogosin hatte sich ja schon klar positioniert und in drastischen Worten NASA und ESA gedroht, sich aus der ISS zurückzuziehen und die Raumstation auf die USA oder Europa abstürzen zu lassen. Seitdem bekriegt er sich verbal etwa auf Twitter mit US-amerikanischen Astronauten, die erklären, dass ein Partner allein die ISS gar nicht abstürzen lassen kann. Vor allem Scott Kelly hielt klar gegen Rogosin, bis die NASA ihn um Zurückhaltung bat, da eine solche Eskalation der Partnerschaft nicht förderlich sei: “As Americans, each of us enjoys freedom of speech and you are all empowered to speak your mind,” the email reads. “However, please know that as former NASA astronauts, your words carry additional weight and attacking our Russian partners is damaging to our current mission.””
“Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine hat der Generaldirektor der ESA eine umfassende Überprüfung aller Aktivitäten eingeleitet, die derzeit in Zusammenarbeit mit Russland und der Ukraine durchgeführt werden. Ziel ist es, die möglichen Folgen dieses neuen geopolitischen Kontexts für ESA-Programme und -Aktivitäten zu ermitteln und eine widerstandsfähigere und robustere Weltrauminfrastruktur für Europa zu schaffen. Der ESA-Rat hat am 13. April die folgenden Feststellungen zur Kenntnis genommen und die folgenden Entscheidungen getroffen. Die ESA wird die Zusammenarbeit mit Russland bei Luna-25, -26 und -27 einstellen. Wie bei ExoMars stellen die russische Aggression gegen die Ukraine und die daraus resultierenden verhängten Sanktionen eine grundlegende Änderung der Umstände dar und machen es der ESA unmöglich, die geplante Mondkooperation umzusetzen.”.
Allerdings betrifft das nur die Kooperation mit Roskosmos. Stattdessen wird die ESA die Technologie jetzt an Bord einer von der “NASA geführten CLPS-Mission (Commercial Lunar Payload Services) für das PROSPECT-Mondbohrer- und Volatilitätsanalysepaket (geplant für Luna-27)” durchführen.
Der Test der ESA-Navigationskamera PILOT-D (geplant für Luna-25) wird durch einen kommerziellen Dienstleister durchgeführt.
“Unterdessen wird bereits ein Weg nach vorn für die PILOT-Präzisionslande- und Gefahrenvermeidungstechnologie (geplant für Luna-27) definiert. Diese Fähigkeit wird für europäische Monderkundungsaktivitäten wie den European Large Logistic Lander (EL3) benötigt, der auf CM22 zur Entscheidung vorgeschlagen wird. Darüber hinaus unterzeichneten der ESA-Generaldirektor und der Präsident der japanischen Agentur JAXA letzte Woche eine Vereinbarung, das Exospheric Mass Spectrometer-Instrument EMS-L der ESA an Bord der Mondrover-Mission JAXA/ISRO LUPEX zu fliegen. Dies ergänzt die wachsende Liste europäischer Experimente, die in den nächsten Jahren zum Mond fliegen. Obwohl alle Elemente der ExoMars-Rover-Mission (Trägerrakete, Trägermodul, Abstiegsmodul und Rosalind-Franklin-Rover) inzwischen ihre Flugbereitschaftsprüfungen bestanden haben, wird die Mission nicht im September dieses Jahres gestartet, da die Zusammenarbeit mit Roscosmos auf ExoMars ausgesetzt wurde Jahr. Stattdessen wird jetzt eine beschleunigte Studie unter der Leitung von Thales Alenia Space aus Italien durchgeführt, um Optionen für die weitere Vorgehensweise zu bewerten.” (ESA-Pressemitteilung vom 13. April 2022).
Das mit Roskosmos geplante ESA Mars-Projekt ExoMars war bereits am 17. März 2022 ausgesetzt worden:
“Nach der Entscheidung von Roscosmos, sein Personal vom europäischen Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana abzuziehen, wurden alle für den Start von Sojus geplanten Missionen ausgesetzt. Diese betreffen im Wesentlichen vier institutionelle Missionen, für die die ESA die Startdienstbeschaffungsstelle ist (Galileo M10, Galileo M11, Euclid und EarthCare) und einen weiteren institutionellen Start. Folglich hat der ESA-Generaldirektor eine Bewertung möglicher alternativer Startdienste für diese Missionen eingeleitet, die eine Überprüfung der ersten Betriebsflüge der Ariane 6 umfassen wird. Den Mitgliedstaaten wird ein robustes Startmanifest für den Startbedarf der ESA-Missionen vorgelegt, einschließlich für Raumfahrzeuge, die ursprünglich für den Start durch Sojus von Kourou geplant waren.”
Insider gaben zu bedenken, dass das ExoMArs-Projekt bereits jetzt so oft verschoben worden sei (seit 2018), dass es mittlerweile Probleme mit der veralteten Softwäre gäbe. Raumfahrtprojekte haben ja immer Software-Status, der bei der Planung vorlag. ExoMars ist natürlich seit vielen Jahren in der Planung und dementsprechend wird es nun allmählich eng mit dem Softwarestatus.
Gestern habe ich mitbekommen, wie nationalistisch, geschichtsklitternd und unverschämt eine russische Wissenschaftlerin den Namen und die Leistungen des deutschen Naturforschers Georg Wilhelm Steller bei der Erforschung Sibiriens durch den seines russischen Kollegen ersetzte und Steller aus Texten einfach herausstrich. Geschichtsrevision zum Ruhme des großrussischen Reichs, im Sinne von Novorossiya. Da bis zu dem Zeitpunkt eine konstruktive gemeinsame Forschung stand, waren die deutschen Partner wie vor den Kopf geschlagen und bekamen auf ihren höflichen Protest hin eine derartig unverschämte Antwort der russischen Seite, wie ich es in wissenschaftlichen Projekten selten erlebt habe.
Russische WissenschaftlerInnen zerschlagen gerade voller Elan technische, wissenschaftliche und kulturelle Kooperationsprojekte, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaut worden sind. Das zementiert die entsetzlichen Folgen des “heißen Kriegs” auch für die Zivilgesellschaft und wird Rußland und Russen für lange Zeit international ins Abseits stellen. Mir ist bewußt, dass abgesagte wissenschaftliche Projekte nichts im Vergleich zu den tausendfachen Morden, Folterungen, Vergewaltigungen, Plünderungen russischer Soldaten sind. Es ist nur eine weitere Perspektive der verheerenden Auswirkungen unserer modernen, auf internationale Kooperation ausgelegten Zivilgesellschaften. In einer Zeit von Pandemie und Klimakrise, in der nur gemeinsame Anstrengungen uns allen helfen können, entfaltet dieser Krieg eine noch entsetzlichere Zerstörungskraft, als die Kriegsverbrechen und das Leiden der ukrainischen Bevölkerung ohnehin schon sind.
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