Der Gesang beginnt mit einigen markanten Fanfarenstößen, gefolgt von einem langgezogenen modulierten Stöhnen, schließlich steigt die Tonhöhe fragend an, danach herrscht eine kurze Pause. Aufsteigende und absteigende geblubberte Seufzer wechseln mit langen undulierenden Schallwellen, die sich mit den Meereswellen mischen. Dazwischen kurze Stakkatos von Quietschern und hohen Rufen. Ein fast vogelartiges Trillern und Zirpen klettert mehrere Oktaven höher. Die überirdisch anmutende Sphärenmusik ist der Balzgesang männlicher Buckelwale. Jedes Jahr buhlen sie akustisch vor Hawaii, Australien und anderswo um die Aufmerksamkeit der vorbeiziehenden Weibchen.
Ende der 1960-er Jahre analysierten einige Biologen zum ersten Mal diese Walgesänge wissenschaftlich, 1971 veröffentlichten Roger Payne und Scott McVay ihre ersten Forschungsergebnisse: Die Wallaute waren hierarchisch aufgebaut, also klar strukturiert. Die Basiseinheiten des Gesangs sind einzelne, ununterbrochene Tonfolgen von mehreren Sekunden Dauer. Vier bis sechs davon bilden eine Teilstrophe und zwei Teilstrophen eine Strophe. Diese Strophen wiederholt der Wal dann über zwei bis vier Minuten hinweg als Thema. Mehrere Themen ergeben eine Folge von 20 Minuten und werden manchmal stunden- oder tagelang wiederholt.
Nach dem erbarmungslosen Abschlachten der Großwalbestände bis in die 1960-er Jahre war mit der Umweltschutz-Bewegung auch der Walschutz aufgekommen. Hatten Walforscher bis dahin vor allem tote Wale erforscht, beobachtete eine neue Generation von ihnen lebende Wale als emotionale und soziale Wesen, oft von Segelbooten aus. Die stundenlangen melodischen Gesänge der bis zu 15 Metern langen Bartenwale mit dem buckeligen Rücken klangen wie Sphärenmusik aus den Ozeanen. Diese hypnotischen Wal-Stimmen wurden der Soundtrack im Zeitalter des Wassermanns und begeisterten eine breite Öffentlichkeit für die sanfte Seite der Meeresriesen. Seitdem sind Wale Galionsfiguren des Meeresschutzes, Inspiration für einen besseren Umgang mit den Meeren und Projektionsflächen für menschliche Träume und Sehnsüchte. In unserer krisengeprägten Zeit der 2020-er Jahre gibt es sogar WissenschaftlerInnen, die denken, dass Wale für uns Vorbilder sein könnten, wie wichtig die Gruppe und ein gutes Miteinander sind.
Im Laufe der Gesangssaison variieren die Buckelwale ihre Strophen und entwickeln sie weiter.
Aber sind diese Balzgesänge auch tatsächlich eine Sprache im Sinne der Linguistik? Die Forschungsdisziplin der Bioakustik erbringt immer bessere Aufnahmen der Wale, beobachtet das Zusammenspiel von Verhalten und Lautäußerungen über und unter Wasser und analysiert mit immer neuen technischen Gimmicks die Akustik, mit immer komplexeren Computerprogrammen bis zum Einsatz von KI und Machine Learning.
Eine Sprache ist definiert durch eine hierarchische Kommunikationsstruktur und muss Regeln folgen. Seit 2006 ist klar nachgewiesen, dass die Lieder der Buckelwale ihre eigene Syntax haben, die Töne zu Phrasen kombinieren und daraus stundenlange Songs „komponieren“. Damit, so schlussfolgert der japanische Walforscher Ryuji Suzuki, hat die Buckelwal-Kommunikation zumindest teilweise Elemente einer Sprache.
Mittlerweile sind auch andere Lautäußerungen von Buckelwalen bekannt, etwa zur Abgrenzung von Revieren und zur Verabredung bei der gemeinsamen Jagd – dabei treffen sich mehrere Individuen, um Schwärme von kleinen Fischen gemeinsam einzukesseln und zu vertilgen. Manchmal treffen sie sich auch über weite Strecken hinweg zur Verteidigung gegen Orcas, die allein ziehende Walmütter mit Kälbern oder junge Walen angreifen.
Meeressäuger „sehen“ mit den Ohren
Durch ihr Leben im Meer haben Meeressäuger nur eingeschränkt nutzbare Seh- und Geruchssinne. Stattdessen haben Wale im Laufe ihrer 60 Millionen Jahre langen Evolution ihr Gehör als wichtigstes Sinnesorgan in einzigartiger Weise weiterentwickelt, breitet sich doch auf Schall im Wasser viermal schneller aus als in der Luft. Bartenwale produzieren ihre Laute im Kehlkopf, Stimmbänder haben sie nicht. Da Luft- und Speiseröhre bei ihnen strikt getrennt sind, können sie Töne unabhängig vom Ausatmen bilden. Wie das genau abläuft, ist noch nicht abschließend geklärt.
Durch die langen Nasengänge und den Muskeln erreichen sie große Lautstärken, zusätzlich nutzen sie die Schichtung des Wassers als natürlichen „Verstärker“: den sogenannten SOFAR-Channel (Sound Fixing and Ranging Channel). U-Boote nutzen manchmal den gleichen Kanal zur Ortung und Kommunikation.
Zahnwale quetschen mit Muskelkraft Atemluft zwischen Aussackungen der Nasengänge umher und pressen sie durch ventilartige Strukturen. Damit produzieren Delfinartige ein umfangreiches Laut-Repertoire aus Quietschen und Pfiffen für ihre soziale Kommunikation innerhalb der Gruppe. Zahnwale wie Delfinartige und Pottwale haben noch ein zusätzliches akustisches Gimmick entwickelt: Die sogenannte Echolokation. Für diese Echoortung produzieren sie Klicks, kurze klickende Lautpulse, die in Serien abgegeben werden. Pfiffe hingegen sind sehr variabel in ihrer Tonhöhe und Länge und wesentlich ausdrucksstärker.
Der weltweit verbreitete Große Tümmler ist der meistuntersuchte Delfin der Weltmeere, sein umfassendes Lautrepertoire, die langfristigen sozialen Bindungen und vielfältige Interaktionen machen ihn zu einem besonders beliebten Studienobjekt. Dazu kommt noch, dass viele Delfingruppen küstennah in flachen Gewässern leben, und sich dort besonders leicht erforschen lassen. So haben BiologInnen diese Kleinwale mit dem vermeintlichen Dauergrinsen und dem Flipper-Image über Jahrzehnte hinweg studiert und ihr soziales Beziehungsgeflecht auf verschiedenen Ebenen und verfolgt. Wie die meisten Wale haben auch diese kleinen Zahnwale eine Reihe natürlicher Markierungen wie die Form ihrer Rückenflosse oder Narben, so dass sie individuell erkennbar sind. Mittlerweile ist klar, dass Delfine und andere Zahnwale individuelle Unterschriftspfiffe haben – jedes Individuum hat seine spezifische Lautfolge. Sie sind sich also ihrer selbst und ihrer Gruppe bewusst.
Delfine, Aliens und das SETI-Programm
Wale haben eine lange eigenständige Entwicklung in den Ozeanen hinter sich und entwickelten sich vor etwa 60 Millionen Jahren aus einer Gruppe der Urhuftiere. Nach erdgeschichtlichen Maßstäben passten sie sich schnell an diesen neuen aquatischen Lebensraum an, in Anatomie, Hirnstruktur, Bewegung, Verhalten und Kommunikation. Die bodenlose dreidimensionale Meeresumwelt ist ein uns Menschen fremdartig erscheinender Lebensraum, das macht die Intelligenz und das Bewusstsein der Meeressäuger so andersartig als unsere.
Während des Wettlaufs der USA und UdSSR in den Weltraum und zum Mond, dem sogenannten Space Race, wurde die mögliche Kontaktaufnahme mit außerirdischen Intelligenzen ein wichtiges Thema in Wissenschaftskreisen. Bei einer Tagung im Green Bank- Observatory 1961 trafen einige ausgewählte Astrophysiker wie Frank Drake und Carl Sagan auf den Neurowissenschaftler, Psychoanalytiker und selbsternannter Psychonauten John C. Lilly. Die Tagung war zwar nicht geheim, aber auch nicht öffentlich, zu dem Zeitpunkt wären Forscher für ein Projekt mit „kleinen grünen Männchen“ verspottet worden. So hatte das Space Science Board, eine Sektion der National Academy of Sciences, einige Wissenschaftler eingeladen, um fern der Öffentlichkeit Ideen für die Suche nach außerirdischen Intelligenzen zu entwickeln und zu diskutieren. Bei dieser Tagung stellte Frank Drake die später nach ihm benannte Gleichung zur Abschätzung des Vorkommens außerirdischer Intelligenzen und Zivilisationen vor. Außerdem entwickelte er ein Konzept, mit Radioteleskopen ins Weltall zu lauschen, um so Signale anderer Intelligenzen akustisch aufzuspüren. Der Name des Projekts war SETI – Searching for Extraterrestrial Intelligence.
Lilly war von der fremdartigen Intelligenz der Delfine fasziniert und erforschte darum ihre Kommunikation: Er wollte die Sprache der Delfine lernen oder ihnen Englisch beibringen. Ihre Intelligenz und geringe Größe sowie die Fortschritte in der Delfinariumstechnik machten die kleinen Zahnwale zu idealen Trainingspartnern. Die Astrophysiker waren von der Idee, die fremde Delfinintelligenz zum Üben für eine mögliche Kommunikation mit Aliens zu nutzen, begeistert, so kam John Lilly mit seinem Delfin-Projekt ins SETI-Programm der NASA.
Der ambitionierte Lilly baute dafür 1961 das Dolphin House auf der Karibik-Insel St. Thomas. In diesem teilweise gefluteten Gebäude lebten ab 1964 der Delfin Peter und Lilys Assistentin Margaret Howe Lovatt in einer sehr engen Beziehung. Der noch junge Delfin schloß sich eng an Margaret an und kopierte schließlich sogar ihren Tonfall. Dabei blieb er allerdings bei den delfinischen Pfiffen und Rufen, englische Worte konnte er nicht artikulieren. Auch keiner der anderen Delfine lernte Englisch. Da Delfine ihre Laute in den Nasengängen produzieren und nicht über Stimmbänder, wie wir, ist die Produktion menschlicher Laute für sie anatomisch unmöglich, das war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bekannt. Lilly verzweifelte allmählich und griff schließlich zu LSD, um die vermeintlich störrischen Delfinzungen zu lockern. Die Delfine reagierten auf diese Droge nicht, dafür allerdings die NASA: 1966 brach sie die Finanzierung des Projekts ab. Margarets Howes Interview im Hustler über ihre enge, angeblich auch körperliche, Beziehung zu Peter löste einen weiteren Skandal aus. Die Delfine kamen dann in Lillys Labor in Miami in kleine Tanks, wo Peter nach der Trennung von Mary Selbstmord beging, indem er mit Wucht gegen die Aquarienwände schwamm.
Orcas und Tümmler pfeifen Dialekte und Unterschriften
An den Orca-Gruppen der nordamerikanischen Pazifikküste Alaskas und British Columbias haben Forscher wie John Ford oder Ken Balcomb in den 1980-er Jahren herausgefunden, dass diese schwarz-weißen Wale Dialekte pfeifen. Da diese Schwertwale oft dicht vor den Küsten schwimmen, konnten die Biologen an beliebten Orca-Strecken Hydrophonketten ins Wasser stellen und sie regelmäßig belauschen. Zusätzlich haben sie auf der Basis von Fotos die Orca-Individuen identifiziert: Diese Photo-ID erkennt Orcas aufgrund ihrer individuell geformten Rückenflosse. Damit wurde klar: Schwertwale leben in festen Familiengruppen, eine Matriarchin führt ihren Nachwuchs und die Nachkommen ihrer Töchter. Die Familien gehören jeweils zu größeren Gruppen mit jeweils eigenem Dialekt , die sich manchmal zusammenschließen. Sie treffen sich aber nicht mit Gruppen, die andere Dialekte pfeifen. Außerdem haben jeder Orca und jede Gruppe ihre eigene Kennung: Jedes Mal, wenn die Zahnwale an bestimmten Punkten vor der Küste vorbeischwimmen, pfeifen sie ihre individuelle bzw. die Gruppenkennung – ihren Unterschriftspfiff (Signature whistle).
Allmählich kam heraus, dass verschiedene Orca Dialekt-Clans auch ökologisch sehr unterschiedlich waren: Die schon gut bekannten Residents, die ständig dicht vor der Küste residieren, sind Fischfresser und auf Lachse spezialisiert. Die erst später erforschten Transients hingegen sind in kleineren Gruppen unterwegs und ziehen durch die Küstengewässer nur hindurch. Sie kommunizieren wesentlich weniger, verhalten sich anders und jagen Meeressäuger. Durch ihre „Funkstille“ können sie ihre potenzielle Beute wie Delfine, Schweinswale und Robben aus dem Hinterhalt zu überraschen und einzukreisen. Ein dritter Orca-Clan, die Offshore-Orcas, leben weiter draußen im offenen Meer. Walforscher meinen, dass Orcas sich seit der Eiszeit in solche Clans mit unterschiedlichem Dialekt, Verhalten und Ernährung aufgespalten haben und sich allmählich zu jeweils eigenen Unterarten entwickeln. Da sie seit mehreren Tausend Jahren sich nur innerhalb dieser Dialekt-Cans fortpflanzen, unterscheiden sie sich mittlerweile sogar äußerlich ein wenig.
https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/die-sprache-der-wale-102.html
Klönschnack mit Klick: Die Geheimsprache der scheuen Schweinswale
In der Nord- und Ostsee und anderen flachen Meeren der Nordhemisphäre leben die scheuen Schweinswale. Nur 1,60 bis 1,80 Meter klein, meist allein oder in Mutter-Kind-Paaren unterwegs und eher scheu, sind sie viel weniger bekannt als die etwas größeren Delfine. Außerdem pfeifen und quietschen sie nicht, sondern schwimmen leise durch die trüben Schelfmeere. Beobachtungen aus Aquarien haben allerdings gezeigt, dass auch sie sozial sind und erwachsene Weichen enge und lange Beziehungen eingehen können. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie an den europäischen Küsten stark bejagt, heute leiden ihre Bestände stark unter anthropogenen Störungen wie Überfischung, Lärm und Meeresverschmutzung. So erreichen sie in Nord- und Ostsee meist nur ein Alter von 2 bis 3 Jahren und sterben oft vor der Geschlechtsreife. Zogen sie noch um 1950 in großen Gruppen umher, sind die Ostsee-Schweinswale heute vom Aussterben bedroht. Lange hielten Biologen die Kleinwale für stumm, da sie außer den Echolokations-Klicks keine Laute abgeben.
Mit der technischen Weiterentwicklung besserer Hydrophone konnte in den letzten Jahren das Lautrepertoire von Schweinswalen erforscht werden. Aquarien-Exemplare zeigten auf Playbacks von Klick-Folgen mit hoher Wiederholungsrate (high-repetition rate click trains) verschiedene Reaktionen gezeigt, bis hin zu Fluchtverhalten. Ganz offensichtlich dienten diese Klickfolgen nicht nur der Echolaukation, sondern sind auch wichtig für soziale Interaktionen. Später konnte der Zusammenhang zwischen der Akustik und dem Verhalten auch bei Tieren in freier Wildbahn nachgewiesen werden. Die Biologen befestigten sogenannte DTAG- digitalen akustischen und Bewegungssensoren (DTAGs)Sender mit Saugnäpfen auf der glatten Walhaut und bekamen ganz ähnliche Kommunikations-Klicks wie bei den Aquariums-Schweinswale zu hören. Überraschend war die Häufigkeit dieser sozialen Interaktion – offenbar waren die scheinbar einsamen Kleinewale im Meer dauernd mit anderen Artgenossen im akustischen Kontakt.
Trotz der engen Verwandtschaft haben Delfine und Schweinswale offenbar unterschiedliche Entwicklungen in der Akustik eingeschlagen: Das Lautrepertoire der kleinen Schweinswale besteht nur aus Klicks (narrow-band high-frequency (NBHF) clicks).
Der Grund für diese besondere Kommunikation könnten Schwertwale (Orcinus orca) sein!
Das hatte die dänische Biologin Pernille Meyer Sørensen 2018 eine Arbeitshypothese aufgestellt: Die NBHF-Arten produzieren Klicks oberhalb des Hörvermögens von Orcas, um nicht die Aufmerksamkeit dieser marinen Top-Prädatoren zu erwecken. Schließlich stehen Schweinswale (auch) auf deren Speiseplan. Statt also in großen Gruppen Deckung zu suchen, ist ihre Verteidigungsstrategie die scheinbare Funkstille – eine getarnte Akustik.
Die kleinen Wale können Frequenzen zwischen 100 Hertz und 150 Kilohertz wahrnehmen und klicken selbst meist um 130 Kilohertz. Sie sind damit für Menschen normalerweise unhörbar. Ein Glück, denn so starke Schallpulse könnten unser Gehör noch im Abstand von einigen Metern schädigen. Die höheren Frequenzen mit den kurzen Wellenlängen brauchen sie für das Aufspüren sehr kleiner Beutefische, wie etwa Grundeln von nur wenigen Zentimetern Körperlänge. Ein offensichtlicher Vorteil dieser reduzierten akustischen Breite ist, dass sie in einem für große Delfinartige nicht hörbaren Frequenzbereich sind. Die Schweinswale klönen akustisch getarnt!
Bei der Nahrungssuche klicken die Kleinwale 20-mal pro Sekunde Klicks, bei der Annäherung an die Beute steigt die Klickrate zu mehreren 100 Klicks pro Minute an, bis hin zum terminal buzz beim Zuschnappen. Dieses akustische Muster ist übrigens bei fast allen Zahnwalen nahezu identisch (Auch bei Fledermäusen – da kann man es mit einem Bat Detector selbst erleben).
Neu geborene Walkälber müssen übrigens lernen, ihr Biosonar zu nutzen, wie ForscherInnen im dänischen Aquarium in Kerteminde herausgefunden haben. Direkt nach der Geburt klickte der Nachwuchs tieffrequent und auch für Menschen hörbar. Innerhalb einer Stunde produzierte er Klicks höherer Frequenzen, er schien sich den Erwachsenen und ihren Lauten anzupassen. Nach einigen Tagen war sein Biosonar voll funktionsfähig entwickelt, auch wenn er erst nach der Entwöhnung im Alter von 8 Monaten anfing, Fisch zu orten und zu fressen.
Das CETI-Projekt: Moby Dicks Klick-Kultur
Pottwale sind die größten Zahnwale, ihre kastenförmigen Köpfe machen sie einzigartig. Die über 15 Meter großen und über 50 Tonnen schweren Bullen leben meist in kühlen Gewässern und lockeren Gruppen. Zwischen Tauchgängen bis in mehr als 2000 Metern Tiefe kommen sie nur kurz an die Meeresoberfläche, dort liegen ihre walzenförmigen Körper wie Unterseebote zwischen den Wellen. Nur zur Paarungszeit besuchen sie die Familiengruppen der wesentlich kleineren Kühe und ihrer Kälber in wärmeren Gewässern, um die Galapagos-Inseln, die Azoren oder karibischer Inseln.
Auch Pottwale senden nur Klicks. Neben den Echolokations-Klicks, mit der sie auf weite Entfernungen beim senkrechten Abtauchen in die Tiefe ihre Lieblingsbeute, Tintenfische, aufspüren, hörte der Pottwal-Experte Hal Whitehead vor den Galapagos auch immer wieder andere Klickfolgen. An der Oberfläche tauschten die Weibchen lange Klickfolgen aus, wie Unterhaltungen. Wie Morsezeichen waren die einzelnen Klicks durch unterschiedlich lange Pausen getrennt.
Whitehead hatte wie Payne in den 1970-er Jahren begonnen, per Segelboot diesen großen Zahnwalen zu folgen und sie zu beobachten. Seiner Forschung ist es zu verdanken, dass diesen Meeresriesen heute eine eigene Kultur zugestanden wird.
Da jeder Pottwal beim Abtauchen seine Fluke weit aus dem Wasser hebt und jede Fluke ihre eigene Form und Markierungen wie Narben hat, konnten die Pottwalforscher bald die einzelnen Individuen unterscheiden. Dazu fotografierten sie die Fluken für einen Photo-ID-Katalog mit den Familiengruppen und ihren Mitgliedern. Whitehead belauschte und beobachtete die Walfamilien und verstand allmählich ihre sozialen Beziehungen und publizierte in den 1990-er Jahren immer neue Arbeiten zum komplexen Sozialleben der sanften Meeresriesen. Mit Hydrophonen und gleichzeitiger Beobachtung konnte er Laute den einzelnen Walen zuordnen. Mit Hilfe des Computerprogramms MatLab gelang schließlich der Durchbruch: Die Pottwal-Familien nutzten tatsächlich Klicks auch für ihre soziale Kommunikation. In dem riesigen Datenberg aus Jahrzehnten der Walbeobachtung sortierte MatLab die engen Verbindungen in den Familiengruppen heraus und fand schließlich Hinweise auf eine Pottwal-Sprache mit verschiedenen Dialekten. Vor den Galapagos-Inseln lebten offenbar mehrere Pottwal-Clans nebeneinander, die sich nicht miteinander mischen. Jeder Clan hat seine eigene Klick-Folge als Erkennungszeichen. Codas nennen Whitehead und andere Pottwalforscher diese Lautfolgen, die nicht nur von Mutter zu Kalb, sondern auch innehrhalb der Gruppe gelernt und weitergegeben werden. Solch ein Lernen innerhalb einer Gruppe erfüllt den Begriff der Kultur.
Whitehead ist sich sicher, dass die Kälber im Zentrum der Kommunikation und Kultur dieser großen Wale stehen. Schließlich gebären die Mütter nach 18 Monaten ein Kalb, das sie mehrere Jahre intensiv betreuen. Kleine Pottwale müssen das Tauchen erst lernen, sie bleiben also während der Jagd der Mutter an der Oberfläche zurück, in der Obhut ihrer besten Freundin. Um solche Verabredungen zu treffen, das komplexe Gruppenleben zu regeln und die kostbaren Jungtiere zu schützen, so Whitehead, haben die Walmütter diese Kommunikation entwickelt.
Da die komplexe Pottwalsprache nur aus Klicks besteht, kamen Wissenschaftler jetzt auf die Idee, sie mit Maschinensprachen zu vergleichen und durch den Einsatz von KI und Machine Learning zu analysieren: Das Projekt heißt CETI. Bereits jetzt deutet bereits alles darauf hin, dass auch die Pottwal-Klicks ähnlich der Orca-Whistles die Anforderungen an eine Sprache erfüllen:
Solche Programme zur Analyse großer Datenmengen analysieren Akustik und Verhalten zwischen Individuen und machen Beziehungen in Gruppen sichtbar. Mit dem Einsatz von Machine Learning und AI wird jetzt auch eine tiefergehende Analyse der Walsprachen möglich. Vielleicht findet CETI heraus, worüber Pottwale kommunizieren.
Wesentliche Kennzeichen einer Sprache sind Regeln: Die Semantik legt Lautfolgen mit spezifischen Bedeutungen fest, und die Grammatik gibt Regeln zur Satzbildung vor. Zusätzlich muss eine Sprache als kulturelle Leistung innerhalb einer Gruppe erlernt werden und damit über das Lernen des Nachwuchses durch Nachahmung der Mutter hinausgehen. Die Kommunikation der meisten Tiere erfüllt diese Ansprüche nicht. Die der Zahnwale allerdings schon.
Abgesehen von den Dialekten und Unterschriftspfiffen oder Codas ist bis jetzt über die mögliche Wal-Sprachen noch nicht viel bekannt.
Das CETI-Projekt will jetzt zunächst noch viel mehr Daten aufnehmen. Um die Pottwal Codas zu untersuchen, müssten Computerprogramme erst einmal mit Hunderten von Millionen Beispieldaten trainiert werden. Erst dann können Kryptologen und Machine Learning-Experten die Klick-Kommunikation analysieren. Bei der Übersetzung und Verarbeitung menschlicher Sprachen waren einige Methoden des maschinellen Lernens bereits sehr erfolgreich, die sollen jetzt auch bei der Pottwal Kommunikation zum Einsatz kommen. Normalerweise analysieren sie, wie oft ein Wort in einem Satz oder einem Dokument vorkommt und in welcher Wort Umgebung es steht. Die Codas werden also genau wie Datensätze für das Training von Natural Language Processing Systemen behandelt. Nur dass es in diesem Fall zu ersten Mal um eine nicht-menschliche Sprache geht. Darum nimmt das Projekt mit dem Namen CETI auch Bezug auf das SETI-Projekt der NASA.
Die Daten dafür erlauschen die Projektteilnehmer bei den karibischen Pottwal-Familien des Dominica-Sperm whales-Projekts. In den warmen karibischen Gewässern halten sich die Wale das ganze Jahr über auf, seit 16 Jahren betreibt der Pottwal-Experte Shane Gero dort Forschung und Wissenschaftskommunikation durch Whale Watching -der richtige Pottwal-Partner für das Projekt CETI. Gero erklärt, dass Pottwale in multikulturellen Gesellschaften leben und ihre Kulturen durch Akustik und Verhalten definieren. Mit ihren komplexen Codas tauschen sie Informationen über Ihre Identität als Individuum, als Familie und als Clan aus. So ein Pottwal-Clan ist eine große Gruppe aus vielen Familien, die einen Dialekt und eine Kultur teilen. Die Clan Identität ist für sie offenbar sehr wichtig. Gero hat viele tausend Stunden mit seinen Pottwalen verbracht und ist sich sicher, dass die Wal Familien über ihr Wir-Gefühl kommunizieren. Die Gruppe ist schließlich ihr einziger Halt in den dreidimensionalen Weiten und Tiefen des Ozeans.
Ob auf der Basis des CETI Projekts einmal eine echte Kommunikation mit Pottwalen möglich sein wird, ist nicht sicher. Zu anders ist ihre Intelligenz. Die Beschäftigung mit der Pottwal Sprache könnte aber etwas anderes bewegen und die Beziehung von Menschen und Meeressäuger neu definieren. Vielleicht würde das helfen die Menschen zu einem respektvollen Umgang mit den Lehrern und ihren Meeres Geschöpfen zu bewegen. Vielleicht, so meint Gero, könnten die Menschen sich von den Pottwalen das Wir-Gefühl abschauen, es gerade in unserer von Pandemien, Klimakrise von Katastrophen geprägten Zeit wichtig wäre, um diese zu bewältigen.
Immer neue Technologien zur Datenerhebung unter und über der Meeresoberfläche und Weiterentwicklungen im Machine Learning, mit KIs und anderen Computer-Tools könnten neuartige Einblicke in die Kulturen und Sprachen der Wale bringen. Damit könnten wir zu einem anderen Miteinander mit intelligenten Meeresgeschöpfen kommen. Das könnte noch mehr Menschen davon überzeugen, für den Schutz der weltweit bedrohten Wale einzutreten. Und vielleicht könnten wir sogar von der auf das Miteinander ausgerichteten Walkultur etwas für das menschliche Miteinander lernen.
Wal-Kommunikation und -Kultur als Vorbild
Ihre so andersartige und hohe Intelligenz sowie die Kultur machen Wale sowohl für die Science Fiction als auch für die Astrobiologie so interessant. Längst sind die Meeressäuger von Versuchstieren zu Mitgeschöpfen mit eigenen Rechten geworden. Vielleicht werden sie, wenn noch mehr über ihre Kultur und Kommunikation bekannt ist, in der Zukunft sogar Partner der Menschen. Einige SF-Autoren wie David Brin, Anne McCaffrey oder Alan Dean Foster haben solche Szenarien beschrieben. Im Star Trek-Kinofilm „Zurück in die Gegenwart“ sind die Wale sogar wichtig, um die Menschheit zu retten. Die Erforschung der Wal-Kommunikation ist ein Meilenstein in unserem Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen: Endlich gestehen Menschen auch nicht-menschlichen Lebewesen Kulturen und Sprachen zu – ein Meilenstein in unserem Selbstverständnis und unserem Verhältnis zu anderen Arten. Gleichzeitig ist dies ein gutes Training für eine mögliche Begegnung mit außerirdischen Intelligenzen. Auch wenn diese noch wesentlich fremdartiger sein dürften, als Wale, könnte unser Training mit den klickenden, pfeifenden und singenden Meeressäugern uns wertvolle Erfahrungen und vielleicht einige analoge und digitale Werkzeuge an die Hand geben.
FutureFictionMagazin
Dieser Beitrag ist im Juli in der 2. Ausgabe des FutureFiction-Magazine erschienen. Das Magazin ist eine Mischung aus fiktiven Geschichten und Sachtexten, die sich mit der nahen Zukunft beschäftigen.
Ein für mich sehr interessanter Ansatz, den ich ja auch im Solarpunk und der ClimateFiction mag.
Unter den internationalen AutorInnen des FutureFictionMagazins ist mit Andreas Eschbach auch ein Schwergewicht der Phantastik. Ich freue mich schon darauf, den Rest des Magazins zu durchstöbern!
Uwe Post hatte ich im Interview fürdie KlimaBuchmesse durch Maike Braun kennengelernt.
Unser Interview ist hier: youtube.com/watch?v=4JQUdP
Live könnt Ihr uns beim #ElsterCon2022 in Leipzig (September) treffen fksfl.de/page147/index.
Da werde ich noch einmal Kim Stanley Robinson als Ikone der ClimateFiction vorstellen und natürlich auch sein neues Buch, das “Ministerium der Zukunft”. Das ich weniger als einen Roman, sondern eher als ein Paralleluniversum betrachte.
Im ConBuch zur ElsterCon ist ein Text von mir über Wale in der Science Fiction, da gibt es nämlich langjährige Verbindungen.
Kommentare (13)