Kim Stanley Robinson at Worldcon 2005 in Glasgow, August 2005. Picture taken by Szymon Sokół. (Wikipedia)

Auf dem ElsterCon in Leipzig habe ich zu Ehren Kim Stanley Robinsons einen Vortrag zu seinen Romanen zur Klimakrise (Climate Fiction) gehalten. Der in Kalifornien lebende Autor ist in diesem Jahr nämlich 70 geworden und hat für „Das Ministerium der Zukunft“ einen Kurd-Laßwitz-Preis erhalten. Da er selbst nicht mehr reisen mag, kam er nicht persönlich nach Leipzig – so habe ich ihn vorgestellt.

Der 1952 geborene Kim Stanley Robinson – auch oft KSR abgekürzt – studierte Literaturwissenschaft und Anglistik, 1982 promovierte er über Philipp K. Dick. Sein Spezialgebiet sind nahe Zukünfte im Anthropozän. Neben dem Bezug zwischen Ökologie und Ökonomie, Wissenschaft und Gesellschaftspolitik spielen auch Naturerfahrungen eine wichtige Rolle in seinen Erzählungen. Er selbst ist begeisterter Bergsteiger und hat extreme Naturerfahrungen etwa beim Durchwandern der winterlichen Sierra Nevada erlebt. Viele seiner Romane sind Utopien, in denen seine Protagonisten – meist WissenschaftlerInnen – eine postkapitalistische, basisdemokratische und faktenbasierte Gesellschaft fordern und einrichten. Mit der Mars-Trilogie berühmt geworden, ist er heute einer der wichtigsten Erzähler der Klima- und Ökokrise.

The Purpose of Climate Fiction

https://givingcompass.org/article/the-purpose-of-climate-fiction

Hatte mein Vortrag 2020 auf der letzten ElsterCon noch Climate Fiction allgemein vorgestellt, mit einem Exkurs zum Solarpunk und natürlich auch der Erwähnung von KSR, stand er diesmal im Mittelpunkt. Dabei stelle ich die Entwicklung von Klimakrise und Klimaschutz vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen und klimatologischen Entwicklungen an drei wichtigen Büchern des Kultautors vor: „Antarktika“, „New York 2140“ und „Das Ministerium der Zukunft“.

War das Thema Global Warming, also der menschengemachte Temperaturanstieg durch immer weiter zunehmenden CO2-Ausstoß der Industrialisierung, zunächst eher in Fachkreisen und Sendungen für naturwissenschaftlich interessierte Menschen wie etwa Hoimar von Ditfurths TV-Auftritten bekannt, wurde es in den 1980er und -90er Jahren in die breitere Öffentlichkeit kommuniziert. Immer mehr WissenschaftlerInnen und KommunikatorInnen versuchten in verschiedenen medialen Formaten und in politischen Kreisen, die Menschen von der drängenden Notwendigkeit zum Klimaschutz zu überzeugen.

Ebenfalls in den 1980-er Jahren formierte sich unter dem US-Präsidenten George W. Bush eine Gegenfront von Global Warming-Leugnenden: “Klimawandel” nennt Bushs Berater die Klimakrise verharmlosend.
1988 wird der UN Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gegründet, der den Forschungstands zur Klimaänderung als Entscheidungsgrundlage für politische Entscheidungsträger zusammenfassen soll – allerdings soll er keine Handlungsempfehlungen aussprechen.
1989 bildet sich als Gegenspieler zum IPCC die Global Climate Coalition, ein früher Vertreter der Frontgruppe der organisierten Klimaleugnerbewegung. Die Fossil-Lobby und ihre Verbündeten, die den CO2-Ausstoß als Geschäftsgrundlage betreiben, leugnen wissenschaftliche Fakten, streuen falsche Informationen, diskreditieren Klimaforschende, und manipulieren IPCC & UN. Außerdem framen sie Klimaschutz als “Leftie”-Thema, also ein Thema der Linken, Liberalen, Grünen und Kommunisten. Bis heute lehnen Rechtspopulisten, Neoliberale und Konservative daher Klimaschutz ab und verbreiten ein Haßbild von „ungewaschenen Lastenradfahrern“.

In der Science Fiction sind Klimakrisen nichts Neues, Szenarien wie Terraforming, post-nuklearer Winter oder andere Katastrophen sind schon oft und in verschiedenen Facetten in plausiblen Zukünften durchgespielt worden.
Star-Autorinnen wie Margaret Atwood und Ursula K. LeGuin haben dabei neben der Klima- und Ökokrise auch immer die soziale Ungerechtigkeit mit thematisiert, schließlich sind alle drei Problemkomplexe eng miteinander verflochten. Sie und andere AutorInnen meinen, dass alle diese Krisen maßgeblich auf die Mentalität der Gewinnmaximierung zurückzuführen sind. In einer Klimakrise werden dann gesellschaftliche Ungleichheiten noch sichtbarer, gleichzeitig steckt in der Krisenbewältigung aber auch der Schlüssel für eine fairere Welt.

Science Fiction und Climate Fiction können Menschen die an sich zutiefst verstörenden Fakten der Klimakrise besser und anders erzählen und ihnen mögliche und plausible Auswege zeigen. Science Fiction ist zwar fiktiv und hat keinen Anspruch, Lösungen für Probleme zu bieten, sie kann aber durch fiktionale Lösungswege beim Finden von Lösungen helfen. Ursula K. LeGuin bezeichnet die Science Fiction als ein Labor, in dem man verschiedene Szenarien und Lösungen fiktiv ausprobieren kann.

KSR: „Antarktika“ (1997)

Kim Stanley Robinson „Antarktika“ (1997) ist mein absolutes Lieblingsbuch von ihm. Sein Plot beschreibt die Antarktis in der nahen Zukunft am Wendepunkt, gerade stehen die Neuverhandlung des Antarktisvertrags an. Der Antarktisvertrag regelt die friedliche Nutzung und den freien wissenschaftlichen Zugang zum sechsten Kontinent. Antarktika ist ein Ort der Wissenschaft, an sich schon fast eine Utopie. Robinson hat 1995 mit einem Stipendium selbst die Antarktis bereist, was ihn offenbar tief bewegt hat. Er erzählt eindrucksvoll über den vereisten Kontinent und die Wissenschaftler-Community mit ihrem Umweltbewusstsein ihrem Forschungsgeist und ihrer eigenen Kultur, gleichzeitig auch die extreme Hierarchie und Ausbeutung auf diesem wissenschaftlichen Außenposten. In diese eigentlich friedliche Stimmung hinein stören Ökosaboteure die antarktische Ruhe. Der Abgesandte des US-Senats Wade Norton soll sich selbst ein Bild der Lage machen und reist auf den sechsten Kontinent. Robinson bringt reichlich Details zur Glaziologie und Geologie, seine Schilderungen der überwältigenden Eiswüste und der tiefen Ehrfurcht vor der Natur haben mich berührt. Er hat mit Worten das ausgedrückt, wofür ich keine Worte gefunden habe. Bei meiner Seereise in antarktischen Gewässern 1996/97 habe ich diese Bilder in den Kopf bekommen und stand genauso staunend und ehrfürchtig unter dem endlosen Himmel, auf dem unendlichen Ozean und der Eiswüste.

Robinson beschreibt die Wut und Frustration von Wissenschaftlern, die diesen Kontinent schützen vor politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten schützen möchten, aber nicht immer gehört werden. Darum haben einige sich entschieden, Ökosaboteure zu werden und die Antarktis als ihre Heimat zu verteidigen. Die Ökosaboteure nehmen schließlich Kontakt zu Wade Norton auf, werden als Gesprächspartner akzeptiert und können einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen. Damit sind sie die ersten Menschen, die die Antarktis außerhalb von Forschungsprojekten besiedeln und richtig bewohnen dürfen, in einer kleinen auf Nachhaltigkeit basierenden Kolonie. Getriggert durch den Erfolg der Ökoguerilla vollzieht sich auch in der US-amerikanischen Forscher-Community eine soziale Revolution durch die Gründung einer Gewerkschaft. Nachhaltigkeit, Eigenverwaltung, Basisdemokratie, Gewerkschaften und Genossenschaften sind genauso zentrale Elemente von Robinsons Werk wie Geologie und Klima Fakten sowie extreme Landschaften.

2014: Paris-Abkommen und Zwei Grad-Ziel

2014 veranstaltete das Smithsonian Magazine (der berühmten US-amerikanischen Forschungsstiftung) die Tagung “The Future Is Here: Science meets Science Fiction | Imagination, Inspiration and Invention”.
In Panels aus Wissenschaft, Technik, Raumfahrt und Literatur diskutierten AutorInnen, WissenschaftlerInnen und AstronautInnen über eine bessere Kommunikation der Klimakrise. Führende SF-AutorInnen wie KSR, Ursula K. LeGuin, William Gibson und Ted Chiang wollten die WissenschaftlerInnen beim Erklären ihrer komplexen, abstrakten Daten gegenüber einer Öffentlichkeit und Politik unterstützen, die naturwissenschaftliche Fakten und komplizierte Zusammenhänge oft nicht zu erfassen vermag, unterstützen. Schließlich können Erzählungen Brücken bauen zwischen Fakten und dem inhaltlichen und emotionalen Verstehen.

2015 ratifizierten die UN-Mitglieder das sogenannte Paris-Abkommen: Die Erderwärmung sollte zwei Grad Celsius nicht übersteigen. Diese Vorgabe wollten die einzelnen Nationen und Staatenbünde per Gesetzen und Zielvorgaben dann durchsetzen (Nationally Determined Contributions (NDCs); zugesagte nationale Klimaschutzmaßnahmen). 2018 empfahl der IPCC-Sonderbericht dringend, die maximal globale Erwärmung von 1,5 Grad nicht zu überschreiten, da bereits diese geringe Erwärmung Klimakipppunkte aktivieren könnte. Solche Kipppunkte würden das Klima irreversiblen kippen lassen, etwa durch das Abschmelzen der Eisschilde Grönlands und der Westantarktis oder durch die Verlagerung von Meeresströmungen. 2020 wurde klar, dass mit den bis dahin eingereichten NDCs das zwei Grad Ziel nicht einzuhalten wäre – die Umsetzung der in der UN getroffenen Absprache zum Klimaschutz klappt global nicht.

Kommunikations-Probleme zwischen Wissenschaft, Medien, Politik und Öffentlichkeit

Das Hauptproblem dabei sind Kommunikationsprobleme und Missverständnisse. Die Wissenschaft benennt Probleme und entwickelt Lösungen. Ihre Sachfakten basieren auf wissenschaftlichem Konsens. Das bedeutet, dass sehr viele Wissenschaftlerinnen jeweils an einem Problem arbeiten und einige Publikationen dazu schreiben. Jede Publikation ist also bereits ein wissenschaftlicher Konsens einer größeren Arbeitsgruppe mit Expertise zum Thema, die zusätzlich noch von anderen Forschern der gleichen Thematik begutachtet und bewertet wird. In den IPCC-Berichten werden dann sehr viele dieser wissenschaftlichen Publikationen zusammengefasst, so sind letztendlich wahrscheinlich Tausende von Wissenschaftlerinnen daran beteiligt. Ihr Fazit lautet immer wieder: Zur Lösung der Klimakrise müssen die Menschen den CO2-Ausstoß stoppen oder minimieren.

Der wichtigste Gegenspieler der Wissenschaft ist die Fossil Lobby, die keine Problemlösungen will, sondern die das System großer Gewinne bewahren möchte. Kim Stanley Robinson meint, dass große Firmen heute eine Feudalherrschaft führen, die Könige sind heute durch Firmen ersetzt: Große internationale Konzerne mit großer Macht lassen viele Menschen für sich arbeiten, und beuten sowohl Menschen als auch andere lebende und nicht lebende natürliche Ressourcen aus. Sie generieren ihr Vermögen meist durch CO2-Ausstoß. Die Werkzeuge der Fossil Lobby für ihren Machterhalt sind Lügen, Leugnen, Desinformation, Diskredition, Taubenschach, Populismus und ähnliche Manöver.

Diese Informationen und Desinformationen treffen auf Medien, Politik und Öffentlichkeit mit oft mangelhafter naturwissenschaftlicher Bildung und einem Nicht-Verständnis des Unterschieds von Fakt und Meinung. In allen drei Bereichen gibt es unterschiedliche Beweggründe und Agendas. Manche Medien sehen eine Verantwortung zur Kommunikation von Wissenschaft und Politik in die Öffentlichkeit und nehmen die Klimakrise als wichtigstes Thema unserer Zeit sehr ernst – wie etwa The Guardian. Andere wiederum übernehmen eher Narrative der Fossil Lobby und versprechen sich von sogenannten Gegenmeinungen besonders viel Aufmerksamkeit. Rechtspopulistische Medien bekämpfen den Klimaschutz ohnehin, da er ja als „Links“ oder „Grün“ gilt. Viele Medien bemühen sich um eine ausgewogene Berichterstattung, die allerdings oft Meinungen und Fakten als gleichwertig vermischt und dadurch eine False Balance – falsche Ausgewogenheit – entsteht. Etwa, wenn einem IPCC-Bericht, an dem letztendlich Tausende WissenschaftlerInnen gearbeitet haben und der wissenschaftlicher Konsens unter ungefähr 95% der Wissenschaft ist, eine Meinung gegenübergestellt wird. Etwa ein älterer konservativer Politiker, der meint, er würde so lange duschen wie er wolle und in seiner Stammkneipe würde man das ganz anders sehen. Dadurch kommen wichtige Informationen bei den Adressaten nicht mehr als wichtig an. Die Website „Klimafakten“ erklärt diese Desinformations-Methoden sehr gut in einem Poster.

Auch in der Politik herrschen unterschiedliche Beweggründe: Manche PolitikerInnen nehmen ihre Regierungsverantwortung oder ihre Aufgabe als Volksvertreter sehr ernst und bemühen sich, Klimaschutz und Bevölkerungsschutz umzusetzen. Andere möchten nur den Zustand und ihre Pfründe bewahren und vertreten eher Haltungen und Meinungen der Fossil Lobby. Ein großes Problem ist, dass auf einige Jahre gewählte PolitikerInnen natürlich auch immer auf äußere Umstände reagieren müssen, dadurch werden weitsichtige, verantwortungsbewusste Entscheidungen oft schwierig. Ein großes Problem unserer Zeit ist, dass gerade unter äußerem Druck Extremismus und Rechtspopulismus als destruktive Strömungen zunehmend an Einfluss gewinnen. Gerade jetzt in unsere Zeit mit der multiplen Klima-, Ökokrise und sozialen Krise mit Pandemie und dem Ukraine Krieg sind längerfristiges Entscheidungen fast unmöglich geworden.

Auch die Öffentlichkeit hat unterschiedliche Beweggründe und ein sehr unterschiedliches Verständnis von Fakten und Meinungen. Das Spektrum zwischen rational und irrational ist breit, eines der zentralen Probleme ist auch hier die Verwechslung von Fakten und Meinungen. Insgesamt besteht viel zu wenig Verständnis für abstrakte Zahlen und Wahrscheinlichkeitsrechnung, um komplexe Probleme wie die Klimakrise wirklich zu erfassen. Dazu kommt, dass die rechtspopulistische Propaganda bei unzufriedenen Menschen auf einen guten Nährboden fällt. Rechtspopulisten können offen sagen „Für uns ist es gut, wenn es den Menschen schlecht geht“ und werden von destruktiven Personenkreisen trotzdem oder auch deswegen gewählt.

KSR: „New York 2140“ (2018)

Die Forderung nach der Umsetzung des Paris-Abkommens wurde 2018/19 immer lauter. Empört über die Politik, die zu wenig Klimaschutz angeht, hat sich die schwedische Schülerin Greta Thunberg zu ihrem Schulstreik fürs Klima entschlossen. Der fehlende Klimaschutz sei unverantwortlich gegenüber jungen Menschen. Außerdem meint sie, dass die reichen Länder eine Verpflichtung zu mehr Klimaschutz gegenüber ärmeren Ländern haben, da ihr Reichtum auf der Ausbeutung der Biosphäre basiert. Greta Thunberg ist plakativ das Gesicht junger Umweltaktivisten, so kam es 2018 zur Fridays for Future-Bewegung. In der ganzen Welt demonstrieren seitdem nach Gretas Vorbild demonstrieren jetzt weltweit Kinder für Klimagerechtigkeit und den Kampf gegen die Klimakrise. Ihr Schlachtruf: „There is no Planet B“. 2019 schlossen sich ihnen die ScientistsForFuture und immer mehr andere Gruppen von Erwachsenen an.

In diese Stimmung hinein kam Robinsons Werk „New York 2140“, in dem er ein New York beschreibt, in dem Lower Manhattan durch zwei großen Flutwellen 15 hoch unter Wasser steht. Reiche Menschen, so schreibt KSR, nehmen sich neun Zehntel von allem und zwingen die anderen Menschen, um den Rest zu kämpfen. In seiner Utopie eines untergehenden New Yorks geht es um eine Wohncommunity im Metropolitan Life Tower, die einen Börsencrash herbeiführt, damit die Immobilienpreise implodieren lässt und Besitz neu und gerechter verteilt (Mehr dazu hier: #ClimateFiction (Teil 3): Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen – Kim Stanley Robinsons 2140)

2021 und 2022 leben wir bereits in einer Zeit IN der Klimakrise. Während PolitikerInnen immer noch um die Abwendung der Klimakrise diskutieren und sich nicht entscheiden können, endlich wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen, hat sich die Erde bereits erwärmt. 2021 und 2022 sind verheerende Waldbrände, Überschwemmungen und immer stärkere Stürme als extreme Wetter-Events regelmäßiger Bestandteil der täglichen Nachrichten.
Meteorologen und Klimatologen warnen eindringlich vor weiterer Untätigkeit. Eine Graphik macht klar, was für katastrophale Folgen die Erderwärmung von 1,5 oder 2 Grad Celsius haben würde: Bedeuten 1,5 Grad Hitzewellen, Fluten und Hungersnöte, drohen bei 2 Grad bereits tödliche Hitzewellen und Essensknappheit für Hunderte Millionen von Menschen. Bei über 50 Grad Celsius, was in diesem Jahr etwa in Indien gemessen wurde, wird die Feldarbeit für den menschlichen Organismus unmöglich. Bei drei Grad befürchten konservativ rechnende WissenschaftlerInnen bereits Hungersnöte und Hitze-Katastrophen für Milliarden Menschen.
Vor diesem Hintergrund ist es verstörend, wie selbstverständlich Staaten erklären, dass sie das zwei Grad-Ziel des Paris-Abkommens verfehlen werden: Deutschland rechnet derzeit mit 2,2 Grad, die USA mit USA 2,8 Grad und viele asiatische Staaten mit 3,0 Grad.
Zurzeit blenden PolitikerInnen entweder aus, dass wir bereits in der laufenden Klimakatastrophe leben oder sie trauen sich nicht, diese unangenehme Wahrheit zu kommunizieren. Dabei ist hinderlich, dass PolitikerInnen um Grad Celsius diskutieren wollen, um einen vermeintlichen Kompromiss zu schließen, aber nicht begreifen, dass sie mit dem Klima nicht verhandeln können. Das 2 Grad-Ziel von Paris ist ja auch bereits eine Konsens-Entscheidung und wohl nicht ausreichend. Jede weitere Diskussion wird den Schutz unserer Zivilisation weiter aufweichen, mehr unbewohnbare Landstriche riskieren und Menschenleben kosten.

„Das Ministerium der Zukunft“

2021 und 2022 wird die Klimakrise in den Nachrichten unübersehbar: 2021 werden ausgedehnte Brände in Kalifornien zur existenziellen Bedrohung für Siedlungen und vernichten immer mehr Wald. Der in Kalifornien lebende KSR bekommt diese bedrohliche Situation hautnah mit und entschließt sich, einen neuen noch dringlicheren Roman zu schreiben: „Das Ministerium der Zukunft“.

Das Ministerium für die Zukunft - Robinson, Kim StanleyDarin beschreibt er die nahe Zukunft von 2025, mit der Gründung einer neuen UN-Behörde: Dem Ministerium der Zukunft. Seine Aufgabe ist es sich für die zukünftigen Generationen der Welt einzusetzen und alle Lebewesen zu schützen, in der Gegenwart und der Zukunft.
Die Klimaschutzziele werden aber von den Ländern weiterhin nicht nicht umgesetzt, das Ministerium der Zukunft dokumentiert diese voranschreitende Klimazerstörung, kann aber selbst nicht aktiv werden. Als eine extreme Hitzewelle in Indien Millionen Tote fordert, löst Indien sich aus dem internationalen Klima-Konsens und sorgt mit einer groß angelegten Aktion des Versprühens von Aerosolen durch Flugzeuge für die sofortige Abkühlung der Erdatmosphäre. Damit ist Geo-Engineering genau wie Terraforming eines von Kim Stanley Robinsons großen Themen, die in vielen seiner Bücher vorkommen.

Da die politische Landschaft von der fortschreitenden Klimakatastrophe offenbar überfordert und handlungsunfähig ist, bilden sich in verschiedenen Ländern Klima-Guerilla, in Indien sind es die „Children of Kali. Diese Klimaterroristen setzen ihre Klimaschutzziele mit Gewalt durch: Sie bringen Flugzeuge zum Absturz und unterbinden damit Urlaubsflüge. Sie ermorden Klimaverbrecher, wie die Chefs großer CO2-Sünder-Konzerne, so dass niemand mehr diesen Job übernehmen mag. Als nächstes infiziert die Klimaguerilla weltweit Kühe mit BSE, daraufhin fällt der Fleischkonsum rapide ab. Diese Änderungen durch Angst bringen endlich den Klimaschutz voran.
Auch im Zukunftsministerium formiert sich eine geheime Widerstandsgruppe, die neben dem offiziellen Druck auch inoffizielle Druckmittel umsetzt. Das Ministerium entwickelt ein alternatives Weltwirtschaftssystem, das statt auf CO2-Ausstoß auf CO2-Vermeidung basiert: ein CarbonCoin entspricht dem Äquivalent einer Tonne CO2s. Mit einigen gezielten Anschlägen und Erpressungsmanövern von Zentralbanken sowie initiierten Staatsstreichen in Klimasünder-Staaten wie Saudi-Arabien und Brasilien kann das Ministerium der Zukunft seine Ideen des CarbonCoin und der CO2-neutralen Weltwirtschaft schließlich durchsetzen. Endlich geht der Klimaschutz mit Geo-Engineering, der Renaturierung großer Landstriche und der CO2-Bindung konkret voran.

Das Ministerium der Zukunft ist eine Utopie, die beim Lesen einigen Mut erfordert. Die minimalistische Romanhandlung wird nur von wenigen Charakteren getragen. Stattdessen entwickelt KSR eine komplexe Utopie einer neuen politischen und wirtschaftlichen Ordnung zur Umsetzung eines radikalen Klimaschutzes. Frustrierte WissenschaftlerInnen und KlimaschützerInnen bauen genug Druck aufgebaut, für eine ökologischere und sozial gerechtere neue Welt. Ihr Erfolg basiert darauf, dass sie die gleichen illegalen Mittel nutzt, die sonst nur die Fossil-Lobby-Fraktion einsetzt. Damit eröffnet KSR auch eine Diskussion darüber, wie Menschen sich gegen die feudalen Konzerne und Klimasünder wehren kann und wann illegale Mittel vielleicht legitim sein könnten, wenn sie zum Wohl vieler sind.

Damit hat Robinson genau den Nerv in der Wissenschaft getroffen, viele Wissenschaftlerinnen sind mittlerweile sehr frustriert, dass ihre Fakten und Lösungsvorschläge einfach ignoriert werden und jeder weiterhin so macht wie immer. Darum loben Wissenschaftlerinnen wie etwa die deutsche Physikerin und Extremwetter-Forscherin Friederike Otto seinen Roman. Sie leitet das Environmental Change Institute, Oxford (Extremwetter-Forschung, Attributionsforschung), ist
IPCC-Hauptautorin und mit ihrem Buch „Wütendes Wetter“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Im Klimahaus Bremen hatte sie … mit KSR diskutiert: Dabei meinte sie, dass ihr in „Das Ministerium der Zukunft“ ja schon fast die Fiktion fehle, da es eher ihren oft recht frustrierenden Arbeitsalltag abbildet. Die Wissenschaft hat längst Lösungsvorschläge erarbeitet, die müssen jetzt endlich umgesetzt werden. Nur beim Geo-Engineering ist sie anderer Meinung als KSR: „Wir können die Folgen davon nicht abschätzen!“ Ein Vulkanausbruch führt zwar zur Abkühlung der Welt, hat aber erhebliche Nebenwirkungen wie sauren Regen und Ozeanversauerung. So würde die Lösung eines Problems neue schaffen. Sie sieht die einzige Lösung im Stop des CO2-Ausstoßes und Abmilderung der bereits bestehenden Klimaschäden.
Hier ist das Video des Gesprächs von KSR und Friederieke Otto im Klimahaus:

Das Fazit ist:

  • Klimakrise ist nicht ein Thema von Wissenschaft, Grünen, Lefties, sondern bestimmt unser Leben!
  • Europa ist d direkte Verlierer der Klimakrise! (Versteppung, Eiszeit, Flüchtlinge)
  • Wir alle müssen jetzt handeln, um d Klimakrise abzumildern.
  • Die Lösung gelingt nur gemeinsam, auf allen Levels,
  • Mit allen Generationen, in Stadt und Land
  • Es gibt nicht EINE Lösung, sondern viele
  • Nicht ODER, sondern UND!

Immer mehr WissenschaftlerInnen auch in Deutschland meinen, dass Climate Fiction helfen könnte bei der Überwindung des Kommunikationsproblem. So hat der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf gerade einen Artikel dazu auf SPON veröffentlicht: „Wie wir uns die Klimazukunft besser vorstellen können“.

Wer meinen ganzen Vortrag hören möchte, darf mich gerne buchen.
Möglicherweise kommt er aber auch als Buch heraus.

Mehr zum ElsterCon habe ich in ElsterCon (Teil 1) : Utopie und Humor in der Phantastik berichtet.

 

 

Kommentare (4)

  1. […] ElsterCon 2022: Kim Stanley Robinson, Climate Fiction und Utopien […]

  2. #2 Björn
    28. September 2022

    “löst Indien sich aus dem internationalen Klima-Konsens und sorgt mit einem künstlich generierten Vulkanausbruch durch den Abwurf einer Atombombe für sofortige Abkühlung der Erdatmosphäre.”

    Äh, haben wir dasselbe Buch gelesen? Soweit ich mich erinnere, hat Indien den weit weniger drastischen Schritt ergriffen, mittels Flugzeugen Aerosole in die Atmosphäre zu bringen.

  3. #3 Bettina Wurche
    28. September 2022

    @Björn: Korrekt (S. 54), ist geändert. Ich habe wohl in den letzen Wochen ewas zu viel parallel gelesen : (