Die private Krankenversicherung (erst kürzlich war sie hier auf Gesundheits-Check Thema) schaut derzeit etwas betrübt in die Zukunft. Die Niedrigzinspolitik drückt auf die Gewinne, die die Versicherungsunternehmen z.B. für die Altersrückstellungen am Finanzmarkt erwirtschaften können, es fehlen wirksame Instrumente zur Steuerung der Leistungsausgaben, die Versicherten werden älter und teurer und seit 2012 wechseln auch noch mehr Versicherte von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung als umgekehrt.
Manche befürchten, dass das in der Gesundheitspolitik wieder vermehrt Zweifel am dualen System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung hervorrufen könnte, diesem deutschen Sonderweg beim Geschäft mit der Krankheit. Wenn man die private Krankenversicherung aber als Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft sieht und in dieser quasi religiösen Überhöhung als über jeden Zweifel erhaben, dann ist jetzt wohl der richtige Zeitpunkt für Glaubensbekenntnisse zur PKV.
Ein solches Glaubensbekenntnis hat gestern Andreas Mihm in der FAZ unter der Überschrift „Gesunder Wettbewerb“ abgelegt.
Zunächst stellt er die aktuelle Bedrohung der PKV fest und malt als Menetekel die Bürgerversicherung an die Wand. Für die würden sich ja mehr Parteien erwärmen, „als es einer Gesellschaft zu Gesicht steht, die gern die Früchte freiheitlicher Vertragsbeziehungen und Marktprozesse genießt“. Man erkennt unschwer das Motiv Freiheit statt Sozialismus. Zwar sind viele Möglichkeiten denkbar, eine Bürgerversicherung zu organisieren, mit mehr oder weniger wettbewerblichen Elementen, aber egal: Wer vom Glauben an die PKV abfällt, dem droht als Bürgerversicherung die AOK-Armenfürsorge für alle. Man muss es nur glauben.
Glauben muss man auch, dass die PKV für Wettbewerb im Versicherungsmarkt steht. Vielleicht für den Wettbewerb der Unternehmen darum, Kunden einzufangen und dann mit dem ganzen Marktgerede aufzuhören. Sobald man nämlich den Vertrag unterschrieben und ein paar Jahre Altersrückstellungen angesammelt hat, wird der Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu einem Vabanque-Spiel, auch wenn man inzwischen – im Prinzip – die Altersrückstellungen mitnehmen kann. Aber einfach ist das nicht, man verliert Geld und wehe, wenn man zwischenzeitlich älter und kränker geworden ist. Wenig vom Wettbewerb haben auch die Beamten, die fast 50 % der Versicherten der PKV ausmachen. Sie sind dort quasi zwangsversichert, es sei denn, sie zahlen in der GKV sowohl den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag. Beihilfetarife darf die GKV nicht anbieten, ein staatlicher Schutzzaun um die PKV. Auf die Frage, in welcher Form und in welchem Umfang Wettbewerb bei den Krankenversicherungen überhaupt systemoptimierend ist, will ich hier nicht eingehen, das ist Stoff für ganze Bücher.
Mihm stellt dann weiter fest, dass sich die privat Versicherten ihre gute Versorgung „eine hübsche Stange kosten“ lassen. Ohne die PKV würde das Geld im System fehlen und „müsste wohl von den Mitgliedern der gesetzlichen Kassen aufgebracht werden“, wie er mit messerscharfer Logik folgert. Wenn man nachzählt, was fehlt: Warum wählen viele, die es sich aussuchen können, nochmal die PKV? Ist nicht eines der treibenden Motive, Geld zu sparen? Nicht zuletzt für die, die jung sind und selten krank, die also durch ihre Beiträge selbst im klassischen Versicherungsgeschäft der PKV hochprofitabel sind? Wären sie in der GKV, würden sie einkommensbezogene Beiträge zahlen, bei vielen wäre das mehr als in der PKV. Es gibt sicher auch andere Fälle, aber wie das am Ende mit dem Geld auch ausginge, es ist nicht so einfach, wie Mihm es den Lesern glauben machen will.
Der nächste Satz in Mihms Glaubensbekenntnis gefällt mir am besten: Er fragt, ob denn jemand ernstlich glaube, „dass Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Sanitätshäuser einfach auf ihre Zusatzeinkommen durch die Privatversicherten verzichteten, würde die PKV abgeschafft?“ Da sage noch einer, Glaube und Wahrheit würden nicht zueinander finden! Nein, ich glaube nicht, dass „Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Sanitätshäuser“ einfach auf ihre Zusatzeinkommen verzichten würden. Die Krankenhäuser auch nicht, und auch nicht die weniger gut beleumundeten Leistungserbringer im PKV-System, z.B. die Heilpraktiker – und die sind bestimmt der billigste Posten der mangelhaften Ausgabensteuerung in der PKV. Aber müssten „die Ärzte“ überhaupt verzichten? Das Geld der bisher privat Versicherten käme ja in der Tat dann über die gesetzlich Versicherten, es würde nur gleichmäßiger über die Versicherten und damit die Praxen verteilt. So manche Privatpraxis mit Ayurveda und Homöopathie könnte dabei allerdings auf der Strecke bleiben – es sei denn, das interessierte Klientel schließt dann eben eine entsprechende Zusatzversicherung ab, mal ganz marktwirtschaftlich gedacht.
Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles, frei nach Goethe. Nachdem Mihm am Beweggrund des Gesundheitswesens als Wirtschaftszweig angekommen ist, folgt ein furioses Ende seines Glaubensbekenntnisses: „Das Gesundheitssystem profitiert vom Anbieterwettbewerb. Der zwingt beide Seiten, laufend Prozesse zu verbessern und attraktiver zu werden. Er hilft damit allen Patienten.“ Wie gerne würde ich daran glauben. Allein, wenn ich regelmäßig für meine Kostenerstattung die ganzen Arztrechnungen, nachdem ich sie überwiesen habe, in Papierform zusammenstellen und die Beträge in einem Formular aufaddieren muss, getrennt in Spalten für dieses und jenes, das Ganze sogar zweimal, einmal für die Beihilfe und einmal für meine Versicherung, dann verliere ich immer wieder den Glauben an die Verbesserung der Prozesse in der PKV. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.
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