Bei den Homöopathen gibt es ein seltsames Phänomen: Ausgerechnet bei denen, die sich öffentlich lautstark als Lobbyisten betätigen, scheint die Logik genauso verdünnt zu sein wie die Wirkstoffe in ihren Arzneimitteln.

Ein Beispiel ist der Beschwerdebrief eines Homöopathen, Hans Baitinger, an den ZDF-Fernsehrat, den der Homöopathie-Ninja Becker auf seiner Seite veröffentlicht hat. In diesem Brief ist, ähnlich wie in dem gerade erst hier kommentierten Leserbrief Jens Wursters, jeder Satz gedanklich verunglückt. Wirklich jeder. Er ist ziemlich lang, ich will daraus nur ein paar Passagen vorstellen:

“Tatsächlich haben viele meiner Patientinnen und Patienten sich vom Nutzen der Homöopathie überzeugen können und sind nicht mehr bereit, sich anders behandeln zu lassen.“

Herr Baitinger sagt hier im Grunde, dass die Patient/innen indoktriniert sind. Wer nicht mehr bereit ist, sich anders behandeln zu lassen, gefährdet bei ernsten Erkrankungen sein Leben.

“Es ist keine Frage, dass die Wirkung der homöopathischen Arzneimittel wissenschaftlich genauso beweisbar ist wie jene der konventionellen Arzneimittel. Bei letzteren liegen viele Studien vor, denen man nicht mehr vertraut.“

Beide Sätze stimmen, wenn man einmal von dem zu starken Wort „beweisbar“ absieht. Was aber fehlt: Die Wirksamkeit der Homöopathie wurde eben nicht nachgewiesen. Studien sind außerdem generell keine Sache des „Vertrauens“, und bei den meisten Homöopathiestudien stellt sich die Vertrauensfrage ohnehin nicht, sie sind auf den ersten Blick reiner Murks. Auf der Internetseite von Norbert Aust kann man sich davon anhand vieler solcher Studien überzeugen.

“Besonders eklatant ist der Zustand bei Impfstoffen und entsprechender Studien. Da gibt es sehr viel Unehrlichkeit eben jeder Kritiker der Homöopathie“

Mit dem Impfen scheint er es also auch nicht so zu haben. Was Impfstoffe mit der Wirksamkeit der Homöopathie zu tun haben, weiß außerdem nur er. Vermutlich will er mit dieser Verbindung eine Duftmarke im homöopathisch-impfkritischen Submilieu setzen: Ich bin einer von euch.

“Im Arzneimittel-Gesetz wurde peinlich darauf geachtet, dass es zu keiner Diskriminierung von zwar wirksamen aber in ihrer Wirkung noch nicht erklärbaren Arzneimittel kommt.“

Das Arzneimittelgesetz kümmert sich nicht darum, wie eine Wirkung zu erklären ist, es fordert nur, dass es eine Wirkung gibt und dass das mit Zulassungsstudien zu belegen ist. Außer bei homöopathischen Arzneimitteln: Nach § 38 (2) müssen für sie „Angaben über die Wirkungen und Anwendungsgebiete“ nicht gemacht werden. Wenn Sie Wasser als Arzneimittel in Verkehr bringen wollten, hätten Sie dieses Privileg nicht.

“Wir sollten jede Methode mit gleichem Maß messen. Aber es gilt auch das Prinzip, dass die Nachweismethode dem Untersuchungsgegenstand angepasst werden muss.“

Was nun, gleiches Maß oder nicht? Klar soll man die Helligkeit in einem Raum nicht mit dem Metermaß messen, aber bei der Wirkung eines Medikaments geht es um den gleichen Untersuchungsgegenstand, egal ob es sich um ein homöopathisches Mittel handelt oder nicht. Wirksamkeit ist nur zu zeigen, wenn man alle vier Felder der Ereignistabelle betrachtet: Behandelt mit und ohne Erfolg, nicht behandelt mit und ohne Erfolg. Das Ganze natürlich randomisiert und verblindet.

“Also müssten die konventionellen Mediziner auch in ihrem Bereich die Grenzen der Nachweisbarkeit der Wirkung ihrer Arzneimittel offenlegen.“

Das tun sie regelmäßig, das ist das Wesen der Zulassungsstudien. Wenn keine Wirkung nachgewiesen werden kann, sind damit logischerweise die Grenzen der Nachweisbarkeit gezeigt worden.

“Dagegen werden Forschungsergebnisse, die nicht haltbare Thesen vertreten auf dubiose Weise in seriöse Publikationsorgane lanciert und mit dem Habitus des Wissenschaftlichen öffentlich gemacht“

Das ist ein echtes Problem, das in der wissenschaftlichen Medizin intensiv diskutiert wird, um nützliches Wissen von Müll zu trennen. In der Homöopathie hat man das noch nicht einmal als Problem erkannt, da wird alles gedruckt, was Erfolge behauptet. Hier auf Gesundheits-Check wurden wiederholt abstruse Beispiele dazu vorgestellt – kritische Kommentare zu solchen „Studien“ von Homöopathen sucht man in der Literatur vergeblich.

“Es ist auch absolut falsch, das nach Arzneimittel-Gesetz für homöopathische Mittel kein Wirksamkeitsnachweis vorliegen müsse. Wir haben in der Arzneimittelprüfung immer eindeutige Hinweise auf die Wirkung, die uns zum korrekt gewählten Arzneimittel führen.“

Der arzneimittelrechtliche Binnenkonsens besteht genau darin, dass in der Regel kein Wirksamkeitsnachweis mit Zulassungsstudien erbracht werden muss. Deswegen müssen die Mittel nur registriert und nicht zugelassen werden und dürfen dann auch keine Indikationsangabe haben.

“Zum Begriff der Evidenz verschweigen Sie z.B. dass zu einem Drittel der Evidenz immer die Erfahrung des Patienten gerechnet werden muss und diese ist für die homöopathischen Mittel eindeutig positiv“

Was Herr Baitinger vermutlich meint, ist, dass bei der Behandlung von Patient/innen neben dem Wissen aus Studien auch die Erfahrung des Arztes und die Wünsche der Patienten berücksichtigt werden sollen. Aber woher das Drittel kommt und was diese drei Aspekte mit Wirkungsforschung zu tun haben, weiß wieder nur Herr Baitinger selbst. Oder besser gesagt, er weiß es natürlich auch nicht.

“Vorstand Hahnemann-Gesellschaft“

Herr Baitinger firmiert als „Vorstand Hahnemann-Gesellschaft“. Auf der Internetseite dieser Gesellschaft wird er (Stand 18.1.2018) nicht als Vorstandsmitglied ausgewiesen. Ob er neu gewählt ist, oder ob auch das einfach nicht stimmt – das wiederum weiß ich nicht.

Was ich auch nicht weiß, ist, ob es sich überhaupt lohnt, solche Texte zu kommentieren. Es steht nichts darin, was man aus pädagogischen Gründen z.B. als besonders lehrreichen Irrtum aufgreifen könnte, natürlich erst recht nichts, was einem selbst zu denken geben könnte, also ein kluges Argument pro Homöopathie. Dass die Kritik an solchen Texten in der peer group der Homöopathie-Gläubigen jemandem etwas zu denken geben, ist auch nicht anzunehmen, ihnen ist ja egal, ob der Text vernünftig argumentiert, für Zustimmung in der peer group reicht, dass der Autor ein Glaubensbekenntnis ablegt. Blasenwelten. Aber wenn ich solche Sammlungen verdünnter Vernunft lese, kann ich sie auch nicht einfach kopfschüttelnd ignorieren. Vielleicht kommt ja immerhin der eine oder andere nachdenkliche Patient ins Grübeln, ob er sein Schicksal wirklich solchen Ärzten anvertrauen soll. Dass sie in Diagnostik und Therapie mit mehr Verstand ans Werk gehen, ist schließlich nicht gesagt.

Kommentare (12)

  1. #1 Joseph Kuhn
    18. Januar 2019

    Nachtrag:

    Die Skeptiker nebenan haben den Baitinger-Brief auch thematisiert: https://blog.gwup.net/2019/01/18/video-um-den-zdf-beitrag-herum-zeigen-die-homoeopathen-dass-sie-keine-argumente-haben/

    Entlarvend ist die Offenheit, die ein Facebook-Eintrag der Hahnemann-Gesellschaft in der gleichen Sache an den Tag legt und ebenfalls bei den Skeptikern aufgespießt wurde. Man räumt ganz unverblümt ein, dass es nicht um Wissenschaftlichkeit geht, sondern darum, Druck auszuüben.

    Auch dort firmiert Herr Baitinger übrigens als Vorstand der Hahnemann-Gesellschaft. Das wäre dann der einzige Passus des Briefs, der o.k. ist.

  2. #2 rolak
    18. Januar 2019

    sagt hier im Grunde

    Einer der Kernpunkte der Debatte: das Rückführen von Buchstabensuppen eindeutiger Sinnlosigkeit auf unterschwellige Kernaussagen. Die es in der Quackologie zumeist gibt, sind es doch Missionar* auf GläubigenFang. Erinnert an die alte Story (Asimovs FoundationZyklus?), in der die Begrüßungsbotschaft eines Diplomaten algorithmo-semantisch (dort ‘psychohistorisch’ genannt) analysiert und zu der Kernaussage “” eingedampft wird. Ja, zwischen den Gänsefüßchen steht absichtlich nichts. Doch dort ging es ums Abwiegeln, nicht ums Kundenwerben.

    stimmen

    Die nicht vorhandene Relevanz wahrer Aussagen offenzulegen artet zuweilen in SysiphosArbeit aus, doch imho erhellt es das Denken der Arbeitenden.

    kümmert sich nicht darum

    Zwei grundlegende Taktiken der Vernebelung: die Forderung des Nichtexistenten/-relevanten, die Forderung des längst Vorhandenen.

    gleich(..) oder nicht?

    yep, ists nicht vergleichbar, wird Vergleichbarkeit als unabdingbar postuliert, ists vergleichbar, wird prinzipielle Andersartigkeit vorausgesetzt – carpe iactantia sui.

    Schöne Demontage, Joseph!

  3. #3 roel
    18. Januar 2019

    @Joseph Kuhn in der Sache hast du selbstverständlich Recht. Aber guck mal hier: https://www.hahnemann-gesellschaft.de/impressum/

    “gesetzlich vertreten durch:

    Ulrike Fröhlich – Dr. Elisabeth Häcker- Strobusch – Hans Baitinger”

  4. #4 roel
    18. Januar 2019
  5. #5 michael
    18. Januar 2019

    @roel
    Bedeutet ‘Gesetzlich vertreten durch …’, dass diese Person im Vorstand ist ?

  6. #6 RPGNo1
    18. Januar 2019

    @roel, Joseph Kuhn

    Der Verein muss einen Vorstand haben. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters.

    https://dejure.org/gesetze/BGB/26.html

    Auf der Vorstandsseite wird noch Dr. Sibylle Chattopadhyay genannt, die aber unter der gesetzlichen Vertretung fehlt. Ich gehe davon aus, dass die Hahnemann Gesellschaft ihre Page nach erfolgtem Vorstandswechsel schlicht nicht auf den neuesten Stand gebracht hat.

  7. #7 Alisier
    18. Januar 2019

    “Tatsächlich haben viele meiner Patientinnen und Patienten sich vom Nutzen der Homöopathie überzeugen können und sind nicht mehr bereit, sich anders behandeln zu lassen.“
    Ich stelle mir gerade die Szene vor wie jemand schon auf dem Operationstisch liegt, und man ihm dann sagt:
    “Wir müssen Sie leider wieder nach Hause schicken, denn Ihr Vertrauensarzt hat öffentlich verlauten lassen, dass alle seine Patienten ausschließlich homöopathisch behandelt werden möchten. Der Tumor bleibt drin, denn sonst müssen wir ja wohl mit einer Klage rechnen……..”

  8. #8 Alisier
    18. Januar 2019

    Ja, ich weiß, bei Herrn Baitinger steht nicht “alle”.
    Aber welcher Chirurg würde das Risko eingehen?
    Hoffentlich keiner.

  9. #9 2xhinschauen
    https://www.homöopedia.eu
    22. Januar 2019

    Einen frisch aktualisierten Überblick über die Studienlage zur Homöopathie gibt es hier:

    https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Studienlage

    Jede Aussage, die (spezifische) Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen (gemeint: über Placebo hinaus) sei “in Studien” oder anderweitig “bewiesen”, ist schlicht falsch.

    Und das sogar schon seit 1835: https://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Nürnberger_Kochsalzversuch

    Und da das häufig von Leuten behauptet wird, die den IQ und die akademische Ausbildung haben, die für sie bittere Realität zu verstehen, kann man leicht auf die Idee kommen, anzunehmen: Vorsätzlich falsch.

  10. #11 2xhinschauen
    https://www.homöopedia.eu
    26. Januar 2019

    @Joseph Kuhn
    Danke für den Hinweis, das habe ich nicht gewusst. Und vor allem: Das Testen der Homöopathie zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Geburtshelfer der heutigen Studienmethodik und zum obendrein zum Erkennen/Verstehen des Phänomens “Placebo”? Faszinierend!

  11. #12 2xhinschauen
    https://www.homöopedia.eu
    15. August 2019

    Außer bei homöopathischen Arzneimitteln: Nach § 38 (2) müssen für sie „Angaben über die Wirkungen und Anwendungsgebiete“ nicht gemacht werden. Wenn Sie Wasser als Arzneimittel in Verkehr bringen wollten, hätten Sie dieses Privileg nicht.

    Doch. Wenn Sie es wie z.B. der britische Hersteller Helios machen und Wasser als homöopathische Ursubstanz verwenden (https://www.helios.co.uk, Suchbegriff “aqua”).