2016 ist schon jetzt – Anfang Februar – ein rabenschwarzes Jahr für die Pottwale des östlichen Nord-Atlantiks. Gleich drei Reisegruppen junger Bullen, die von ihren norwegischen „Feeding-grounds“ ins Warme zu den Azoren schwimmen wollten, haben an Nordseestränden ihre letzte Ruhe gefunden.
Und es ist nicht gesagt, ob es noch weitere tote Wale geben wird.
Was ist bisher passiert?
1. 09.01 bis 14.01.2016: 11 Pottwale sind an deutschen und niederländischen Stränden gestrandet
2. 23.01 bis 25.01.2016: 5 Pottwale stranden an der englischen Küste.
3. 03.02 und 04.02.2016 Februar sind noch einmal 12 Pottwale an der deutschen, englischen und französischen Küste gestrandet.
Die Fakten dazu:
1. Alle Pottwale waren junge Bullen, von 9 bis 14 Metern Länge. Die Körper der Tiere waren noch recht schlank.
Zum Vergleich: Voll ausgewachsen werden sie meistens 15, manchmal auch bis zu 18 Metern lang.
Allerdings sind sie dann wesentlich breiter. Die Tiere fallen beim Stranden durch ihre hochovale Körperform sofort auf die Seite. Über einen großen Bullen kann ich mit 1,70 Zentimetern Größe nicht mehr hinwegschauen, er ragt wie ein Gebirge vor den Menschen neben ihm empor.
Die jetzt gestrandeten Tiere waren deutlich schmaler.
2. Dazu kommt: Junge Bullen, ab 15 Jahren, schwimmen gemeinsam in Junggesellengruppen (Bachelor-groups). Ältere Tiere sind fast immer allein unterwegs. Das zeitliche und räumliche Muster der Strandungen zeigt, dass die Tiere in Gruppen unterwegs waren. Mit dem Vorrücken der Gruppe nach Süden lagen die Strandungen auch immer weiter südlich.
3. Weibchen und Jungtiere der Pottwale leben als Familien in wärmeren Gewässern nahe des Äquators, z. B. vor den Azoren. Männchen verlassen diese Familiengruppen mit etwa 12 Jahren und schwimmen dann als Junggesellengruppen in kalte und gemäßigte Gewässer. Sie bilden dort eine in nahrungsreichen Gebieten wie etwa vor Nord-Norwegen lockere Ansammlung. Junge Bullen bleiben näher zusammen, ältere halten mehr Abstand. Zwischen März und November ziehen viele von ihnen in die wärmeren Gewässer, manche zur Paarung, andere einfach so.
Auf diesem Weg nach Süden verirren sie sich manchmal: Statt vor den Britischen Inseln nach Westen abzubiegen und im Atlantik zu bleiben, biegen sie nach Osten ab und finden sich in der Nordsee wieder.
4. Pottwale sind ausgesprochene Hochseebewohner und Tieftaucher, ihr leistungsstarkes Sonar ist an tiefe Gewässer angepasst. In der Nordsee, einem flachen Schelfmeer, versagt es – sie sind nicht gewohnt, in flachem Wasser zu navigieren. Außerdem wirft der schlammige, sandige Nordseeboden nur unscharfe Echos zurück. Die Wale finden aus der Nordsee nicht wieder heraus, sondern schwimmen immer weiter in den Trichter der Nordsee nach Süden. Spätestens am Eingang des Kanals endet ihre Reise dann.
Warum die Pottwale in manchen Jahren falsch abbiegen, ist immer noch nicht vollständig bekannt.
Aber: Strandungen von Pottwal-Bullen sind in der Nordsee seit mehr als 500 Jahren dokumentiert.
Es gibt zurzeit mal wieder umfangreiche Spekulationen über die Gründe.
Davon kann man viele ausschließen:
A: Beifang, Schiffskollision: Fehlanzeige
Keines der Tiere hatte die charakteristischen Verletzungen, die durch Fischernetze entstehen oder die Spuren einer Schiffskollision.
B: Windkraft, Ölexploration: Fehlanzeige
Da diese Strandungen zu dieser Jahreszeit seit mehr als 500 Jahren bekannt sind, muss es Ursachen geben, die auch schon vor 500 Jahren da waren. Windkraft und Ölexploration sind aber wesentlich neuer.
C: Marine-Manöver: Fehlanzeige
Wale können durch den Einsatz neuartiger U-Boot-Waffen wie LFAS-Sonar getötet werden.
In der dicht befahrenen, flachen Nordsee hat kein Marinemanöver stattgefunden.
Dazu kommt, dass ein Wal mit Barotrauma die entsprechenden Verletzungen wie Blutungen aus den Ohren sowie Fett- und Gasembolien aufweisen sollten. Die Pottwale hatten keine solchen Verletzungen.
D: Sonnenflecken-Aktivität: Fehlanzeige
Vanselow et al haben 2009 postuliert, dass eine erhöhte Sonnenfleckenaktivität zu Veränderungen im Erdmagnetfeld führt und die Wale deshalb in die Irre schwimmen könnten.
https://benthamopen.com/contents/pdf/TOMBJ/TOMBJ-3-89.pdf
Eine umfassende Studie mit Modellrechnungen durch Pierce, Santos, Smeenk et al von 2007 negiert den Einfluss der Sonnenfleckenaktivität auf die Strandungshäufigkeit von Pottwalen. Die Zeiträume stimmen nicht überein.
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