Walohrschmalz.
Wer jemals einen eleganten Finnwal in seiner Anmut bewundert hat oder mit Staunen das Unterwasserballett eines Buckelwals betrachtete, wird sich normalerweise nicht fragen, ob diese wunderbaren Meereskreaturen über Ohrschmalz verfügen.
Aber ja, das haben sie.
In solcher Menge, dass es sogar regelrechte Pflöcke oder Pfropfen bildet. So fest und haltbar wie Knochen.
Pflöcke aus verfestigtem Walohrschmalz – earplugs) – davon hat das Smithsonian National Museum of Natural History in seinen Sammlungen etwa 1000 Stück. Der größte Teil der Sammlung stammt aus der Endzeit des kommerziellen Walfangs, einzelne Stücke sind auch älter, manche Exemplare kamen durch Walstrandungen in die Sammlung. Seit langem ist bekannt, dass diese Ohrpflöcke die Altersbestimmung von Bartenwalen ermöglichen.
Wale besitzen zwar keine nach außen sichtbaren Ohrmuscheln, aber natürlich haben sie ein Gehör. Der Hörsinn ist bei Walen sogar hervorragend entwickelt, schließlich funktioniert dieser Sinn auch in trüben oder dunklen Gewässern mit geringer oder keiner Sicht. Die Waltiere haben das ohnehin leistungsstarke Säugetierohr noch weiter perfektioniert, durch ihre asymmetrischen Schädel können sie unter Wasser sogar hören, aus welcher Richtung Geräusche kommen.
Der äußere Gehörgang ist allerdings nach außen verschlossen, damit kein Wasser ins empfindliche Innenohr mit dem akustischen und Schweresinn eindringt. Ein Walohr sondert, vom Tag der Geburt des Tieres an, ein Gemisch aus Lipiden, Wachsen und Keratin in den äußeren Gehörgang ab, erklärt der Meeresbiologe Randall W. Davis (Texas A&M at Galveston), ein auf Meeressäuger spezialisierter Physiologe. „There’s a remnant of the external auditory canal, but it isn’t open to the environment. Oil is still secreted in the ear, but it accumulates in this marvelous organic matrix that has been laid down in very distinct layers.” Da der Gehörgang nach außen abgeschlossen ist, fließt das Öl-Sekret (Cerumen) nicht ab, sondern sedimentiert im Gehörgang. Die Sekrete härten nach und nach aus, und bilden so Schichten wie die Wachstumsringe eines Baumes.
Ohrpflöcke als Altersausweis
Um das Jahr 1900 hatten Wal-Experten herausgefunden, dass diese Schichten aus dem Ohr der Meeressäuger wirklich Wachstumsschichten sind und man aus ihnen das Alter des Wals recht genau bestimmen kann. Dickere Schichten erscheinen heller, sie entsprechen einem besseren Nahrungsangebot. Schmalere Schichten erscheinen dunkler, sie entsprechen einem schlechten Nahrungsangebot oder Stress. Die hellen und dunklen Schichten wechseln sich deutlich sichtbar ab, wie in der Biochronologie üblich. Genau wie bei Bäumen.
Diese Ohrpflöcke entstehen übrigens nur bei großen Walen, sie sind nachgewiesen bei Zwerg-, Sei-, Finn, Blauwalen und Glattwalen. Bei kleineren Cetaceen sind die Ohren anders aufgebaut, dort sedimentiert kein Ohrschmalz.
(Anmerkung meertext: Soweit ich das sehe, besteht der Unterschied in der unterschiedlichen Anatomie des Gehörs von Barten- und Zahnwalen, diese Aussage habe ich allerdings in der Literatur so nirgendwo bestätigt gefunden. Für Pottwale, also die einzigen großen Zahnwale, habe ich noch nie einen Hinweis auf Ohrpflöcke gefunden – und das Pottwal-Gehör ist wirklich gut untersucht.)
Vor etwa fünf Jahren kam der Biologe Stephen J. Trumble, der Tierphysiologie-Professur an der Baylor University und Experte für Physiologie von Meeressäugern ist, ins Gespräch mit seinem Kollegen Sascha Usenko. Der ist als Chemiker spezialisiert auf Luft- und Umweltchemie und leitet das Baylor’s Environmental Science Graduate Program. Ihr Gespräch drehte sich um die Ohrpflöcke der Wale. Usenko meinte, dass ihn das sehr an Sedimentbohrkerne mit ihren Schichtungen erinnern würde, die ja ein wichtiges Klima- und Umweltarchiv seien. Schließlich sind Bohrkerne aus dem Sediment, Eis oder Korallenriffen (oder andere Bohrkerne) längst wichtige Klima- und Umweltarchive. In ihren Schichten sind chemische Informationen aus ihrer Umgebung zum Zeitpunkt der Ablagerung eingefangen.
Irgenwann schauten sich die beiden Wissenschaftler an und ein neues Forschungsprojekt war “geboren“.
Kommentare (37)