Wir bekommen wieder eine große Koalition. Sie wird im Bundestag eine Mehrheit haben, mit der sie auch richtig große Herausforderungen anpacken könnte. Daran mangelt es nicht. Die Finanzmärkte zu regulieren, die Gesellschaft demografiefest zu machen oder die Energiewende und den Klimaschutz substantiell voranzubringen, sind beispielsweise Aufgaben, an denen sich eine große Koalition doch einmal ernsthaft versuchen könnte. Das wird man aber mit den bisher öffentlich gemachten Verhandlungspunkten – Ausländermaut, Betreuungsgeld und Mindestlohn – wohl kaum hinkriegen.
Nun gut, mein Thema ist ja eher die Gesundheitspolitik. Leider schaut einem auch in diesem Politikfeld eine ziemliche Politikverdrossenheit entgegen: Die Gesundheitspolitiker wollen offensichtlich lieber Ärger und Unruhe im Gesundheitswesen vermeiden als einen mutigen Aufbruch in die Zukunft zu wagen. Ein bisschen Krankenversicherungsreform hier, ein bisschen Pflegereform da, an der Krankenhausfinanzierung ein wenig herumgeschraubt, nochmal ein Präventionsgesetzlein versucht und vielleicht eine neue Patientenvertretung da oder dort. Irgendwie reißt mich das nicht vom Stuhl.
Ich würde mir wünschen, dass eine große Koalition
• den strukturellen Pflegenotstand in Deutschland beseitigt, nicht nur wieder übertüncht: man sollte am Ende des Lebens genauso sorgsam gepflegt werden wie am Anfang des Lebens,
• in der Krankenhaushygiene dafür sorgt, dass Krankenhäuser nicht bald deswegen so heißen, weil man darin krank wird und stirbt: geschätzte 30.000 Sterbefälle durch nosokomiale Infektionen jährlich in Deutschland sind ein gesundheitspolitischer Skandal,
• die unabhängige Arzneimittelforschung stärkt, wirklich stärkt, das nützt langfristig auch der Pharmaindustrie,
• für Medizinprodukte endlich eine Nutzenbewertung einführt, damit nicht alles in den Körper eingebaut werden kann, solange es nur als rostfrei gilt,
• das duale Krankenversicherungssystem beseitigt, von mir aus wettbewerbsbasiert in einem einheitlichen Versicherungsmarkt,
• ein ÖGD-Rahmengesetz auf den Weg bringt, das dazu führt, dass die Länder ihren Öffentlichen Gesundheitsdienst nicht weiter verkommen lassen, sondern zu regionalen Kompetenzzentren ausbauen – vom Impfen bis zur Schulgesundheit hätte der ÖGD genug zu tun (und ja, ich weiß, dass die Nazis schon einmal ein Vereinheitlichungsgesetz für den ÖGD erlassen haben, aber wir bauen ja auch wieder Autobahnen …),
• ihre eigenen Sprüche von der Notwendigkeit, die Prävention zu einer weiteren Säule des Gesundheitswesens auszubauen, ernst nimmt und ein Präventionsgesetz macht, das diese Bezeichnung auch verdient und die Verknüpfungen mit anderen Politikfeldern herstellt,
• die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu einer Präventionsagentur weiterentwickelt, die dem Stand der Public Health-Forschung gerecht wird, statt ihr Hauptgeschäft nach wie vor im Broschürenverteilen zu sehen,
• dafür sorgt, dass einmal in jeder Legislaturperiode ein Bilanz-Gesundheitsbericht für Deutschland erstellt wird, den der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen kommentiert und der Bundestag diskutiert – Controlling gehört heutzutage schließlich in jedem Handwerksbetrieb zum Standard.
Mir würde noch eine Menge mehr einfallen. Ihnen sicher auch. Schreiben Sie es hin, hier, oder schreiben Sie es den Gesundheitspolitikern Ihrer Partei – falls es nicht die FDP ist, die ist im Moment parlamentarisch impotent. Wer keine Vorschläge macht, darf sich hinterher auch nicht über Rückschläge beschweren.
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