Ungläubig und hilflos steht man vor dem, was sich gerade an kriegerischer Brutalität in der Welt abspielt. In der Ukraine ist der Krieg einmal mehr nach Europa zurückgekehrt, Afghanistan findet keinen Frieden, Libyen zerfällt im Krieg aller gegen alle, im Irak und in Syrien wird der Islam als Terrorreligion missbraucht.
Hat „der Westen“ auf diese Konflikte eine Antwort, die über das Löschen des Feuers hinausgeht? Verstehen wir, was da brennt? Hat das nur mit den inneren Spannungen der betroffenen Regionen zu tun? Mir kam dazu in der letzten Zeit immer wieder Nietzsches Aphorismus über den tollen Menschen in den Sinn:
“Wohin ist Gott?” rief er, “ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittag angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“
(Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Auszug aus dem Aphorismus 125)
Nietzsche reflektiert hier die Folgen der Aufklärung, des Todes Gottes, und er fragt danach, wer jetzt Orientierung geben, Werte setzen kann, wie dem früher gottesebenbildlichen Menschen diesseitig Würde zuzusprechen ist. Seine Antwort ist bekanntlich die Selbstüberwindung des Menschen im Übermenschen. In der Vergangenheit haben wir allerdings nicht viel Glück mit unseren selbstgesetzten Werten gehabt. Imperialismus, Nationalismus, völkische Ideologien, Kommunismus: wirkmächtige Ideen, manche durchaus verknüpft mit der Phantasie, einen höheren Menschen zu schaffen, alle mit unglaublich mörderischen Folgen.
Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ 1948 durch die UN-Vollversammlung oder die Grundrechte in unserem Grundgesetz weisen hoffnungsvollere Wege. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – darauf könnte man aufbauen. Vielleicht haben wir daraus nicht genug gemacht, zu viel nur um wirtschaftlichen Erfolg gerungen, das Geld an die Stelle Gottes gesetzt und den Homo Oeconomicus an die Stelle des Übermenschen? So notwendig es für ein menschliches Dasein ist, materielle Not zu überwinden, so notwendig ist es auch, danach zu fragen, was dieses menschliche Dasein ausmacht, wenn die Not überwunden ist. Welches Menschenbild haben wir dem Islamischen Staat eigentlich entgegenzuhalten? Spiegelt sich vielleicht in dem gegenwärtigen mörderischen Treiben auch das Versagen unserer „aufgeklärten“ Gesellschaft gegenüber Nietzsches Herausforderung wider?
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