Vor ein paar Tagen gingen wieder einmal Meldungen durch die Medien, die zum gefühlt hunderttausendsten Mal verkündeten, dass Arme früher sterben müssen und dass sich das auch auf die regionalen Unterschiede der Lebenserwartung in Deutschland auswirkt. Man könnte das als „sozialepidemiologisches Grundgesetz“ bezeichnen, so gut ist dieser Sachverhalt wissenschaftlich bestätigt.
Datengrundlage der Meldungen war die kleinräumige Berechnung der Lebenserwartung durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung für das INKAR-Indikatorensystem, einer Datensammlung für die Raumplanung. Man muss zwar mit den Daten etwas vorsichtig sein, weil die kleinräumige Berechnung der Lebenserwartung durchaus ihre Tücken hat (z.B. aufgrund sehr geringer Fallzahlen bei den Sterbefällen in jungen Jahren oder aufgrund von Unsicherheiten der Bevölkerungsdaten im höheren Alter), aber für die Zwecke der Raumplanung reicht die Genauigkeit der Berechnungen allemal aus. Dabei zeigen dann auch Routinedaten immer wieder Befunde, die so erst einmal überraschen – ich hätte z.B. nicht erwartet, dass Pirmasens die Stadt mit der niedrigsten Lebenserwartung ist, die hätte ich irgendwo im Osten Deutschlands vermutet.
Die Daten sind im Zusammenhang mit einer Bundestagsanfrage einer Linken-Abgeordneten, Frau Zimmermann, veröffentlicht worden. Frau Zimmermann hatte die Bundesregierung gefragt, auf welche Faktoren die Regierung die regionalen Unterschiede der Lebenserwartung zurückführt und was sie daraus an Handlungsbedarf ableitet. In ihrer Antwort vom 11. März 2016 bestätigt die Parlamentarische Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums, Frau Fischbach, den Zusammenhang von Lebenserwartung und sozioökonomischen Faktoren und verweist pauschal auf vermittelnde Einflussfaktoren des Verhaltens bzw. der Arbeits- und Lebensbedingungen. Die Antwort fällt hier sehr knapp aus, ist aber immerhin korrekt. Dagegen ist die Antwort auf die Frage nach dem Handlungsbedarf eine Lachnummer. Zunächst schreibt Frau Fischbach:
„Zahlreiche, Maßnahmen der Bundesregierung zielen auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit. Dazu zählt der umfassende Zugang zu Gesundheitsleistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, der unabhängig von der ökonomischen Leistungsfähigkeit gewährt wird.“
Dass die gesetzliche Krankenversicherung Zugang zu Gesundheitsleistungen unabhängig vom Einkommen gewährt, ist richtig und eine wichtige sozialpolitische Errungenschaft. Welchen Anteil das genau an der Bekämpfung sozial bedingter Ungleichheit bei der Lebenserwartung hat, ist allerdings unklar. Dabei gilt es z.B. zu bedenken, dass diejenigen, die die Krankenversicherung in Anspruch nehmen, ja schon krank geworden sind und wie Frau Fischbach in ihrer Antwort ebenfalls kurz erwähnt, weisen auch viele Krankheiten einen sozialen Gradienten auf – Pi mal Daumen kann man sagen, dass das untere Einkommensfünftel bei den meisten relevanten Krankheiten ein doppelt so hohes Krankheitsrisiko hat wie das obere Einkommensfünftel.
Folgerichtig stellt sich die Frage daher nach der Prävention. Dem widmet Frau Fischbach mit Abstand den größten Teil ihrer insgesamt gut zweiseitigen Antwort und führt aus, dass das im letzten Jahr in Kraft getretene Präventionsgesetz explizit die Verringerung sozial bedingter Ungleichheit der Gesundheit vorsieht:
“Die Verminderung sozial bedingter und geschlechtsbezogener Ungleichheiten ist ein wesentliches Ziel der mit dem Präventionsgesetz ausgebauten Leistungen zur primären Prävention und Gesundheitsförderung (§ 20 Absatz 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V)“
Beim Präventionsgesetz reden wir über ein Ausgabenvolumen von demnächst 7 Euro pro Versichertem – also über gut 500 Mio. Euro, das ist eine Erhöhung der Ausgaben gegenüber dem derzeitigen Niveau um ca. 300 Mio. Euro.
Das ist einerseits viel Geld und ich will das Präventionsgesetz keinesfalls kleinreden, es kann vor allem in der Strukturentwicklung hilfreiche Impulse setzen. Andererseits sind 500 Mio. Euro im Gesundheitswesen Peanuts, um es mit dem früheren Deutsche Bank-Chef Kopper zu sagen. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland betrugen im Jahr 2014 insgesamt 328 Mrd. Euro. Das Präventionsgesetz führt hier zu einer Erhöhung um 0,09 %. Wer ernsthaft glaubt, damit die sozial bedingten Unterschiede der Lebenserwartung nachhaltig beeinflussen zu können, der glaubt vermutlich auch an die Wirksamkeit homöopathischer Mittel. Ein solcher Hebeleffekt wäre ein gesundheitsökonomisches Wunder. Wenn ein derart geringer Mitteleinsatz eine spürbare Wirkung bei der Lebenserwartung hätte, sollten wir am besten 100 Mrd. in die Prävention umschichten, dann würden wir bestimmt dem ewigen Leben ein großes Stück näher kommen.
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