Vor kurzem ist der Arzneiverordnungs-Report 2017 erschienen. Der Report enthält Analysen auf Basis der Rezepte, die in Deutschland zu lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Die aktuelle Ausgabe ist die 33. – die Buchreihe gibt es also seit mehr als 30 Jahren.
Die gesetzlichen Krankenkassen gaben im Jahr 2016 dem Report zufolge 38,4 Mrd. Euro für Arzneimittel aus. Bei Gesamtausgaben der GKV von 210,4 Mrd. Euro waren das fast 20% der GKV-Ausgaben. Gegenüber dem Vorjahr gab es einen Anstieg um knapp 4%, die Autoren führen diesen Anstieg vor allem auf neue patentgeschützte Arzneimittel zurück, die deutlich teurer sind als die schon auf dem Markt befindlichen (patentgeschützten) Mittel. Bleibt zu hoffen, dass ein Teil davon auch wirklich nützlich ist, denn im europäischen Vergleich gibt Deutschland ohnehin schon überdurchschnittlich viel für Arzneimittel aus, wie der aktuelle OECD-Bericht „Health at a Glance 2016“ zeigt.
Der Arzneiverordnungs-Report ist ein interessantes und thematisch ausgesprochen vielfältiges Nachschlagewerk, für Fachleute ebenso wie für Laien im Arzneimittelbereich, zu denen ich mich auch zähle. Ich will daher auch nur kurz einen Aspekt herausgreifen, bei dem ich zumindest etwas mitreden kann: die Entwicklung bei den Psychopharmaka.
Dass die psychischen Störungen – obwohl sie wohl an sich nicht häufiger werden – im Versorgungsgeschehen immer deutlichere Spuren hinterlassen, war hier auf Gesundheits-Check schon mehrfach Thema. Bei den Psychopharmaka zeigt der Arzneiverordnungs-Report ein aufschlussreiches Bild, indem er die Entwicklung der Verordnungszahlen nach Indikationsgruppen differenziert. Stark ansteigend sind demnach die Antidepressiva-Verordnungen (abgebildet sind in der Grafik DDDs, „definierte Tagesdosen“):
Dem entspricht, dass auch die Depressions-Diagnosen zunehmen. Gute Trenddaten gibt es vor allem für den Krankenhausbereich. Die stationär behandelten Fälle mit der Hauptdiagnose Depression (ICD-Ziffern F32, F33) haben in den vergangenen 15 Jahren um 140% zugenommen.
Darin spiegeln sich sicher verschiedene Einflussfaktoren wider, z.B. eine Enttabuisierung von Depressionen und das im Vergleich zu früher bessere Versorgungsangebot. Das ist gut, weil sich so die Chance auf eine rechtzeitige Behandlung verbessert. Möglicherweise kommt es aber bei leichteren Befindlichkeitsstörungen manchmal auch zu einer unnötigen Medikalisierung von Fällen, die nicht unbedingt alle ärztlich oder psychotherapeutisch behandelt werden müssten, oder nicht mit Psychopharmaka. Zumal die Erwartungen an den Nutzen von Antidepressiva vermutlich zu groß sind. Peter Gøtzsche, Leiter des dänischen Cochrane-Zentrums, bewertet sie nach einer kritischen Sichtung der Literatur sogar insgesamt als „unwirksam und schädlich“ (Gøtzsche 2016, Seite 134). Das ist vielleicht zu hart, aber auch die Autoren des Arzneimittel-Reports weisen darauf hin, dass man unter Einbeziehung unveröffentlichter Studien davon ausgehen muss, dass die Wirksamkeit der Mittel überschätzt wird, die Nebenwirkungen unterschätzt werden. Vor diesem Hintergrund darf der Trend bei den Verordnungszahlen für Antidepressiva zumindest nachdenklich stimmen.
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Zum Weiterlesen und Datenstöbern:
1. Schwabe U, Paffrath D, Ludwig W-D, Klauber J (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2017. Heidelberg, 2017.
2. OECD/EU: Health at a Glance: Europe 2016 – State of Health in the EU Cycle. Paris, 2016. https://dx.doi.org/10.1787/9789264265592-en
3. Gøtzsche PC: Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen. München, 2016.
4. GKV-Arzneimittel-Schnellinformation des GKV-Spitzenverbands: https://www.gkv-gamsi.de/
5. Pharmadaten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK: https://arzneimittel.wido.de/PharMaAnalyst
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