Kurz vor Einführung der reichsweiten Pockenimpfpflicht, 1870 und 1873, gab es in Deutschland den letzten großen Ausbruch mit über 400.000 Erkrankten und 180.000 Toten (Meyer/Reiter 2004). Aber auch gegen die Pockenimpfung gab es trotz dieser unmittelbar erfahrenen Todesgefahr massive Widerstände mit teilweise ganz ähnlichen „Argumenten“, wie sie Impfgegner heute gegenüber der Masernimpfung vorbringen. Einen kurzen Beitrag dazu gibt es übrigens auch bei den Psiramitätern.
Geimpft werden mussten Kinder im Alter von einem Jahr und dann noch einmal im Alter von 12 Jahren. Leider habe ich nur selektiv Daten zur Pockenimpfrate, dazu müsste man in die Bibliothekskeller mit staubigen alten Büchern steigen. Aber für den Zweck des Blogbeitrags ist das vielleicht gar nicht nötig. Die Impfraten für die Pockenerstimpfung lagen in Bayern 100 Jahre nach Einführung der bayerischen Impfpflicht und kurz nach der Einführung der reichsweiten Impfpflicht bei ca. 90 %. Das war bei den Pocken für die Herdenimmunität ausreichend. Aber die Masernimpfraten im Einschulungsalter liegen inzwischen im Einschulungsalter ohne Impfpflicht höher und auch bei den Unter-2-Jährigen, also im Alter, für das die STIKO die Impfung empfiehlt, nehmen die Impfraten deutlich zu.
Ich glaube, wenn wir uns weiter so intensiv um die Masernimpfung kümmern wie in den letzten Jahren, das eine oder andere Versäumnis noch ausräumen, werden wir die Masern in Deutschland auch ohne Impfpflicht eliminieren. Falls das nicht gelingt, müsste man wohl bei einer Impfpflicht eher an die Erwachsenen denken als an die Kinder. Aber wie man hier eine Impfpflicht durchsetzen will, ist mir schleierhaft. Man diskutiert eine Impfpflicht auch deswegen so gerne für Kinder, weil man da mit dem Kitabesuch und dem Schuleintritt immerhin praktikable Kontrollmöglichkeiten hat. Aber wie setzt man eine Impfpflicht wohl gegenüber einem 30-Jährigen durch? Und wenn gegen Masern, warum nicht erst recht gegen Grippe, die bringt schließlich viel mehr Menschen um, und warum den Zwang zu Gesundheit und solidarischem Miteinander auf das Impfen beschränken und nicht mit dem Rauchen, Trinken, Dieselfahren und anderem weitermachen? Aber gut, das hatten wir schon und ich wollte mich ja nicht wiederholen, sondern nur eine Lanze für das Abwägen brechen, statt mit schlecht begründeten Impfpflichtforderungen aus der Hüfte zu schießen.
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