Hier im Blog ist schon frühzeitig die Bedeutung einer breiteren, multiperspektivischen Diskussion der Corona-Politik hervorgehoben worden, wiederholt auch unter Hinweis auf die Papiere der Autorengruppe um Matthias Schrappe. Jetzt gibt es einen Ableger dieser Gruppe, bestehend aus Gerd Antes, dem früheren Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, Klaus Stöhr, früher bei der WHO Koordinator bei den Themen Influenza und SARS, sowie Matthias Schrappe und, mir bisher nicht bekannt, Andrea Knipp-Selke.

Die Vier haben eine „Info-Plattform Corona“ freigeschaltet und dort gestern ein Papier „Die „3. Welle“ verebbt“ mit epidemiologischen Überlegungen veröffentlicht. Vieles davon ist unstrittig, manches diskussionswürdig oder auch diskussionsbedürftig, aber eine Kernaussage irritiert doch sehr (Seite 32):

„Die vom RKI veröffentlichten Daten lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass die sog. ‚3. Welle‘ in hohem Maße durch eine Zunahme der Testhäufigkeit bei unter 20jährigen zu erklären ist“

Bei den Unter-20-Jährigen ist in der Tat mehr getestet worden, aber aus dieser Gruppe speisen sich weder die Intensivfälle noch die Sterbefälle. Erstere haben in der dritten Welle wieder deutlich zugenommen, Letztere etwas, trotz der vergleichsweise gut vorangekommenen Impfungen bei den alten Menschen.

Ich will der Gruppe nicht gleich vorwerfen, dass sie bei dieser Aussage kuhbahndnert, also die Epidemie als Testartefakt erklärt, aber erläutern sollte sie schon, wie sie es gemeint hat. Schade übrigens, dass sie mit keinem Wort auf die Methodenkritik an ihrem „Notification Index“ eingegangen ist, die Dagmar Pattloch vor einiger Zeit hier als Gastbeitrag veröffentlicht hat. Wer das RKI für dessen starke Fokussierung auf die 7-Tages-Inzidenz kritisiert, sollte auch offen für Methodenkritik an den eigenen Alternativen sein.

Kommentare (36)

  1. #1 Fluffy
    1. Mai 2021

    Da muss ich doch mal glatt was dazu schreiben

  2. #2 RPGNo1
    1. Mai 2021

    Wenn die 3. Welle in Deutschland ein Testartefakt sein soll, wie ist es dann mit den 3. Wellen in anderen europäischen Staaten? Die dortigen natinonalen Gesundheitsbehörden haben sicher nicht alle am RKI bei ihren Bewertungen orientiert.

  3. #3 Fluffy
    1. Mai 2021

    Damit mir nicht wieder diessr Jolly zuvorkommt

  4. #4 UMa
    1. Mai 2021

    Die dritte Welle begann schon Ende 2020 in Deutschland, als die ansteckendere Variante B.1.1.7 eingeschleppt wurde und die ohnehin zu lockeren Maßnahmen nicht verschärft wurden. Anfangs noch im Schatten der nur langsam zurückgehenden zweiten Welle hat sich diese Variante in Deutschland weit verbreitet. Verstärkt wurde dieses noch durch die voreiligen Öffnungen von Schulen im Februar und März welche die steigenden Fallzahlen bei jüngeren Menschen (Schüler und deren Eltern usw.) zur Folge hatte. Die Tests sind gegenüber Oktober und November 2020 leicht zurückgegangen, sodass eher mit einer erhöhten Dunkelziffer zu rechnen ist. Dass es sich bei den älteren Menschen nicht in dem Maße auswirkt, ist auf die alterspriorisierung bei der Impfung zurückzuführen.

  5. #5 Intensivpfleger
    1. Mai 2021

    Traurige Realität auf unserer Intensivstation:
    Zwischen 2. und 3. Welle hatten wir genau 24h, in denen keine ECMO lief…
    Und weils eben so schön meine Corona-Realität wiedergibt, will ich hier noch einmal die hervorragende Doku empfehlen:

    https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/auf-der-covid-intensivstation-der-charite-100.html

    Und die vertiefenden Folgen dazu:

    https://www.rbb-online.de/doku/c-d/charite-intensiv-station-43/charite-intensiv-station-43-folge-1-sterben.html

    Dort arbeite ich.

  6. #6 schorsch
    1. Mai 2021

    Wenn die dritte Welle hauptsächlich der Testhäufigkeit unter 20jähriger geschuldet ist, sollte sich eine deutliche regionale Korrelation zwischen der Altersverteilung und der 7-Tagesinzidenz in den Stadt- und Landkreisen zeigen.

    Vergleichen wir doch mal: Inzidenz https://corona.rki.de/ und Alter https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/B76-Durchschnittsalter-Bevoelkerung-Kreise.html

    Die Korrelation ist verblüffend – Städte und Kreise weisen in beiden Karten die gleichen Formen und Grenzziehungen auf! Und besonders im Osten der Republik (tiefrot bzw. dunkelblau) könnte man sogar auch einen Alterszusammenhang annehmen – nur sonderbarerweise gerade umgekehrt, als ihn die Info-Plattform annimmt.

  7. #7 Skeptikskeptiker
    1. Mai 2021

    @Schorsch:
    Fehlt aber noch eine Grafik mit dem Anteil der AfD-Wählerschaft.

  8. #8 RainerO
    1. Mai 2021

    Wenn das mit dem “Herbeitesten” stimmen würde, müssten in Österreich im Vergleich die Inzidenzen völlig durch die Decke gehen. Hier wird massiv mehr (bis zu 10x mehr im Vergleich) getestet, als in Deutschland, die Inzidenzen sind tatsächlich höher, aber die Intensivbettenbelegung ist mit der dritten Welle auch stark angestiegen. Einzig die Sterberaten sind nicht so stark gestiegen, was aber eher an den Impfungen und den besseren Behandlungsmethoden liegen dürfte.
    Jetzt müssen mir Herr Antes et al. nur mehr erklären, wie man die steigende ICU-Belegung mit vermehrten Tests bei unter 20-jährigen erzeugt.

  9. #9 Rob
    Oberland
    1. Mai 2021

    Es sollte doch recht einfach sein, statistisch mit zu erfassen, wie viele PCR-Tests aufgrund eines zuvor durchgeführten positiven Schnelltests gemacht werden. Dann könnte man den Zusammenhang gut einschätzen und hätte auch gleich eine Rückmeldung über die Wirksamkeit der Schnelltests.

    • #10 Joseph Kuhn
      1. Mai 2021

      @ Rob:

      “Es sollte doch recht einfach sein, statistisch mit zu erfassen, wie viele PCR-Tests aufgrund eines zuvor durchgeführten positiven Schnelltests gemacht werden.”

      Das sagt sich so leicht. Wie würden Sie es konkret machen? Sollten alle, die einen PCR-Test machen lassen, bei Strafe verpflichtet werden, anzugeben, ob sie es aufgrund eines vorherigen positiven Schnelltests oder aus anderen Gründen tun? Und sollten z.B. Ärzte, die den PCR-Test durchführen, verpflichtet werden, diese Information an das Gesundheitsamts zur statistischen Erfassung weiterzuleiten? Und wie würde man das kontrollieren?

      “und hätte auch gleich eine Rückmeldung über die Wirksamkeit der Schnelltests”

      Das macht man besser in Studien. Die gibt es und sie sind, was den Vergleich mit den Herstellerangaben angeht, ernüchternd, siehe z.B. Dinnes et al.: Rapid, point‐of‐care antigen and molecular‐based tests for diagnosis of SARS‐CoV‐2 infection.

  10. #11 Herr ɟuǝs
    voll daneben
    1. Mai 2021

    Wer redet denn die ganze Zeit von der dritten Welle?
    Wenn man sich die worldometer-Kurve Germany anguckt, sind wir in der vierten.
    1. Welle März/April 2020
    2. Welle Okt/Nov 2020 nahtlos in die
    3. Welle Dez20/Jan/Feb21
    4.Welle ab März 2021
    Irgendwie hat man von 2 zu 3 (Weihnachten) was verschlafen.

  11. #12 rolak
    1. Mai 2021

     in der vierten

    ..Stunde des Statistikauswertungs-Anfänger*Kurses vielleicht. Wenn Du aus den beiden ‘an hohen Festen arbeiten keine Beamten’-Senken auf ein Wellental zur Erhöhung der Wellenzahl schließt – – da hätte ich noch nen heißen Tip: mit dem ähnlich begründeten weekend-drop kommste lässig auf zwei Dutzend Wellen von Oktober bis Februar. Im Dutzend billiger!

  12. #13 schlappohr
    1. Mai 2021

    Wenn mehr Tests auch mehr Infizierte zutage fördern, so bedeutet das nichts anderes, als das es mehr Infizierte gibt, als aufgrund der bisher durchgeführten Tests anzunehmen wäre. Folglich ist der Zusammenhang mehr Tests => mehr Infizierte keineswegs ein Grund zu irgendeiner Entwarnung. Es zeigt im Gegenteil, dass die Sachlage schlimmer ist als bisher vermutet wurde. Die dritte Welle ist insofern kein Testartefakt. Vermutlich ist eher die Pause zwischen der 2. und 3. Welle ein Artefakt, das auf zu wenige Tests schließen lässt, wodurch man die tatsächlichen Infektionszahlen verpennt und damit der dritten Welle den Weg geebnet hat.
    Genauso gut könnten die Klimaleugner argumentieren, dass bei häufigeren Temperaturmessungen natürlich auch häufiger hohe Temeraturen gemessen werden und der Klimawandel damit ein Messartefakt ist. Wundert mich, dass noch niemand auf diese Idee gekommen ist.

  13. #14 Herr Senf
    schaumermal
    1. Mai 2021

    Hi rolak, “Beamten’-Senken” 😉
    guck Frankreich oder Türkei an, ganz klassisch 3 getrennte Wellen.
    guck England an 3. Welle mit Höhepunkt Anfang Jan, 4. (Impfung) fehlt
    bei Deutschland fehlt die Lücke, dafür sind wir in unsere 4. geschlittert
    auch Spanien hatte “nur” 3 Wellen und bremst jetzt wohl die 4. aus
    Schweden ist ab Nov eher auf durchgehendem Niveau, wollte keine Wellen

  14. #15 PDP10
    1. Mai 2021

    Schweden ist ab Nov eher auf durchgehendem Niveau, wollte keine Wellen

    Diese Art von stehenden Wellen nennt man in der Physik Seiches. Nicht das gleiche aber verwandt mit Tsunamis.

    Nein, war ein Witz. Jedenfalls so halb. Gar nicht so leicht, herauszufinden, was in Schweden aktuell eigentlich los ist und wie sich das “Schwedische Modell” im Moment so schlägt … wenn man kein Schwedisch kann.

  15. #16 PDP10
    1. Mai 2021

    Aus dem Artikel oben:

    in hohem Maße durch eine Zunahme der Testhäufigkeit

    Ich habe bei dieser und ähnlichen Behauptungen immer noch – wie offenbar auch ein paar andere Kommentatoren hier – immer noch ein gewisses Verständnisproblem.

    Sehr verkürzt: Was ist mit der Positivrate? Steigt die, ist es völlig egal, wieviel man testet. Dann gibt es mehr infizierte …

    Nicht so verkürzt: Mir ist klar, dass das nun auch wieder nicht so einfach ist. Testet man zB. nur gezielt, dh. nur bei Symptomen, ist die Positivrate natürlich ungleich höher als wenn man einfach “jede/n” testet.

    Aber: Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass die ganzen Leute, die sich mit den Daten beschäftigen, die auswerten und Gedöns etc. nicht zu blöd sind, sowas raus zu rechnen.

  16. #17 Stefan Zander
    Oberkirch
    2. Mai 2021

    Mal als Hypothese in den Raum gestellt: Wie sähe unser Leben aus, wenn Corona nie mehr verschwindet ? Müssten wir dann für immer in Quarantäne leben oder Ausgangsbeschränkungen akzeptieren ? Oder lebt man damit, ähnlich wie mit der Grippe ?

  17. #18 Stefan Zander
    Oberkirch
    2. Mai 2021

    Sehr verkürzt: Was ist mit der Positivrate? Steigt die, ist es völlig egal, wieviel man testet. Dann gibt es mehr infizierte …

    Aber eben nur, wenn man es in die korrekte Relation setzt.

  18. #19 Stephan
    2. Mai 2021

    JK,
    nein, die Vier haben keine Info-Plattform freigeschaltet. Überhaupt nicht.
    Das waren die vier. Nämlich die vier Leute, von denen Du in den Sätzen vorher sprachst.
    Die glorreichen Vier hätten sich zu solch unappetitlichen Sachen niemals breitschlagen lassen.

    PDP10,
    nein, zu blöd, das rauszurechnen, ist wohl keiner der Statistiker dort. Interessanterweise lautet ja die Maßeinheit für die 7-Tage-Inszidenz “Fälle pro Einwohner”. Sie müssen also die Dunkelziffer mit einbeziehen. Wie- das lassen sie im Dunkeln.

  19. #20 PDP10
    2. Mai 2021

    @Stefan Zander:

    Aber eben nur, wenn man es in die korrekte Relation setzt.

    Tut man das nicht? Und wenn ja, inwiefern wäre das richtiger zu machen?

  20. #21 PDP10
    2. Mai 2021

    @Stephan:

    Sie müssen also die Dunkelziffer mit einbeziehen. Wie- das lassen sie im Dunkeln.

    Ist das so? Also das mit dem “im Dunkeln” lassen.

  21. #22 PDP10
    2. Mai 2021

    BTW: (@Stefan Zander u.a.):

    Zitieren geht am übersichtlichsten so:

    <blockquote>zitierter Text</blockquote&gt

    macht:

    zitierter Text

  22. #23 PDP10
    2. Mai 2021

    Kägge … nochmal:

    <blockquote>zitierter Text</blockquote>

    macht:

    zitierter Text

  23. #24 Dagmar Pattloch
    3. Mai 2021

    Wie von Joseph oben freundlich erwähnt, hatte ich mir im letzten Herbst Gedanken um den Notification Index (NI) gemacht, von der sich die Autorengruppe Orientierung in politischen Entscheidungen erhoffte. Ich war neugierig zu sehen, wie sich der NI im neuesten Schrappe-Papier präsentiert.
    NI ist ein Indikator aus 4 Komponenten, wobei eine davon, die Heterogenität (H) schwer zu beschaffen ist. Die Beschaffung von H stellt sich auch bei M. Schrappe als Problem heraus, denn er setzt mangels Daten H=1. Nun gut. Aber:
    Wenn H=1, dann sollte ja zutreffen, was ich, siehe Gastbeitrag, durch Kürzen ermittelt hatte: Dass der NI dem Quadrat der Testpositivität entspricht (wenn man die Skalierung mit konstantem Faktor mal beiseitelässt). Hier bietet sich also die Gelegenheit, meine Aussage zu überprüfen.
    Ich schaue in Abbildung 2a. Nach meiner Voraussage müsste eine Testpositivität von 15% (in der Grafik auf 150 hochskaliert), einem NI (hochskaliert) von 15²=225 entsprechen. Etwa das ist in der Abbildung 2a zu sehen (Kalenderwoche 53, Testpositivität≈150, NI≈225).
    Anhand meiner Formel kann ich noch mehr Vorhersagen treffen: Sollte es Schnittpunkte der zwei Kurven geben, müssen sie auf der 100er Linie der Grafik liegen, denn 10% Testpositivität entspricht einem NI von 10²=100. Was sagt die Abbildung 2a? Drei solcher Schnittpunkte sind zu sehen, und sie liegen etwa auf der 100er Linie.
    Es ist jetzt nicht mehr schwer zu verstehen, wie die zwei Kurven zusammenhängen. Oberhalb von 10% Testpositivität verläuft die NI-Kurve oberhalb, unterhalb von 10% Testpositivität verläuft die NI-Kurve unterhalb. Das Quadrieren ist bedeutungslos – es „dramatisiert“ lediglich den (an sich schon guten) Indikator Testpositivität. Der Notification index ist keine Kombination von Indikatoren, sondern eine zur Testpositivität redundante Information, somit entbehrlich.

    • #25 Joseph Kuhn
      3. Mai 2021

      @ Dagmar Pattloch:

      Danke für die “Kurvendiskussion”. Schon von der Formel her war ja ersichtlich, dass vom NI, wenn man die Heterogenität = 1 setzt, nur die quadrierte Testpositivität übrigbleibt. Die Grundidee ist richtig: Eine gut kommunizierbare Kennziffer, die mehr Information bündelt als nur die Meldeinzidenz, wäre wünschenswert, aber der Notification Index leistet das in der vorliegenden Form, vor allem ohne die schwer bezifferbare Heterogenität, nicht über die ohnehin vorhandene Positivenrate hinaus.

  24. #26 Staphylococcus rex
    3. Mai 2021

    Warum so kompliziert? Die drei großen Sars-Cov-2 Wellen in Deutschland sind anhand mehrer Kriterien deutlich unterscheidbar, die Inzidenz ist dabei nur eines dieser Kriterien.
    Welle 1: Frühjahr 2020, Wildtyp
    Welle 2: Oktober 2020 bis ca. Februar 2021, hauptsächlich Variante B.1.177 (leicht abgewandelte Variante des Wildtyps, ursprünglich aus Spanien kommend
    Welle 3: ab ca. März 2021 fast nahtloser Übergang, aber kompletter Wechsel der Virusvariante B.1.1.7 (britische Variante)
    https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/coronavirus/mutationen-corona-virus

    Die Inzidenzen sind wichtig, eine Inzidenz >50 zeigt eine Überlastung der Gesundheitsämter und ist das Ende der Einzelfallverfolgung, die Gesamtinzidenz ist ein Marker für die Gesamtaktivität der Epidemie. Aber seit dem Beginn der Impfkampagne ist die Inzidenz nicht mehr der Marker für die Belastung des Gesundheitssystems. Eine Besonderheit der 3. Welle besteht darin, dass die Covid-Normalstationen ausreichend Kapazität haben, der einzige echte Flaschenhals ist die ITS-Kapazität. Aus diesem Grund schaue ich regelmäßig in die Divi-Tagesberichte:
    https://www.divi.de/register/tagesreport

    Auch dort sieht man sehr schön die drei Wellen. Und diese drei Wellen sind unabhängig von irgendwelchen Teststrategien. Und auf der Deutschlandkarte sieht man sofort, wo es eng ist, >30% Covid-Patienten bedeutet Streß für alle Beteiligten, >50% bedeutet Arbeit am Limit.

    Noch eine Anmerkung zu den Testen am Schulen: Die britische Variante ist deutlich ansteckender als die vorhergehenden Varianten. Was wir über NPI’s in der zweiten Welle gelernt haben, ist nur teilweise auf die britische Variante übertragbar. Natürlich treiben die Antigenteste an den Schulen die Inzidenz in die Höhe (nach Bestätigung in der PCR), gerade bei Kindern und Jugendlichen ist die Dunkelziffer besonders hoch. Aber diese Kinder und Jugendlichen sind ja wirklich infiziert und echte Überträger, und wenn sie selbst nicht erkranken, dann passiert dies bei ihren Eltern und Großeltern, die noch nicht geimpft sind. Es sind die Eltern und Großeltern, die derzeit auf der ITS liegen. Wenn man auf die Sterbefälle in den Altergruppen schaut (Dienstagsberichte des RKI), dann sieht man, dass Frauen >60 und Männer >55 ein erhöhtes Sterberisiko haben. Für die aktuelle Impfkampagne kann man deshalb zwei Meilensteine proklamieren: 30 Millionen Erstimpfungen (in den gefährdeten Altersgruppen) entlasten die Krankenhäuser und 60 Millionen Zweitimpfungen beenden die Epidemie (eine endemische Zirkulation wird es sicher weiter geben).

  25. #27 Rollkragen
    4. Mai 2021

    “Die Inzidenzen sind wichtig, eine Inzidenz >50 zeigt eine Überlastung der Gesundheitsämter und ist das Ende der Einzelfallverfolgung”
    ich arbeite im Gesundheitsamt und kann Ihnen mitteilen, dass wir noch nie verstanden haben, warum man und wer diese Zahl fachlich begründet festgelegt hat. Mit entsprechend viel Personal kann man auch weit höhere Inzidenzen bewältigen. Die Begründung für den neuen Wert 165 war z.B., dass an einem Montag in 16 Bundesländern dies der Durchschnittswert war…

    • #28 Joseph Kuhn
      4. Mai 2021

      @ Rollkragen:

      “Mit entsprechend viel Personal kann man auch weit höhere Inzidenzen bewältigen.”

      Das klingt ein bisschen wie “wenn alle genug Geld hätten wäre keiner arm”.

  26. #29 Staphylococcus rex
    4. Mai 2021

    @Rollkragen #27
    Die Zahl 50 ist zugegebenermaßen etwas willkürlich, hat aber durchaus eine Berechtigung. Ich arbeite nicht im Gesundheitsamt, sondern als Mikrobiologe im Labor und versorge die Gesundheitsämter mit frischen Meldefällen und habe deshalb regelmäßig Kontakt mit Mitarbeitern des Gesundheitsamtes. Und ich habe mitbekommen, wie sich die Tätigkeit der Gesundheitsämter während der Epidemie verändert hat.

    Die wichtigsten Fragen dabei sind, welche Personalausstattung hat ein G-Amt und welche Ansprüche hat es an seine Tätigkeit.
    Was das Personal betrifft, der Sollwert sind 5 Mitarbeiter pro 20 000 Einwohner (oder 25 Mitarbeiter pro 100 000):
    https://www.ndr.de/nachrichten/info/Zu-wenig-Personal-in-vielen-Gesundheitsaemtern,gesundheitsaemter100.html

    Ob dieser Sollwert erreicht wurde, das wissen die Mitarbeiter der G-Ämter besser als ich, dass ein Großteil der aktuellen Aufstockungen fachfremd ist, sollte auch klar sein. Da ein Gesundheitsamt auch andere Aufgaben als Covid hat, steht nur ein Teil dieser Mitarbeiter für Covid zur Verfügung. Eine Inzidenz von 250 bedeutet, dass durchschnittlich jeder der o.g. 25 Mitarbeiter eines Einzugsgebietes von 100 000 pro Arbeitstag zwei Meldefälle zu bearbeiten hat, unabhängig von allen weiteren Dienstaufgaben.

    Dies wiederum bedeutet, das Zählen der Fälle (was heutzutage über DEMIS läuft) kostet noch am wenigsten Zeit.
    https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/IfSG/DEMIS/DEMIS_node.html
    Das Anrufen der Meldefälle, deren Aufklärung und Suche nach ENGEN Kontaktpersonen sowie die Anordnung einer Quarantäne kostet schon deutlich mehr Aufwand. Und ich habe miterleben müssen, dass bei Inzidenzen >500 das lokale Gesundheitsamt hier schon viele Kompromisse eingehen musste.

    Das eigentliche Ziel der Gesundheitsämter sollte eigentlich eine „search an destroy“-Strategie sein, das Auffinden und Testen ALLER Kontaktpersonen, analog zu Masern in der Zeit vor Corona. Nur so ist eine Zero Covid Strategie wirklich umsetzbar. Das kostet aber sehr viel Personal und ist nur bei niedriger Inzidenz umsetzbar. Ich erinnere mich daran, dass vor der zweiten Welle die Zahl 35 oder 50 als Grenzwert in den politischen Diskussionen im Raum schwebte. Und ich erinnere mich daran, wie Mitte Oktober 2020 in meiner Region die Zahlen innerhalb weniger Tage in die Höhe schossen und die Kontrolle über die Epidemie verloren ging.

    Ich möchte hier nicht die Arbeit der Gesundheitsämter kleinreden, ganz im Gegenteil. Aber ich vermisse in der öffentlichen Diskussion eine klare Ansage der Betroffenen, mit welchen personellen Ressourcen welche Aufgaben machbar sind. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist die Inzidenz 50 die Obergrenze für die Eindämmung einer Epidemie ohne zusätzlichen Lockdown. Bei Inzidenzen >50 steht dagegen nicht die Eindämmung, sondern das Management der Epidemie im Vordergrund. Ich bin aber auch neugierig auf Gegenargumente, wie bei deutlich höheren Inzidenzen eine echte Einzelfallverfolgung möglich sein soll.

  27. #30 Rollkragen
    5. Mai 2021

    @ Joseph Kuhn.
    – Das klingt ein bisschen wie “wenn alle genug Geld hätten wäre keiner arm”.-
    na ja, glauben Sie wirklich, dass eine derart simple Schlussfolgerung bzw so ein unpassender Vergleich gezogen werden kann? Das Contact Tracing und Management ist so intensiv und nur möglich, wenn das Personal massiv aufgestockt wird. Dass dies meist Fachfremde sind und sowieso nur für begrenzte Zeit möglich ist, weiß jeder.
    @ Staphylokokkus rex: eines der Hauptprobleme ist, dass über die Gesundheitsämter gesprochen wird, aber die wenigsten wissen, was hier tatsächlich passiert und möglich ist.
    Ich kann Ihnen keine allgemeingültige Antwort geben, aber eine Inzidenz von 100 ist von uns zu bewältigen. Weniger und Zero Covid wäre natürlich noch besser, aber dafür brauchen wir den Impffortschritt in Verbindung mit den Genesenen und dem Sommer..

    • #31 Joseph Kuhn
      5. Mai 2021

      @ Rollkragen:

      Ich will der Forderung nach Personalaufstockung keinesfalls widersprechen, dergestalt wäre ich völlig falsch verstanden.

      Mehr Personal für die Gesundheitsämter ist übrigens auch dauerhaft und über den Infektionsschutz hinaus nötig. Der „Pakt für den ÖGD“ macht da zumindest Hoffnung.

  28. […] sprechen die numerischen Überprüfungen, siehe dazu auch den Kommentar von Dagmar Pattloch im Thread zum Blogbeitrag vom 1. Mai 2021. […]

  29. #33 Joseph Kuhn
    7. Mai 2021

    Der Lauterbach-Talkshow-Index (LTI)

    Ein Kollege hat mich auf einen Eintrag beim Postillon hingewiesen, mit einem absolut validen Indikator für die Infektionsdynamik, den LTI: https://www.der-postillon.com/2021/05/lauterbach-talkshows.html

  30. #34 Fluffy
    7. Mai 2021

    👍

  31. #35 PDP10
    8. Mai 2021

    Das meiste, was man beim Postillon so zu lesen bekommt finde ich ja inzwischen eher dünn …

    Aber gefühlt einmal im Monat hauen die einen raus …

    @Joseph:
    Danke dafür. Schon lange nicht mehr einfach so unter meinem Schreibtisch gelegen. Vor Lachen.

  32. #36 Andromed
    21. Mai 2021

    Stefan Zander
    Oberkirch
    2. Mai 2021

    Mal als Hypothese in den Raum gestellt: Wie sähe unser Leben aus, wenn Corona nie mehr verschwindet ? Müssten wir dann für immer in Quarantäne leben oder Ausgangsbeschränkungen akzeptieren ? Oder lebt man damit, ähnlich wie mit der Grippe ?

    Nein. So oder so nicht. Für immer Isolation sicher nicht. Wie mit einer Saisongrippe auch nicht.
    Die Saisongrippe ist, soweit ich das weis, immer ein anderes Virus. Das ergibt die alljährliche Anfälligkeit eines Teils der Menschen.
    Und nur, wenn sich das Corona-Virus genauso regelmäßig mutiert, dann wäre es tatsächlich so.

    Für immer Isolation fällt weg wegen der Herdenimmunität, die auf unterschiedlicher Weise eintreten kann: Etwa auch dadurch, das alle, die anfällig für das Virus sind, irgendwann aussterben.

    Ab dann kann keiner mehr erkranken oder infiziert werden. Also ist diese Seuche Geschichte.

    In welcher Weise sich die Entwicklung bei diesem Corona-.Virus ergibt, wird sich zeigen (oder kann sogar schon verhergesehen werden).