John Ioannidis ist ein Star der epidemiologischen Medizinkritik. Sein Artikel „Why Most Published Research Findings Are False“ 2005 ist weltberühmt und gehört zu den meistzitierten Artikeln der Epidemiologie. Oder sollte man sagen, er war ein Star? Während der Coronakrise hat sein Ruf ziemlichen Schaden erlitten, weil er sich zu Corona immer wieder mit voreiligen und nicht gut begründeten Beiträgen zu Wort gemeldet hatte, die zur Frage berechtigen, are most published research findings by John Ioannidis false?
Gut, ein billiger Witz auf Kosten eines berühmten Mannes. Das Thema seiner Publikation 2005 hat er seitdem wiederholt aufgegriffen. Aktuell ist er an einem Review beteiligt, das untersucht, wie in Cochrane-Reviews die Evidenzbasierung medizinischer Behandlungen bewertet wird. Es zeig sich einmal mehr, dass es damit in vielen Fällen nicht wirklich gut aussieht. Das ist ein ernstes Problem und motiviert das ganze Anliegen der evidenzbasierten Medizin. Erfreulicherweise gibt seit Jahren dazu auch gute populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, es sei nur an Ben Goldacres „Die Pharma-Lüge“ erinnert, an die medizinkritischen Bücher von Peter Gøtzsche oder Werner Bartens, oder die wunderbaren Kolumnen von Ulrich Dirnagl im Laborjournal.
Aufmerken lässt allerdings, mit welchen Autor/innen Ioannidis jetzt bei diesem Thema unterwegs ist: unter anderem mit Harald Walach. Auch er ist ein Star der Medizinkritik, allerdings der obskurantistischen Spielart. Er versorgt nicht nur meinen Blog seit Jahren zuverlässig mit Material. Das ist auch hier wieder der Fall.
Schon in der Überschrift seiner Kommentierung des Reviews gibt Walach dem Review eine Konnotierung, die den Tenor der Untersuchung völlig verdreht. Er titelt: „Meta-Review: Das Rückgrat der Evidence Based Medicine ist schwach“. Schwach ist aber nicht, wie diese Überschrift nahelegt, die evidenzbasierte Medizin. Im Gegenteil: Es mangelt vielfach an evidenzbasierter Medizin, sei es, weil Studien zu bestimmten Behandlungen ganz fehlen, sei es, weil sie von schlechter Qualität sind. Und auch Walachs reißerisches Fazit, nicht einmal bei 6 % aller medizinischen Interventionen hätten sie einen hohen Grad an klinischer und wissenschaftlicher Sicherheit gefunden, dass die Intervention wirksam und klinisch brauchbar ist, ist durch das Review nicht gedeckt, denn sie haben gar nicht die Gesamtheit aller Interventionen untersucht, sondern nur, was in den Cochrane Reviews war.
Dass es viel Anlass zur Kritik an der Studienlage in der Medizin gibt, dazu hat Harald Walach selbst immer wieder tatkräftig beigetragen, erst kürzlich wieder durch eine halbseidene Metaanalyse zur homöopathischen Behandlung von ADHS, die er nebenbei in seinem Kommentar einflicht, als gehöre sie qualitativ in die Kategorie eines Cochrane-Reviews. Aber darüber hat er vermutlich mit John Ioannidis nicht gesprochen.
Kommentare (31)