Dass der Name des geplanten Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit „BIPAM“, also „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“, nicht auf dem Stand der Gesundheitswissenschaften des 21. Jahrhunderts ist, sondern die eigentlich vergangene Gedankenwelt einer bevormundenden, ärztlich paternalistischen Gesundheitserziehung zum Ausdruck bringt, ist von vielen Seiten angemerkt worden.

Im BMG hat man das offensichtlich wahrgenommen. Beim Fachgespräch des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung am vergangenen Mittwoch gab es dementsprechend revolutionäre Töne zu hören:

„Wir wollen die Kommunikation etwas verändern. Wir wollen nicht mehr nur noch Botschaften senden nach dem Motto: Benehmt euch, bewegt euch, ernährt euch gesund“

„Wir wollen eben nicht bevormundend unterwegs sein, auch wenn wir in den letzten Jahrzehnten […] mit solchen Botschaften und Kampagnen unterwegs waren“

„Man müsse nun genau hinsehen und orientiere sich an einem Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Behavioural and Cultural Insights. Dieser ziele darauf ab, Faktoren zu verstehen, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen. Beispielsweise beim Thema Ernährung könne die Frage lauten: Wie ernährt ihr euch und warum“

Die „Warum“-Frage würden vermutlich auch hierzulande immer mehr Menschen damit beantworten „um nicht zu verhungern“. Die Lebensmittelpreise sind seit Juni 2021 um 30 % angestiegen. Das schränkt die Auswahl für viele Menschen ein, vor allem die Auswahl zwischen billig und gesund.

Aber viel irritierender ist, dass der jetzt als neu verkündete Ansatz „Verstehen statt Bevormunden“ nicht neu ist, sondern das Grundprinzip der „Gesundheitsförderung“, wie sie seit der Ottawa-Charta der WHO 1986 propagiert und u.a. von den Krankenkassen nach § 20 SGB V seit 1989 auch mehr oder weniger gut umgesetzt wird. Die Gesundheitsförderung verstand sich explizit als Abkehr von der alten Gesundheitserziehung. „Gesundheit fördern statt kontrollieren“ war ein Buch von Alf Trojan und Brigitte Stumm aus dem Jahr 1992 betitelt. Vielleicht steht es in der Bibliothek des BMG.

Noch weiter zurück geht die Entwicklung der Gesundheitssoziologie und Gesundheitspsychologie, also der Wissenschaften, die versuchen, die „Faktoren zu verstehen, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen“. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Flut an Befunden dazu produziert, welche subjektiven Gesundheitskonzepte Menschen haben, wie sie über Prävention denken, warum sie manches tun, was sie besser lassen würden und manches lassen, was sie besser tun würden. Denglisch-Floskeln wie „Behavioural and Cultural Insights“ mögen neue Forschungsgelder erschließen, neue Forschungsgebiete erschließen sie nicht. Und falls es dem BMG eher darum geht, über das BIPAM aktuelle Meinungsumfragen einzuholen: Ob das BMG gut daran tut, sich ein eigenes Meinungsforschungsinstitut zu halten, wäre auch kritisch zu diskutieren.

Des Weiteren geht es, die Gesundheitswissenschaften predigen es seit vielen Jahren wie ein Mantra, nicht nur um das Gesundheitsverhalten, sondern vor allem auch um die Lebensumstände. Verhaltensprävention ist die eine Seite der Medaille, Verhältnisprävention die andere. Vieles am Gesundheitsverhalten der Menschen versteht man nicht, wenn man ihre Lebensumstände nicht versteht.

„Verstehen statt Bevormunden“ bleibt natürlich trotzdem ein guter Ansatz, auch wenn er alles andere als neu ist. Aber die Stärke von Karl Lauterbach ist es nicht. Der Ansatz spiegelt sich bisher auch in der Konzeption des BIPAM nicht wirklich wider.

Alles Verstehen hilft nicht, wenn das BIPAM kein Geld hat, um daraus gute Programme der Prävention und Gesundheitsförderung zu machen, zu initiieren und in der Umsetzung zu begleiten. Sonst regieren auch in Zukunft Projektitis und bunte Broschüren mit gutgemeinten Ratschlägen. Und es gibt – bisher – für das BIPAM weder einen Plan noch die Mittel für eine Abteilung „Bürgerbeteiligung in der Prävention“.

Man mag das BIPAM wenden wie man will, es kommt – bisher – immer alter Wein in alten Schläuchen zum Vorschein. Aber vielleicht erneuert der Bundestag ja noch etwas mehr als den Namen.

Kommentare (2)

  1. #1 RGS
    29. Juni 2024

    Hat denn der Errichtungsbeauftragte Dr. Nießen etwas neues zum BIPAM zu sagen?

    Da die BZgA ja im BIPAM „aufgeht“ wäre es interessant zu erfahren, wie dieses denn aussehen soll.
    Oder wird erstmal nur das Türschild gewechselt?

    • #2 Joseph Kuhn
      29. Juni 2024

      @ RGS:

      Der Errichtungsbeauftragte kann nicht mehr sagen als das BMG. Er ist nicht Herr des Verfahrens.

      Mehr als ein neues Türschild soll es schon geben, es sollen ja zwei Abteilungen des RKI dazukommen. Aber man darf bezweifeln, dass das eine gute Idee ist. Praktisch alle Fachgesellschaften kritisieren die damit verbundene Trennung übertragbarer und nicht übertragbarer Krankheiten, zumal deren enger Zusammenhang in der Coronakrise für jedermann deutlich erkennbar geworden ist.

      —–
      Nachtrag 30.6.2024: Der Errichtungsbeauftragte hatte im Februar für “quick wins” beim Aufbau des BIPAM ins Spiel gebracht, denglisch für eine gängige Methode des Projektmanagements. Sie geht allerdings, um ebenfalls etwas Denglisch zu bemühen, mit dem Risiko von Rebound-Effekten einher, wenn nichts Substantielles nachkommt, keine sustainable wins, z.B. weil das Geld fehlt. Dann wirken sie als motivationsverbrennendes Strohfeuer mit nachfolgendem kollektiven Frust.