Am Donnerstag hat die AfD ihr Wahlprogramm für die vorgezogene Bundestagswahl vorgelegt. Die Medien haben sich in ihrer Berichterstattung auf die Reizthemen Euro, EU, Russland, Ukraine und Abtreibungen konzentriert. Da gibt es in der Tat reichlich Diskussionsstoff. Hier im Blog soll es aber wieder einmal um die gesundheitspolitischen Aussagen der AfD gehen. Dem Thema widmet die AfD gut vier von 85 Seiten.
Krankenkassenbeiträge
„In Deutschland sind die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung mit insgesamt 18,7 bis 20,1% etwa doppelt so hoch wie in Österreich oder der Schweiz, ohne dass dies durch entsprechende höhere Leistungen gerechtfertigt wäre.“
Der Vergleich mit Österreich stimmt, aber das hat u.a. auch damit zu tun, dass es in Österreich de facto eine Bürgerversicherung gibt. Das will die AfD definitiv nicht, sie will die private Krankenversicherung unbedingt erhalten. Ein weiterer Grund für die niedrigeren Beitragssätze in Österreich ist eine höhere Beitragsbemessungsgrenze, d.h. höhere Einkommen beteiligen sich stärker als hierzulande. Auch daran will die AfD nichts ändern. Das Berliner IGES-Institut hatte mal ausgerechnet, dass Bürgerversicherung plus Beitragsbemessungsgrenze in Höhe der Rentenversicherung die Krankenversicherungsbeiträge um etwa drei Prozentpunkte senken könnten.
Der Vergleich mit der Schweiz hinkt auf allen Beinen. Dort gibt es Kopfpauschalen in Höhe von umgerechnet ca. 340 Euro – für jede Person. Eine beitragsfreie Mitversicherung für Familienangehörige gibt es nicht. Je nach Kanton sind die Kopfpauschalen zudem unterschiedlich hoch.
Sparpotentiale
Um die Beiträge zu stabilisieren, will die AfD die Kosten der Bürgergeldempfänger ganz aus Steuermitteln bestreiten, gut so, und macht des Weiteren die Verwaltungskosten der Kranken- und Pflegeversicherung für hohe Beiträge verantwortlich:
„Ein weiterer Ansatzpunkt zur Senkung der Krankenversicherungsbeiträge sind die exorbitant hohen Verwaltungskosten, die wir durch eine Zusammenführung von Kranken- und Pflegeversicherung, sowie die Vereinfachung der enorm aufgesplitterten Selbstverwaltungsstrukturen bei Kassenärzten, Krankenhaus-, Rehabilitations- und Pflegedienstleistungen massiv senken wollen.“
Da gehen mit der AfD die populistischen Gäule durch. Die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen gelten gemeinhin als niedriger als die der privaten Krankenversicherung, sie sind zudem in ihrer Gesamtheit nur schwer zu beziffern und das Einsparpotential durch die Zusammenführung von Kranken- und Pflegeversicherung dürfte bei Null liegen, weil hier die Verwaltung schon aus einer Hand erfolgt. Formal erstatten die Pflegekassen den Krankenkassen nach § 46 SGB XI eine Verwaltungskostenpauschale.
Was die AfD konkret mit den „enorm aufgesplitterten Selbstverwaltungsstrukturen“ meint, ist unklar. Wenn sie die Kassenärztlichen Vereinigungen oder die Krankenhausgesellschaften abschaffen will, wird sie andere Verwaltungsstrukturen brauchen, falls sie die durch Sozialwahlen organisierten Selbstverwaltungsgremien im Visier hat, würde sie ein Stück Mitbestimmung im Alltag beseitigen. Ob aus den Plänen irgendein Einspareffekt resultieren würde, ist offen.
Immer wieder einmal wird diskutiert, ob weniger Krankenkassen Verwaltungskosten in relevantem Umfang einsparen würden. Fachleute bezweifeln das und auch die Erfahrungen aus Österreich stimmen hier skeptisch.
Pflege
Eine der ganz großen gesundheitspolitischen Herausforderungen. Bei der Problematik der Pflegefinanzierung scheint sich die AfD die Lösung im Wesentlichen durch die angesprochene Zusammenführung von Kranken- und Pflegeversicherung zu versprechen.
Ob das reicht? Zumal sie auch die häusliche Pflege „deutlich höher finanziell honorieren“ will. Das kann man gerne tun, aber bitte auch sagen, wo das Geld dafür herkommen soll und nicht hoffen, dass es bei der stationären Pflege eingespart werden kann. Außerdem sollte man vermeiden, damit die Frauenerwerbstätigkeit weiter zu erschweren, häusliche Pflege lastet nämlich vor allem auf den Schultern der Frauen.
Wie alle will auch die AfD den Personalaufwuchs in der Pflege fördern. Gute Ideen zur Umsetzung statt guter Wünsche wären gefragt. Und Pflegekammern lehnt sie ab. Ob sie auch die Ärztekammern abschaffen will?
Krankenhausreform und ambulante Versorgung
„Notwendig ist die vollständige Abschaffung der Fallpauschalen und mittelfristig die Rückkehr zu individuellen Budgetvereinbarungen zwischen den Krankenhäusern und den Spitzenverbänden der GKV auf Landesebene.“
Spitzenverbände der GKV auf Landesebene gibt es nicht. Ob die AfD mit ihrem Vorschlag auch den Aufbau von Budgetverhandlungsabteilungen an den Krankenhäusern befürwortet, vielleicht finanziert von den Kassen durch einen Bürokratiezuschlag? Und ob sie Aspekte unterschiedlicher Verhandlungsmacht im Auge hat, vor allem wenn kleine Krankenhäuser mit den Kassen verhandeln sollen? Zur drängenden Frage, ob die Krankenhaus-Strukturen wie gehabt erhalten werden sollen, auch kleine Häuser mit unzureichender Qualität bei komplexen Behandlungen, sagt die AfD lieber nichts.
Für den ambulanten Bereich stellt die AfD fest:
„Terminengpässe und monatelange Wartezeiten sind für die Patienten unzumutbar.“
Dem ist nicht zu widersprechen. Abhilfe? Fehlanzeige.
Arzneimittelversorgung
Die AfD will den Versandhandel auf nichtrezeptpflichtige Arzneimittel beschränken und die Produktion nach Deutschland und in „sichere Herkunftsländer“ (steht wörtlich da) zurückholen. Das ist eine aktive Industriepolitik, und zwar eine, die die Krankenkassenbeiträge wohl steigen lassen wird – was die AfD doch verhindern will. Viel Erfolg bei der Quadratur des Kreises.
Organspende
Die AfD lehnt die Widerspruchsregelung ab. Ein kompliziertes Thema. Gut wäre gewesen, die AfD wäre nicht nur gegen eine Lösung, sondern würde auch Vorschläge formulieren, wie man die Zahl der Organspenden steigern kann.
Geschlechtsidentität
Hier möchte die AfD Pubertätsblocker und „nicht medizinisch indizierte Eingriffe zur Änderung des Geschlechts“ verbieten. Was sind „nicht medizinisch indizierte Eingriffe zur Änderung des Geschlechts“? Schönheitsoperationen?
Sterbehilfe
Die AfD lehnt „Tötung auf Verlangen“ ab. Tötung auf Verlangen ist ohnehin verboten. Was ist mit dem eigentlichen Thema?
Cannabis
Die AfD will die Freigabe von Cannabis zu nicht medizinisch indizierten Zwecken wieder abschaffen. Da ist sie nicht allein, die Union will das auch. Schade, dass sie kein Wort zu Alkohol und Nikotin sagt. Aber das sind vermutlich Drogen, die richtige Deutsche schadlos konsumieren können, wie vor einiger Zeit auch der Chef der Alternative für Bayern, Hubert Aiwanger, schon festgestellt hatte.
Impflicht
Bei dem Thema schwurbelt die AfD ziemlich. Sie phantasiert eine drohende Influenzaimpfpflicht und sie möchte die Versorgung von Impfschäden von den Krankenkassen auf die Berufsgenossenschaften übertragen. Ob sie wirklich „Impfschäden“ meint, oder allgemein Impfnebenwirkungen? Bei den Impfschäden sind auch die Versorgungsämter beteiligt. Und die Berufsgenossenschaften tragen grundsätzlich nur beruflich bedingte Risiken (sowie bestimmte Versicherungsleistungen aus dem Ehrenamt). Für Gesundheitsschäden nach beruflich bedingten Impfungen sind die Unfallversicherungsträger schon in der Leistungspflicht, die Übernahme der gesamten Versorgung wäre eine versicherungsfremde Leistung – die die AfD ansonsten ablehnt.
Heilpraktiker
Die AfD will den Heilpraktiker erhalten, aber das Heilpraktikergesetz „insbesondere im Hinblick auf die Einheitlichkeit von Qualitäts- und Prüfungsstandards“ ergänzen. Konkrete Vorschläge macht sie nicht.
Patientendaten und Telematik
Die Telematik-Infrastruktur lehnt die AfD ab. Das passt nur bedingt zu ihrer andernorts formulierten Position zur Digitalisierung: „Die Digitalisierung ist aus der modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken.“ Im Gesundheitswesen geht das „Wegdenken“ dann doch?
WHO
Die WHO müsse, so die AfD, grundsätzlich reformiert werden, um den Einfluss privater Geldgeber zurückzudrängen. Gut so, aber dann sollte sie dazusagen, dass die Staaten ihre Beiträge erhöhen müssen, Geld kommt bekanntlich nicht aus der Steckdose. Den Pandemievertrag lehnt die AfD ab und fordert ggf. den Austritt Deutschlands aus der WHO. Da sie auch aus der EU raus will und gegen Zuwanderung ist, wäre das ein weiterer Baustein eines isolationistischen Politikkonzepts. Ob die AfD trotzdem noch deutsche Autos im Ausland verkaufen will?
Personal aus dem Ausland
Ganz isolationistisch geht es im Gesundheitswesen nicht, gerade auch in den ostdeutschen Bundesländern nicht. Das weiß auch die AfD. Sie fordert gute Sprachkenntnisse bei ausländischen Fachkräften. Wer wäre dagegen? Dann muss man eben mehr Kurse anbieten, statt dagegen zu sein. Des Weiteren fordert die AfD mehr Medizinstudienplätze für deutsche Staatsbürger. Im Gegenzug holt sie vermutlich die vielen deutschen Medizinstudierenden in Österreich oder Ungarn wieder zurück?
Corona aufarbeiten
Die AfD wiederholt ihre Forderung nach einer Aufarbeitung der Coronakrise. Die dazu nötige Konkretisierung, was das bedeutet, bleibt sie schuldig.
Entbürokratisierung
„Die AfD setzt auf Deregulierung, Bürokratieabbau, Selbstverwaltung und auf Eigenverantwortung.“
Auch hier wären konkrete Vorschläge hilfreich, statt nur pauschal gutklingende Sprüche zu klopfen, die teilweise auch noch andernorts formulierten Forderungen – Stichwort Selbstverwaltung – widersprechen.
Das große Ganze
Zur Gesundheitspolitik findet man somit überwiegend Allgemeinplätze, wenig Konkretes, einige Kuriositäten, manches undurchdacht. Viele aktuelle Baustellen, z.B. die Engpässe in der Kindermedizin oder im psychotherapeutischen Bereich, die Zukunft des ÖGD, Prävention, Arbeitsschutz, Gesundheitsforschung oder das geplante Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit, kommen gar nicht vor. Besondere Kompetenz im Gesundheitsbereich hat die AfD nach wie vor nicht vorzuweisen und vermutlich ist ihr das im Moment auch ziemlich egal.
In den anderen Teilen des Wahlprogramms finden sich allerdings auch allerhand Schnurren und Wunderlichkeiten. Interessant ist z.B. der Glaube der AfD an Gold, als magische Wertsicherung des Geldes durch greifbares Metall. Zugleich möchte sie die Deregulierung von Bitcoins. Gollum said. Bei Glaubensangelegenheit ist eben wichtig, woran man glaubt.
Beim Klimawandel stellt die AfD fest, dass mehr CO2 die Welternährung verbessert und will aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen. Trump said. Was Trump aber gewiss nicht gefällt, ist, dass die AfD die Nordstream-Leitungen wieder herstellen will.
Und selbstverständlich wird es die AfD schaffen, die Infrastruktur zu erneuern, in die Zukunft zu investieren und trotzdem alle Steuern zu senken. Vermögens- und Erbschaftssteuer lehnt sie pauschal ab, ihre Spender darf sie ja nicht vor den Kopf stoßen. Für die kleinen Leute soll dafür der Sparerpauschbetrag auf 2.400 Euro erhöht werden, um einen „wirksamen privaten Vermögensaufbau“ zu erzielen: „Es geht dabei um finanzielle Selbstbestimmung, um die Stärkung der privaten Altersvorsorge und um die Förderung nachhaltiger Investitionen ohne die Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen.“
Dieses Wahlprogramm hätte man auch eine Woche vorher veröffentlichen können, zu Beginn der Karnevalssaison.
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