Welches Tier kam hier als Räuber in Frage?
In der Wildtierbiologie kann die Frage nach dem Jäger oft mit DNA-Spuren geklärt werden, die der Jäger mit seinem Speichel in der Wunde hinterlässt. Ob das auch im Meer funktionieren würde?
In einigen Wunden waren tatsächlich Reste von Kegelrobben-DNA zu finden!
Die Pathologen haben die Verletzungsmuster, die wegen der DNA sicher von einer Robbe stammten, sorgfältig analysiert.
Grundsätzlich gibt es folgen Kegelrobben-Spuren am Wale:
- „Blubber-Defekt“
- Punktförmige Wunden am Schwanzstiel
- Punktförmige Wunden am Kopf
- Punktförmige Wunden an einem oder beiden Flippern (Brustflossen)
- Parallele Kratzer
Der „Blubber-Defekt“ ist die größte Wunde am Walkörper und auch die Todesursache.
Eine solche schwere Verletzung an der Kehle, am Bauch oder in der Seite wird als Kegelrobben-Fraß eingestuft, wenn mindestens 5 bis 10 Zentimeter Gewebe fehlen. Kleinere Verletzungen könnten auch von Seevögeln stammen und werden hier nicht berücksichtigt.
Die punktförmigen Verletzungen aus oft mehreren Reihen an Kopf, Flippern und Schwanzstiel sind Bißmarken – Robben haben ein Gebiss mit starken Eckzähnen, die restlichen Zähne haben Spitzen. Diese punktförmigen Wunden haben einen Abstand von 0,5 bis 2,0 Zentimeter.
Die Kratzspuren aus drei bis fünf parallelen Kratzern sind am ganzen Körper zu finden. Sie sind klar auf die Krallen der Robbe zurückzuführen. Die Vorderbeine der Robben sind zwar zu Brustflossen umgewandelt worden, haben aber nach wie vor fünf „Finger“ mit Krallen.
Wie kann eine Kegelrobbe einen Wal fangen?
Die Verletzungen der Wale lagen entweder im Kehl-Bereich, also bauchwärts, oder eher seitlich. Die Mageninhaltsanalysen ergaben: Die Wale mit seitlichen Wunden hatten Grundfische gefressen, hielten sich also am Meeresboden auf. Die Robben haben dann von der Seite her zugeschlagen. Wale, die pelagische Fische im Magen hatten, zeigten Wunden von unten – die Kegelrobben hatten von unten her angegriffen.
Wie die Robben nun die Wale verfolgen und letztendlich erlegen, ist bis jetzt nicht geklärt. Fakt ist aber: sie müssen sich sehr leise anschleichen und die Wale vollständig überraschen. Ihre bevorzugte beute sind noch nicht ganz erwachsene Schweinswale in sehr gutem Ernährungszustand.
Diese Tiere sind dann offensichtlich etwas weniger schnell als ihre schlankeren Artgenossen und bieten mit ihrer fetten Speckschicht die beste Energieressource für die Kegler.
Wie nun aber so eine Waljagd ganz genau abläuft, weiß bisher niemand.
Dieses noch recht neue Verhalten ist einfach von noch keinem Menschen beobachtet worden.
Dieses Video zeigt das Ergebnis der Jagd: Die Robbe frisst von dem an der Meeresoberfläche treibenden Wal.
Kegelrobben-Prädation: Todesursache mit steigender Tendenz
Leopold et al haben auf der Basis ihrer über 10 Jahre gesammelten Daten festgestellt, dass die Jagd der Kegelrobbe mittlerweile eine häufige Todesursache für die Schweinswale ist.
Bei 1081 untersuchten Walen konnten die Wissenschaftler bei 721 Tieren das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Robbenspuren klar nachweisen.
Insgesamt tragen von 721 Walkadavern 25 % die Spuren einer Kegelrobben-Attacke, unter allen gestrandeten Walen sind es immer noch über 17%.
Dazu kommt, dass ein Wal, der großflächige Verletzungen hat, die den Brust- oder Bauchraum aufgerissen haben, aufgrund des fehlenden Auftriebs der geschlossenen Leibeshöhle schnell zu Boden sinkt und dann auch nicht an den Strand gespült wird.
Der tatsächliche Prozentsatz des Kegelrobbenfraßes wird also noch höher liegen.
Die Rückkehr der großen Robbe in die südliche Nordsee und das Wattenmeer ist damit ein ernst zu nehmendes Problem für die kleinen einheimischen Wale.
Vom Publikumsliebling zum Problem“see“bär
Kegelrobben haben bis zum 15. Jahrhundert im Wattenmeer gelebt, dann waren sie ausgerottet. Seit den 70-er Jahren sind sie wieder in der südlichen Nordsee, auf der Helgoländer Außendüne ist seit 2001 wieder eine feste Population ansässig, hier werden auch regelmäßig Jungtiere geboren.
Naturschützer und Marine Säugetier-Fans sind über die Rückkehr der Tiere begeistert. Kegelrobben-Bullen werden immerhin über drei Meter lang, sie sind die mit Abstand größten „Raubtiere“ Deutschlands und beeindruckende Meeresbewohner. Dass sie im Winter ihre Jungen bekommen, die dementsprechend den typischen weißen „Baby-Robben-Pelz“, den Lanugo, haben, brachte ihnen noch mehr Sympathien ein.
Ich selbst habe im Dezember 2013/Januar 2014 mein erstes „Kegler-Kind“ auf Borkum getroffen – mitten auf dem Strand-Wanderweg. Als ich nähertrat, um mir endlich mal eine junge Robbe im Lanugo anzusehen, fauchte das Tierchen mich an. Ansonsten schien es sich im eiskalten Wind mit Schnee und Sand absolut wohlzufühlen.
Trotz ihrer Größe gehen Badegäste etwa auf der Helgoländer Außendüne mit ihnen gemeinsam schwimmen. Sicherlich ein großartiges Erlebnis, aber augrund des im Wasser sehr entspannten Verhaltens der Robben nicht wirklich gefährlich. Bisher hatten sie das friedliche Image übergroßer Seehunde. Schließlich begnügten sie sich mit Mahlzeiten aus Fischen, Krebsen und Kopffüßern, schnappten höchstens gelegentlich mal einen Seevogel.
Mit dieser scheinbaren Harmlosigkeit ist es nun vorbei.
Stattdessen bringen die großen Robben ernste Probleme: Naturschutz wird schwierig, wenn die geschützten Arten sich gegenseitig fressen. Und der Schweinswal genießt in europäischen Gewässern die allerhöchste Schutzkategorie.
Quellen:
Jan Haelters, Francis Kerckhof, Thierry Jauniaux and Steven Degraer: The Grey Seal (Halichoerus grypus) as a Predator of Harbour Porpoises (Phocoena phocoena)? Aquatic Mammals 2012, 38 (4), 343-353, DOI 10.1578/AM.38.4.2012.343
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