Interview von Regan Penanula mit Peter Godfrey-Smith im Nautilus-Magazine
Nautilus: Hat ein Oktopus eine Selbstwahrnehmung?
Das ist eine schwierige Frage. Diese Tiere könnten eine vollständig andere Wahrnehmung haben, da ja ihr Nervensystem über den ganzen Körper verteilt ist. Die Arme haben eine gewisse Autonomie, so könnte jeder Arm seine eigene Erkundung der Umgebung durchführen und dabei ganz eigene Sinneseindrücke aufnehmen. So könnte also nicht nur das Gehirn (Bei Cephalopoden heißt es Centralganglion, es ist eine gehirnähnliche Struktur – meertext), sondern der ganze Körper in kognitive Vorgänge involviert sein.
Nautilus: Bereitet der Vorgang des Entdeckens dem Oktopus Vergnügen?
Oktopusse und Sepien entwickeln eine weitaus größere Neugierde als andere Wirbellose. Neugier ist ein starkes Wort im Kontext mit diesen Organismen, aber Oktopus-Forscher sind sicher, dass es das Verhalten von Kraken korrekt bezeichnet. So sind Oktopusse aufrichtig interessiert an Personen und ihren Tätigkeiten. Sie erkennen sogar einzelne Menschen in unterschiedlicher Kleidung wieder, wie in einem Experiment nachgewiesen wurde (Sie erkunden ihre Umgebung aktiv, probieren Dinge aus, suchen Lösungen für neuartige Probleme und merken sich sogar, wer ihnen gegenüber freundlich war. Menschen die sie nicht mögen, zwicken sie schon einmal – meertext).
Nautilus: Wie lernen sie?
Sie scheinen durch Versuch und Irrtum zu lernen. Außerdem probieren sie eigene Lösungen aus, was funktioniert und was nicht funktioniert. Das ist wesentlich ausgeklügelter, als die klassische Konditionierung, wie etwa bei Pawlows Hunden (Sie ahmen nicht nur nach, sondern finden bei neuartigen Problemen auch neuartige Lösungen und können offenbar mehrere Schritte planen. Etwa beim Öffnen eines Glases mit Schraubverschluss, um an die darin sitzende Garnele zu kommen. – meertext).
Nautilus: Sy Montgomery beschreibt in ihrem neuen Buch The Soul of an Octopus, dass sie mit Kraken Freundschaft geschlossen hätte. Denken Sie, dass Oktopusse zu Gefühlen wie „Freundschaft“ oder „Zuneigung“ fähig sind?
Ich denke, dass derartige Gefühle wohl zu differenziert sind. Aber sie schreibt auch, dass Kraken einzelne Menschen wieder erkennen können, und ob sie mit denen gute oder schlechte Erfahrungen verbinden. Sie unterscheiden also, ob sie jemanden mögen, oder nicht. Ich wäre aber sehr vorsichtig, das als „Freundschaft“ zu bezeichnen.
Nautilus: Was denken Sie über die Ähnlichkeiten unseres Verstandes und dem eines Kraken?
Wenn wir dabei Ähnlichkeiten sehen, bedeutet das, dass manche Eigenschaften unseres Verstandes vielleicht doch nicht so einzigartig sind, wie wir bislang angenommen haben. Stattdessen gibt es sie überall dort, wo Organismen große Gehirne entwickeln. Es könnte eine evolutive Tendenz zu einigen Eigenschaften geben, die im Kontext mit einem großen Gehirn und einer aktiven Lebensweise stehen. Es ist wichtig, bei diesem Punkt nicht zu übertreiben. Wir wissen nicht, ob diese Eigenschaften in jedem solchen Verstand existieren, wir sehen sie nur in zwei hoch entwickelten Organismengruppen. Sie scheinen bedeutsam zu sein. Es ist für ein gewisses Verstands-Niveau also keine Grundbedingung, ein Gehirn wie unseres zu haben.
Nautilus: Der Philosoph Thomas Nagel sagt, dass andere Verstand-Strukturen (hier steht im Original “minds” – wie übersetzt man den Plural von Verstand/Geist/Bewusstsein? – meertext) immer jenseits der menschlichen Erkenntnis liegen. Warum stimmen Sie ihm nicht zu?
Nagel suggeriert, dass es keine wissenschaftlichen Erklärung oder Erkundung von subjektiver Wahrnehmung geben kann – etwa, wie es sich anfühlt, ein Oktopus zu sein. Er meint, dass wir dieses Problem möglicherweise in der Zukunft mit neuartigen Theorien lösen können. Ich denke, dass Nagel und andere eine unrealistische Vorstellung davon haben, was eine wissenschaftliche Theorie zu diesem Thema leisten könnte. Auch eine wissenschaftliche Beschreibung kann nicht in Worte fassen, wie sich etwas anfühlt, denn sie kann keinen Bericht aus Erster Hand, also die originäre Erfahrung, ersetzen. Wir können nur fragen: Welche Organismen (oder Systeme) nehmen subjektive Erfahrungen wahr? Wie sieht es bei Fledermäusen aus? Wie bei Kraken? Und wie bei Computern?
Hier ist das vollständige Interview im Original zu lessen.
Mein Kommentar zu diesem Interview
Bei Säugetieren wie Fledermäusen dürfen wir einen gewissen Verstand annehmen, sie sind Säugetiere und haben komplexe Gehirne. Aber kennen sie „Freundschaft“? Immerhin kennen sie Mutterinstinkt und Altruismus – manche Fledermausarten geben hungernden Mit-Fledermäusen einen rettenden „Blutkuß“. Aber: Auch Klapperschlangen kennen ihre Verwandtschaft – verwandte Klapperschlangen überwintern gemeinsam in großen Ansammlungen. Und bisher ist noch niemand auf die Idee gekommen, einer Schlange ein weiterführendes Bewusstsein zuzugestehen.
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