A squid graveyard and a deep-sea buffet

Scavengers, including a deep-sea crab and sea stars, feed on a squid carcass with its black egg sheet at the bottom of the Gulf of California. Credit: MBARI 2012

Tintenfische beeindrucken uns immer wieder mit ihren hypnotischen Farbwechseln, ihrer Intelligenz und ihren unglaublichen farblichen und körperlichen Tarnfähigkeiten.  Dass diese hoch entwickelten Weichtiere auch eine Delikatesse sind, ohne Gräten und voller hochprozentiger Proteine, lasse ich nur für Delphine und andere Meeressäuger gelten. Und Zahnwale fressen so einige Tonnen Tintenfische aus den Ozeanen der Welt.

Allein die Pottwale sollen etwa 3% ihres Körpergewichts pro Tag an Nahrung fressen und ihre Nahrung besteht in den meisten Regionen zum allergrößten Teil aus Kalmaren. Experten schätzen, dass Pottwale weltweit etwa 91 Millionen Tonnen Biomasse fressen – zum allergrößten Teil die mit 8 Armen und 2 Tentakeln, also Kalmare (Ellis, R. (1994). Monsters of the Sea). Der Tintenfisch-Hunger anderer Zahnwale ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.  Zum Vergleich dazu: Nach Schätzungen der FAO essen Menschen weltweit jährlich um  die 115 Millionen Tonnen „Meeresfrüchte“.

Abgesehen vom Calamares-Appetit der Pottwale ist bisher erst wenig darüber publiziert, wie bedeutsam der Anteil der Tintenfische am Nahrungsangebot  in den Meeren insgesamt ist. Kalmare sind schnelle, wehrhafte und intelligente Jäger und nur Zahnwale und größere Fische sowie größere Kalmare dürften diese ozeanischen Prädatoren überhaupt erbeuten können. Langsamere und kleinere Tiere müssen mit ihrer Mahlzeit warten, bis ein Kalmar tot auf den Meeresboden sinkt. Nun sind  verstorbene und auf den Meeresboden gesunkene Tintenfische auch meistens aus dem Blickfeld der meisten Meeresbiologen gesunken.

Der Tintenfisch-Experte Henk-Jan Hoving hatte 2012 in seiner Zeit als PostDoc am Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI)
bei einem besonders tiefen ROV-Tauchgang bis zum Meeresgrund auch einige auf den Boden gesunkene Kalmar-Kadaver entdeckt. “Normally we do research in the midwater, but this time we went to the seafloor” erzählte er gegenüber der Presse “And then we saw these squid carcasses, just one or two.” Der Kalmarkadaver wies noch eine Besonderheit auf: Vor der Mundöffnung hing ein leerer Eisack.


Der Ozean ist eine Wüste – oder doch nicht?

Im ozeanischen Kohlenstoff-Budget klafft eine Lücke – die energetischen Bedürfnisse der Lebensgemeinschaften des Tiefsee-Bodens übersteigen das bisher bekannte Angebot deutlich.
Das deutet darauf hin, dass es noch weitere, bisher noch unbekannte und nicht gemessene Quellen für Nahrung und Nährstoffe geben muss, die den Meeresboden hinter dem Rücken der Meeresforscher erreichen.
Kalmar-Kadaver könnten einen Teil dieser geheimnisvollen Proteinlücke füllen.

https://www.mbari.org/wp-content/uploads/2016/01/brooding-squid2-350.jpg

MBARI’s remotely operated vehicle Tiburon captured this photograph of a female Gonatus onyx carrying a large egg mass, which is suspended from hooks on the squid’s arms. In this photograph, the squid is apparently using its arms to pump fresh water through the egg mass, causing it to inflate. Image: (c) 2002 MBARI

2015 ist der mittlerweile am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel beschäftige Biologe Henk-Jan Hoving noch einmal gezielt auf die Pirsch gegangen. Das Ziel: Der Kalmar-Friedhof.
Sie fanden tatsächlich blassen Leichen von nach dem Brutgeschäft verendeten Kalmarmüttern – „post-brooding squid“.
„Post-brooding squid“ bedeutet, dass es sich um Weibchen handelt, die nach dem Brutgeschäft verendet sind. Die leblosen Körper der Weichtiere waren nämlich noch mit den leeren Brutsäcken verbunden. Einige Arten wie Gonatus onyx brüten ihre Nachkommen wohl behütet in einem Brutsack aus, der die Mütter allerdings am Fressen hindert.
Der Biologe Brad Seibel hatte bei einem Tiefseeausflug im Jahr 2005 vor Monterey im Golf von Mexiko (wo auch sonst?) einen Kalmar entdeckt, der einen großen, gefüllten Eisack sorgsam zwischen den Fangarmen hielt.
Die Mollusken-Mutter ist für ihre Nachkommen ein Schutzengel, zehrt dabei aber ihre Energiereserven auf und verhungert bald nach dem Schlüpfen der Brut. Nach der Eiablage und der Brutfürsorge ist ihre Rolle beendet, sie hat ihr Möglichstes getan, um ihre Erbanlagen erfolgreich weiterzugeben.

A squid graveyard and a deep-sea buffet

A ratfish swims along the bottom with a scavenged squid tentacle in its mouth. The two red dots are for scale, about 29 centimeters (one foot) apart. Credit: MBARI 2012

Bei 11 Tauchgängen filmten Hoving und seine Kollegen 64 „post-brooding squid”-Kadaver, dabei 36 bei einem einzigen Tauchgang. Die meisten toten Kalmare fanden sie in mehr als 1000 Metern Tiefe im Cerralvo Trough, einem tiefen Becken im südlichen Golf.
Damit haben die Biologen offenbar nicht nur den bisher größten bekannten Kalmar-Friedhof gefunden sondern den größten bisher bekannten natürlichen Food Fall von mittelgroßem Tiefseenekton!
Nekton ist die Gesamtheit der aktiv schwimmenden Meerestiere im freien Wasser, analog zum Plankton als den von Meeresströmungen verdrifteten Meeresbewohnern (Quallen, Salpen und viele mikroskopisch kleine Tiere) und dem Benthos, als den auf dem Meeresboden lebenden Organismen aller Größen.
Zu diesen benthischen Meereswesen gehören auch die Aasfresser, die oft zu Fuß oder bestenfalls mit kleinen Hopsern über dem Sediment immer dem Aasgeruch nach unterwegs sind. Höhere Geschwindigkeiten benötigen sie auch nicht, ihre Mahlzeiten können garantiert nicht mehr weglaufen.
Typische Vertreter der Tiefsee-Aasfresser (deep-sea scavenger) wie Schlangensterne (Ophiuroidea), Seegurken (Holothuroidea), Zehnfüßige Krebse (Decapoda), Seesterne (Asteroidea) und Eichelwürmer (Enteropneusta) waren auf den Kalmarleichen versammelt und benagten diese mit Zähnen, Mandibeln und anderen Mundwerkzeugen. Einige Tiefseefische schnappten sich auch größere Stücke.

Skeleton of a 35-ton, 13-m gray whale that has been on the seafloor of the Santa Cruz Basin (around 1700 m deep) for 18 months. Animals visible include multiple eel-like hagfish, thousands of amphipods and newly settled, juvenile clams.[1]

Wenn diese Kalmarleichen und Eisackreste zum Meeresgrund sinken, sind sie eine wichtige Nährstoff- und Energieressource für die Tiere, die Tausende von Metern unterhalb der Oberfläche mit ihren produktiveren Wasserschichten leben. Kleine herabrieselnden und schwebenden Partikel aus Tierleichen, Kot und Bakterienmatten sind der Meeresschnee, von dem sich viele Meerestiere des tieferen offenen Ozeans ernähren, wie auch der berühmte Tiefseevampir Vampyroteuthis.
Größere Tiere sind “foodfall”, besonders bekannt sind die spektakulären „whale falls“. Walkadaver mit ihrem massiven Knochengerüst können sicherlich Jahrzehnte lang eine Oase für hungrige Meerestiere bis hin zu Zombiewürmern bilden, so Hoving. „Aber über die mittelgroßen Tierkadaver wie Kalmare wissen wir bisher fast nichts.“ Sie können aufgrund ihrer geringen Größe und der fehlenden festen Bestandteile eine viel kürzer Existenz haben: „You have to get very lucky to see one—they likely get consumed within 24 hours.” erklärte Hoving gegenüber der Presse.
Es ist durchaus möglich, dass Funde von Kalmarleichen örtlich und zeitlich stark begrenzt sind und sie darum in der Tiefsee-Ökologie-Literatur bisher nur sehr vereinzelt als Beobachtung vermerkt sind.

Außerdem machten die Biologen noch eine weitere Beobachtung: An den toten Kalmaren knabberten gleich eine ganze Menge Aasfresser, nicht jedoch an den dunklen Eisäcken, die eher uninteressant zu sein schienen . Bereits vorher hatten einige Tintenfisch-Forscher vermutet, dass die Kalmare Tinte in ihren Brutsack injizieren, um die Eier für Bakterien und andere Zersetzer ungenießbar oder zumindest weniger attraktiv zu machen. Hoving und sein Team spekulieren nun auch, dass die leeren Eihäute viel später verschwinden werden als die gut verdaulichen Kalmarleichen.

Diese Beobachtungen des Tintenfisch-Friedhofs als reich gedeckte Tafel für andere Meerestiere hat also bedeutende Hinweise auf bisher noch unterforschte Proteinquellen in der Tiefsee gegeben. Die auf den Meeresboden gesunkenen Tierleichen sind Teil der “biological pump” – dem Prozeß, durch den Kohlenstoff von der Oberfläche in die Tiefen der Meere transportiert wird.
Anders als Fische, die in der Regel viele Jahre alt werden und sich mehrfach fortpflanzen, leben viele Kalmare nur ein Jahr lang und sterben nach ihrem ersten und einzigen Fortpflanzungszyklus. Wenn die Fortpflanzung jahreszeitlich synchronisiert ist, dürften eine ganze menge von ihnen gleichzeitig sterben und einen pltzlich und vorübergehenden ungeheuren saisonalen Nahrungsreichtum bedeuten: “In this case the squid may die almost simultaneously, so there may exist pulses of dead squid falling to the seafloor,” erklärt Hoving “This could have a big impact on the biological carbon pump.”

Außerdem zeigen diese Forschungsergebnisse mal wieder sehr deutlich die Bedeutung von In-situ-Beobachtungen. Sie sind ein Plädoyer für den weiteren Einsatz der teuren Tauchroboter mit ihren Kameraschlitten auch an schwierig erreichbaren Orten und in der Tiefsee. Beim Trawlen sind solche Beobachtungen unmöglich: “This research shows the importance of in situ observations. The squid and their egg sacks would never have been found by trawling. But if you start exploring less-known places, you will find these less-known things.”

Quellen:
H. J. T. Hoving et al. Bathyal feasting: post-spawning squid as a source of carbon for deep-sea benthic communities, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences (2017). DOI: 10.1098/rspb.2017.2096

https://phys.org/news/2018-02-squid-graveyard-deep-sea-buffet.html#jCp

Ozeanische Schatzkiste vor der Haustür
Im Golf von Kalifornien gelingen Forschern des MBARI und anderer Institute immer wieder spektakuläre Beobachtung auch von Tintenfischen in großer Tiefe, da das MBARI direkt an einer Küste mit einem sehr steilen Kontinentalhang steht, eine Landschaft aus Unterwassercanyons ist praktisch der „Hausgarten“. Das bedeutet, dass man ohne lange Schiffsanreise sehr schnell auch teure Geräte wie Tauchroboter oder Tauchboote in große Tiefen bekommt und dann wegen der kurzen Anfahrt viel mehr Zeit zum Beobachten bleibt. Außerdem ist hier oft recht gutes Wetter, was auch eine Vorbedingung für erfolgreiche Arbeit auf See – die schweren und kostbare Instrumente lassen sich bei starken Wind und Seegang nicht aussetzen.

 

Kommentare (10)

  1. #1 RPGNo1
    2. Februar 2018

    @Bettina Wurche
    Schöner Artikel. Er erinnert mich an diejenigen über die Walkadaver, die eine wichtige Nahrungsquelle für die Tiefseebewohner darstellen. Ich nehme mit, dass Kalmarkadaver eine andere Art von Oasen darstellen als verstorbene Wale. Mehr weich als fest, mehr kurzfristig wirkend als langanhaltend. 🙂

    Nekton ist die Gesamtheit der aktiv schwimmenden Meerestiere im freien Wasser

    Plankton ist mir bekannt, vom Benthos habe ich schon gehört und gelesen, aber Nekton? Und schon wieder etwas gelernt.

  2. #2 Bettina Wurche
    2. Februar 2018

    @RPGNo1: “Walkadaver, die eine wichtige Nahrungsquelle für die Tiefseebewohner” – yep, deas ist der whale fall : )

  3. #3 wereatheist
    3. Februar 2018

    Der Cerralvo Trough liegt natürlich im Golf von Kalifornien, der aber politisch komplett zu México gehört.

  4. #4 Bettina Wurche
    3. Februar 2018

    @wereatheist: Danke. Shame over me – natürlich Golf von Kalifornien. Der Pazifik vor Monterey…NICHT der Golf von Mexiko, der ja bekanntlich vom Atlantik abgeht.

  5. […] Meerttext gibt es Lesenswertes über der Leben und vor allem das Sterben der Kalmare. Und wie die Leichen die Nährstoffbilanz […]

  6. #7 Bettina Wurche
    11. Februar 2018

    @tomtoo: Vielen, vielen Dank fürs Teilen, das ist ja zauberhaft!

  7. #8 tomtoo
    11. Februar 2018

    @Bettina
    Keine Ursache, ist ne Freude : )
    Ich habs im ersten Moment ja garnicht geblickt dass das Aussenrum ja lauter Geschwister sind.

  8. #9 RPGNo1
    11. Februar 2018

    @tomtoo
    Süüüüß (mit 4 ü)! 🙂

  9. […] onyx war auf meertext schon einige Male zu Gast, von der Kalmar-Kinderstube bis zum Kalmar-Friedhof (Squid Fall) und seiner ökologischen […]