Tintenfische beeindrucken uns immer wieder mit ihren hypnotischen Farbwechseln, ihrer Intelligenz und ihren unglaublichen farblichen und körperlichen Tarnfähigkeiten. Dass diese hoch entwickelten Weichtiere auch eine Delikatesse sind, ohne Gräten und voller hochprozentiger Proteine, lasse ich nur für Delphine und andere Meeressäuger gelten. Und Zahnwale fressen so einige Tonnen Tintenfische aus den Ozeanen der Welt.
Allein die Pottwale sollen etwa 3% ihres Körpergewichts pro Tag an Nahrung fressen und ihre Nahrung besteht in den meisten Regionen zum allergrößten Teil aus Kalmaren. Experten schätzen, dass Pottwale weltweit etwa 91 Millionen Tonnen Biomasse fressen – zum allergrößten Teil die mit 8 Armen und 2 Tentakeln, also Kalmare (Ellis, R. (1994). Monsters of the Sea). Der Tintenfisch-Hunger anderer Zahnwale ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Zum Vergleich dazu: Nach Schätzungen der FAO essen Menschen weltweit jährlich um die 115 Millionen Tonnen „Meeresfrüchte“.
Abgesehen vom Calamares-Appetit der Pottwale ist bisher erst wenig darüber publiziert, wie bedeutsam der Anteil der Tintenfische am Nahrungsangebot in den Meeren insgesamt ist. Kalmare sind schnelle, wehrhafte und intelligente Jäger und nur Zahnwale und größere Fische sowie größere Kalmare dürften diese ozeanischen Prädatoren überhaupt erbeuten können. Langsamere und kleinere Tiere müssen mit ihrer Mahlzeit warten, bis ein Kalmar tot auf den Meeresboden sinkt. Nun sind verstorbene und auf den Meeresboden gesunkene Tintenfische auch meistens aus dem Blickfeld der meisten Meeresbiologen gesunken.
Der Tintenfisch-Experte Henk-Jan Hoving hatte 2012 in seiner Zeit als PostDoc am Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI)
bei einem besonders tiefen ROV-Tauchgang bis zum Meeresgrund auch einige auf den Boden gesunkene Kalmar-Kadaver entdeckt. “Normally we do research in the midwater, but this time we went to the seafloor” erzählte er gegenüber der Presse “And then we saw these squid carcasses, just one or two.” Der Kalmarkadaver wies noch eine Besonderheit auf: Vor der Mundöffnung hing ein leerer Eisack.
Der Ozean ist eine Wüste – oder doch nicht?
Im ozeanischen Kohlenstoff-Budget klafft eine Lücke – die energetischen Bedürfnisse der Lebensgemeinschaften des Tiefsee-Bodens übersteigen das bisher bekannte Angebot deutlich.
Das deutet darauf hin, dass es noch weitere, bisher noch unbekannte und nicht gemessene Quellen für Nahrung und Nährstoffe geben muss, die den Meeresboden hinter dem Rücken der Meeresforscher erreichen.
Kalmar-Kadaver könnten einen Teil dieser geheimnisvollen Proteinlücke füllen.
2015 ist der mittlerweile am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel beschäftige Biologe Henk-Jan Hoving noch einmal gezielt auf die Pirsch gegangen. Das Ziel: Der Kalmar-Friedhof.
Sie fanden tatsächlich blassen Leichen von nach dem Brutgeschäft verendeten Kalmarmüttern – „post-brooding squid“.
„Post-brooding squid“ bedeutet, dass es sich um Weibchen handelt, die nach dem Brutgeschäft verendet sind. Die leblosen Körper der Weichtiere waren nämlich noch mit den leeren Brutsäcken verbunden. Einige Arten wie Gonatus onyx brüten ihre Nachkommen wohl behütet in einem Brutsack aus, der die Mütter allerdings am Fressen hindert.
Der Biologe Brad Seibel hatte bei einem Tiefseeausflug im Jahr 2005 vor Monterey im Golf von Mexiko (wo auch sonst?) einen Kalmar entdeckt, der einen großen, gefüllten Eisack sorgsam zwischen den Fangarmen hielt.
Die Mollusken-Mutter ist für ihre Nachkommen ein Schutzengel, zehrt dabei aber ihre Energiereserven auf und verhungert bald nach dem Schlüpfen der Brut. Nach der Eiablage und der Brutfürsorge ist ihre Rolle beendet, sie hat ihr Möglichstes getan, um ihre Erbanlagen erfolgreich weiterzugeben.
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