Kleine Wale gleiten durch die sedimentgetrübten Gewässer der Nord- und Ostsee, weitgehend unbemerkt und unbeobachtet von der Öffentlichkeit: Schweinswale (Phocoena phocoena), eine kleine Familie von kleinen Delphinartigen. Ob bei heimeligen Badetemperaturen oder im eisigen Winterwasser, unermüdlich jagen die Kleinwale nach Fischen wie Hering, kleinem Kabeljau, Grundeln oder Plattfischen. Allein, als Mutter-Kind-Paare oder gemeinsam in kleinen Walschulen ziehen sie seit der Eiszeit durch die flachen Schelfmeere, die heute die deutschen Gewässer sind. Beim Atmen durchbrechen die glatten schwarzen Rücken mit der dreieckigen Finne die Wasseroberfläche, bei guter Sicht und niedrigem Seegang werden sie dann kurz sichtbar.
Manchmal wollen die Kleinen Tümmler, so ein altmodischer Name, neugierig ein Segelboot erkunden, wie es in den deutsch-dänischen Gewässern der westlichen Ostsee an einigen Stellen vorkommt. Dann umspielen sie zum Entzücken der Segler gut sichtbar das Boot und suchen für kurze Zeit die Gesellschaft der Menschen oder ihrer Wasserfahrzeuge.
Wie viele Schweinswale leben in der zentralen Ostsee?
Noch um 1935 waren Schweinswale bis zu den Aland-Inseln häufig, obwohl das Wasser dort schon sehr stark ausgesüßt ist und durch seine geringere Dichte den kleinen Walen mehr Schwimmleistung abverlangt. Bis 1960 waren sie noch bis nach Bornholm und Gotland häufig. Wie groß der Bestand war, dazu gibt es keine Angaben. Nur über die Fangmengen wurde Buch geführt – Schweinswale wurden als Braunfische lange Zeit gejagt und gegessen. Auch wenn Wal nicht wie Fisch, sondern wie jedes andere Säugetier schmeckt, wurden die Meeresbewohner auf dem Fischmarkt gehandelt, wie auf alten Abbildungen gut dokumentiert ist.
Heute gibt es in der zentralen Ostsee einen Bestand von etwa 200 bis 600 Tieren, wie das SAMBAH-Projekt zwischen 2010 und 2015 herausfand. SAMBAH bedeutet Static Acoustic Monitoring of the Baltic Sea Harbour Porpoise – Statisch-akustisches Monitoring des Ostsee-Schweinswals. Solch ein Lauschangriff bringt wesentlich exaktere Bestandszahlen als ein visueller Survey. Aktuelle Schätzungen gehen von etwa 300 Tieren aus.
Daneben gibt es noch um 12.000 bis 18.000 Schweinswale in der westlichen Ostsee in deutschen und dänischen Gewässern. Diese beiden Bestände sind genetisch unterscheidbar, sie paaren sich offensichtlich schon seit Langem nicht mehr.
Gefahr Nr. 1 für große und kleine Wale: Fischerei
1975 wurde die Jagd auf Schweinswale in Europa verboten.
Walfang ist heute für die meisten Walarten keine ernsthafte Bedrohung mehr, dafür sind die Fangmengen zu gering.
Auch wenn die Wale heute meist nicht mehr das Ziel von Fischereiaktivitäten sind, sind die Meeressäuger durch andere menschliche Aktivitäten akut bedroht: Fischerei, Gifte und Plastik sind heute die schwerwiegensten Probleme, Überfischung und Lärm sind weitere.
Jedes Jahr sterben ungezählte große und kleine Wale in aktivem und verlorenem Fischereigerät – Treibnetze, Stellnetze, Geisternetze oder andere Netzteile aus unzerreißbaren Polymerstrukturen sind langlebige Todesfallen. Die toten Augen der erstickten oder ertrunkenen Meeressäuger – Wale ersticken, Robben ertrinken – sind unsichtbar für die Fischverbraucher, die Meere sind oft weit weg vom gedeckten Tisch.
Andere Gefahren sind noch weniger sichtbar, wie die schleichende Vergiftung der Ozeane durch Gifte, vom Insektizid, das von Feldern ins Meer gespült wird, bis zu Weichmacher in Plastikobjekten aller Art. Einleitungen von Chemikalien, Chemie- und Öl-Unfälle, Rückstände und Zerfallsprodukte von Kunststoffen und Chemikalien vergiften ganze Wal-Gruppen, vor allem Wale in küstennahen Gewässern tragen eine immense Schadstofflast in sich. Die langlebigen Wale stehen am Ende der Nahrungskette und reichern die Gefahrenstoffe immer weiter an, sie werden unfruchtbar und werden anfälliger gegen Parasiten und Krankheiten. Der Orca Lulu war das am stärksten mit PCB belastete Lebewesen, was die Veterinäre je analysiert hatten. Es ist sicherlich kein Zufall. Dass Lulu niemals ein Kalb zur Welt gebracht hatte und in ihrer Gruppe seit Mitte der 80-er Jahren, seit sie erforscht werden, überhaupt kein Nachwuchs beobachtet wurde, schreiben Biologen und Veterinärmediziner der hohen Schadstoffbelastung zu. Gestorben ist Lulu allerdings nicht an einer Vergiftung, sondern durch das Verheddern in Fischereileinen (“entanglement”).
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