Ich fühle mich psychedelisch geflasht: Flirrendes Kunstlicht, Weiß und Magenta, zurückgeworfen von glänzenden Kunststoffoberflächen. Gebogene Wände und synthetische Fransenvorhänge. Eine Situation wie auf einer Raumstation. Die Wandrundung irritiert mich, ich verliere das Raumgefühl, am liebsten würde ich mich erstmal hinsetzen und tief durchatmen. Das Sitzmöbel „Djinn“ in verlockendem Magenta sieht einladend aus – ist aber leider ein Ausstellungsstück.
Durch Türöffnungen geht es in den dunklen Weltraum, dazwischen wirbeln synthetische Fransen in Kreisbahnen als surrealistischer Sichtschutz. Im Weltraum schweben Raumschiffe, Raumanzüge und Exponate mit Bezug zum All vor dunklem Hintergrund. In einer Nische flackern ausgewählte Filmausschnitte. In elektrischem Blau erstrahlt das Star Child.
Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt
Kubricks meisterliches SF-Epos „2001“ – eine Kooperation mit dem Physiker und SF-Autoren Arthur C. Clarke, auf dessen Kurzgeschichte der Film auch aufbaut – ist am Museumsufer gelandet. Das Deutsche Filmmuseum zeigt zum 50. Film-Geburtstag die Ausstellung „2001 – 50 Jahre A SPACE ODYSSEY“.
Zur Erinnerung – der Film ist in vier Abschnitte gegliedert:
Aufbruch der Menschheit (The Dawn of Man)
Mondstation Clavius (Tycho Magnetic Anomaly-1)
Die Reise zum Jupiter (Jupiter Mission 18 Months Later)
Wiedergeburt (Jupiter and Beyond the Infinite)
Da ich für ARTMAPP einen Beitrag dazu schreibe, bekomme ich von Hans-Peter Reichmann, dem Senior Curator, eine ausführliche Sonderführung – so macht Arbeit Spaß!
Die Ausstellung, so erzählt er mir, ist durch Kubricks umfangreichen Nachlass möglich geworden, der vor allem aus Papieren besteht. Kubrick war ein detailbesessener Produzent, der vor dem Beginn einer Produktion Unmengen von Informationen recherchierte und zusammentrug. Auf Tausenden von Karteikarten notierte er Informationen und Ideen in Text und Bild, akribisch sortiert, bevor es Computer gab. Die Recherchereisen führte er nicht selbst durch, sondern schickte Mitarbeiter.
Zur Enttäuschung von Sammlern, Museumskuratoren und anderen sind nach dem Ende der Produktionen der größte Teil der Requisiten nicht erhalten geblieben. Nur wenige Stücke hatten im Nachlass des Filmproduzenten überdauert. Glücklicherweise fanden sich in den Firmenarchiven und in Privatsammlungen weitere Exponate, Repliken und minutiös nachgebaute Modelle, von der weißen Lederhaube der PanAm-Stewardess bis zum Raumschiff Discovery und dem PanAm-Raumgleiter Orion.
Ein Modell der Zentrifuge des Raumschiffs Discovery ließ das Filmmuseum selbst anfertigen: Ein Knopfdruck setzt es in Rotation.
Kubrick ließ diese Zentrifuge als eine wichtige Kulisse im Filmabschnitt “Die Reise zum Jupiter” vom Flugzeugkonstrukteur Vickers nachbauen. Die technische Perfektion von Schaltpulten, Raumschiffen und andere technische Strukturen erreichte Kubrick, indem er sie mit Beratung etwa von Flugzeug- und NASA-Ingenieuren konstruieren ließ. So wurde etwa der ehemalige NASA-Mitarbeiter Harry Lange sein Production Designer.
Berühmt geworden ist „2001“ nicht nur für das zeitlos-futuristische Design, sondern auch für die geniale filmische Umsetzung. Kubrick hat mit „2001“ eine authentische nahe Zukunft erschaffen, ohne dass es diese zur Zeit des Filmdrehs bereits gegeben hätte. Sein über 100-köpfiges Special Effects-Team bildete mehrere Jahre vor der Mondlandung aus den wenigen vorhandenen Vorlagen der NASA realistische Ansichten von Weltraum, Planeten und eine Mondoberfläche ab. Über die Hälfte des Filmbudgets floss hier in die Special Effects, was für damalige Filme ungeheuerlich war (Pressemappe des Deutschen Filmmuseums zur Ausstellung).
Die Ausstellung beginnt im Erdgeschoss mit einer großformatigen Ansicht des Astronauten Poole in der Zentrifuge sowie weiteren Exponaten und Projekten.
Im Vorraum der Sonderausstellung gibt es dann ein visuelles Intro zur politischen Situation der 60-er Jahre und zur zeitgeschichtliche Einordnung: JFK, Vietnam-Krieg, Kalter-Krieg und Blumenkinder. Der Space Race im Kalten Krieg, der eine gewaltige Schubkraft für die Weltraumforschung und –technik bedeutete. Gleichzeitig mediale und inhaltliche Entwicklung des Science Fiction-Genres auf der Leinwand.
Kubricks Werk ist in Frankfurt nicht unbekannt: 2004 hatte das Filmmuseum die sehr erfolgreiche Ausstellung “Kubrick” über das Werk des genialen Produzenten gezeigt, die mit ihren einzigartigen Exponaten seitdem auf Welttournee ist.
Sie wurde zum 50. Geburtstag des Films „2001“ für diese Sonderausstellung zurückgerufen, mit zusätzlichen Dokumenten und Exponaten angereichert und neu inszeniert.
Design, Mode und Medien in der Zukunft
Das Sitzmöbel “Djinn” von Mourgue fällt sofort ins Auge, allein schon durch die Farbe “Magenta”. In den künstlichen Licht flirrt der Farbton regelrecht. Die Original-Bezeichnung “Low fireside chair” wird oft durch “2001“-chair ersetzt, der Stuhl ist durch seinen Filmauftritt geradezu geadelt worden.
In einer Vitrine gegenüber liegt das Besteck des dänischen Designers Jacobsen, mit dem die Astronauten Bowmann und Poole ihren Nahrungsbrei aus flachen, kubischen Behältnissen löffeln. Das schnörkellose Design aus hochwertigen Materialien mit klaren Formen, oft geometrisch und meist in zurückhaltender Farbgebung, erschafft eine Szenerie der Modernität, die bis heute modern wirkt. Im Gegenzug für die Überlassung ihrer Produkte durften die Firmen ihre Logos im Film platzieren und mit ihrer Filmbeteiligung werben. „2001“ war ein Branding, das Firmen, die als hip gelten wollten, anzog. So gerierte sich PanAm als hippe Kult-Fluggesellschaft, die bereits den Weltraum-Linienverkehr plante.
Computerdisplays, ein Honeywell-Computer im Koffer als tragbares Heimbüro, ein Bild-Telefon und andere technische Gimmicks gaben 1968 einen Ausblick in zukünftige Formen der schnellen, schnurlosen Kommunikation für jedermann. Erstaunlich viel davon ist eingetroffen!
Gemeinsam mit Experten aus Forschungsabteilungen der NASA, IBM, Honeywell, PanAm und vielen hochkarätigen Designern erschuf Kubrick eine detailgetreue Vision einer modernen Welt und des Weltraums. Wie auch im Star Trek-Universum ist es atemberaubend, was 1968 noch als futuristisch galt und mittlerweile weltweit flächendeckend Alltags ist: Vom Laptop bis zur selbst öffnenden Tür, von der Spracheingabe beim Computer bis zum Telefon mit Bild. Allerdings sind die meisten dieser Tools heute wesentlich kleiner, als 1968 noch zu ahnen war. Dafür sind sie wesentlich bunter geworden, schließlich besteht die Kundschaft nicht nur aus älteren Herren, sondern aus allen Bereichen der Welt-Bevölkerung. (Was Kubrick und Clarke wohl beim Anblick eines rosa-glitzernden Smartphones mit einem Einhorn gesagt hätten? Vielleicht hätten sie einfach einen Herzinfarkt bekommen. Allerdings taucht im Film ja auch die Farbe Pink auf – bei der Stewardessen-Uniform.)
Für das Kostümdesign war zunächst die Mode-Ikone Mary Quant verantwortlich, deren Markenzeichen der Minirock und passend gemusterte bunter Strumpfhosen waren. Später kam britische Modedesigner Sir Hardy Amies dazu, der Hofschneider der Queen. Einige kolorierte Original-Skizzen aus seinem Nachlass sind in der Ausstellung zu sehen: Schlicht und geometrisch geschnittene Anzüge in gedeckten Farben für Wissenschaftler. Die Damenmode zeigt kurze Kleider und Strumpfhosen im Stil der 60-er Jahre, weiblich und praktisch gleichermaßen. Eines der gerade kurzen Kleidchen hat eine Kapuze, ein andere praktische Taschen. Dazu: farbige und passend gemusterte Strumpfhosen. Diese Kleidung ist so zeitlos, dass sie heute auf der Straße zwar als etwas extravagant aber absolut modisch auffallen würden. Die rosa Uniform der Stations-Stewardessen mit dem Minirock und der Pillbox als Kopfbedeckung ist sehr weiblich, der weich fallende Hosenanzug der Stewardessen im Raumgleiter Orion eher praktisch für die Schwerelosigkeit. Die ikonische Kopfbedeckung des gepolsterten Lederhelms wird als Kopfschutz gedeutet, für den eventuellen Fall im freien Fall.
Die Astronautenanzüge hingegen ließ Kubrick wieder von Experten der NASA entwickeln, hier stand die glaubhafte Funktionalität im Vordergrund. Sie ähneln stark den silbernen Anzügen der Gemini- und Mercury-Raumfahrtprogramme der 60-er Jahre. Diese Gemini- und Mercury-Anzüge waren eher Druckanzüge aus der Aeronautik, als Raumanzüge für das Weltall. Die charakteristischen umfangreichen EVA-Anzüge (EVA: ExtraVehicular activity) für die Apollo-Missionen mit ihren Schritten auf dem Mond und den Weltraum-„Spaziergängen“ waren zu dem Zeitpunkt noch in der Entwicklung.
Einer der silbernen Anzüge ist ausgestellt: Deutlich ist zu sehen, wie der Zahn der Zeit daran nagt. Die neuartigen verwendeten Kunststoff-Textilien des Original-Kostüms bekommen allmählich Risse. Gerade Kunststoffe, die eher zerfallen als Leder, Holz oder Metalle, sind für jedes Museum eine restauratorische Herausforderung. Das macht solche Exponate allerdings auch so authentisch.
Auch die mediale Vermarktung hatte Kubrick perfektioniert: In 2001 ist die internationale Presse als Lektüre vorhanden: New York Times, Vogue und Stern. Dass eine Hochglanz-Modezeitschift wie Vogue in einem Science Fiction-Film auftaucht, unterstreicht noch einmal die Bedeutung der 2001-Designer als der modisch-modernen Avantgarde zugehörig. Der Mini-Rock war damals in vielen Kreisen immer noch als zu frech verpönt, selbst die Vogue hatte sich erst 1962 getraut, solch ein Kleidungsstück abzubilden. Gemeinsam mit den schicken Frisuren des Starcoiffeurs Vidal Sassoon griff “2001” den Stil der 60-er Jahre auf und prägte ihn auch mit. Schließlich wollte jede/r jung, attraktiv und modern aussehen. Mit diesem medialen Product Placing stellte Kubrick eine angemessene Presseberichterstattung mit viel Bildmaterial und erheblicher Begeisterung über sein ambitioniertes Filmprojekt “2001” sicher.
Fortsetzung folgt
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