Beim Überfliegen des letzten Reports der Internationalen Walfang-Kommission (IWC) lese ich, dass ein peruanisch-argentinisches Team erfolgreich ein Disentanglement-Training für Südkaper absolviert hat und es neue Shipstrike-Richtlinien gibt. Da geht bei mir gleich das Kopfkino los und ich freue, denn das sind gute Nachrichten für Wale. Hinter diesen beiden Begriffen stecken nämlich große Bedrohungen für Meerestiere.
Disentanglement bedeutet, einen Wal (oder auch Robbe, Seeschildkröte, etc.) aus einem Netz oder Leinen zu befreien. Allein kommen die Meeressäuger nicht wieder heraus, denn sie können nur vorwärts schwimmen, und nicht einfach mal rückwärts. So bohren sie sich bei Befreiungsversuchen noch tiefer in die nahezu unzerreißbaren Polymer-Garne hinein.
Ein versehentlich im Netz gefangener Wal ist Beifang, er ist nicht das Ziel, sondern ein Kollateralschaden. Wird er vom Netz unter Wasser gezogen, muss er jämmerlich ersticken.
Gerade bei großen Walen ist die Befreiung nicht ungefährlich, ein Schlag mit der Schwanzflosse kann ein kleines Boot zum Kentern bringen oder Knochen brechen. Das Rettungsteam muss also engen Kontakt mit dem Wal halten, das Tier vorsichtig aus Netz und Leinen entwirren und auf plötzliche Bewegungen des befreiten Wals gefasst sein. Bei Bewegungen großer Tiere im Wasser entstehen Sog und Wellen, die ein Zodiac-Boot gefährden könnten – nicht bei jeder Wassertemperatur geht man gern baden. Buckelwale, Grauwale und Glattwale benehmen sich unterschiedlich, auch das will berücksichtigt werden. Zusätzlich muss das schwere, vollgesogene Netz gehändelt werden, mit bloßen Händen und menschlicher Körperkraft.
Vor allem Teams von NOAA haben wegen der vielen Zwischenfälle mit großen Walen schon lange funktionierende Arbeitsabläufe dafür entwickelt und werden von den Fischern oder der Küstenwache dann oft zur Hilfe gerufen.
In diesem Video erklärt einige Experten, wie sie dabei vorgehen:
Hier ist ein Disentanglement-Training der australischen Naturschutzbehörde für Südkaper vorgeführt:
Dieses Disentanglement-Training sieht nach einer netten Freizeitbeschäftigung aus. Dabei ist es extrem ernst – jedes Jahr verstricken sich Abertausende kleiner und großer Wale in Fischereigeschirr, ob Netze oder Netzkäfig-Verankerungen. Gerade für Arten an der Schwelle zum Aussterben, wie etwa Nordkaper oder Ostsee-Schweinwal, ist jeder weitere durch Menschen verursachte Todesfall bestandsgefährdend.
Besonders oft verheddern sich Netze und Leinen an Kopf und Flossen. Ziehen sich die Kunststoffleinen um Flipper oder Fluke zusammen und wird der Wal nicht befreit, können diese Körperteile absterben. So hat schon so mancher Wal seine Schwanzflosse verloren – da sie der Hauptantrieb ist und zum Abtauchen und Reisen dringend benötigt wird, ist das für den Wal ein Katastrophe. Oft bedeutet es den langsamen und qualvollen Hungertod.
Shipstrike bedeutet, dass ein meist großer Wal mit einem Schiff kollidiert. Dabei werden Wale oft schwer verletzt, gegen stählerne Schiffe haben sie trotz ihrer Größe keine Chance. Besonders gefährlich ist der Schiffspropeller, dessen stählerne Blätter sich durch Rücken und Schwanz des Meressäugers leicht hindurchfräsen. Schiffsschrauben verursachen tiefe Fleischwunden, sie können auch die Wirbelsäule verletzten oder Teile des Schwanzes absäbeln.
Genau das ist 1996 im Ligurischen Meer einem Finnwal passiert: Dort lebt eine Finnwalpopulation, die bis zu 470 Meter tief taucht, um dort ganze Schwärme von Leuchtgarnelen (Krill, Euphausiaceen) zu fressen. Für diese Sommergäste ist das Walschutzgebiet Pelagos Sanctuary for Mediterranean Marine Mammals eingerichtet worden.
1996 hatte dort ein weiblicher Finnwal die Häfte ihrer Fluke durch ein solches Unglück verloren – sie bekam den Namen “Codamozza” (“Gehackter Schwanz”). Ihre Behinderung sie ihn nicht am Tauchen und Fressen und sie war in gutem Gesundheitszustand.
Im vergangenen September verlor sie dann auch noch die verbliebene Schwanzhälft. Bis jetzt ist nicht sicher, ob sie erneut von einem Schiff verletzt wurde, oder in einem Netz hängen blieb. Möglicherweise hat sich auch eine Verletzung entzündet.
Seitdem fehlt ihr der Hauptantrieb und sie kann nicht mehr bis zu den Nahrungsgründen abtauchen. Offenbar hat er an der Oberfläche nicht genügend Plankton gefunden, so dass sie jetzt ziemlich abgemagert ist.
Ein trauriger Anblick für den zweitgrößten Wal der Welt.
Wissenschaftler und offizielle Stellen haben nun die Schiffsführer gebeten, auf das Tier zu achten und sie großräumig zu umgehen. So können sie ihr zumindest zusätzlichen Streß ersparen. Außerdem wird Codamozza so oft es geht, von der italienischen Küstenwache eskortiert.
Die Ligurische See inkl. des Walschutzgebiets hat eine hohe Verkehrsdichte, es kommt dort leider immer wieder zu Wal-Schiff-Kollisionen.
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