„Im Anhang des Buches werden im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums über Gilead-Studien am 25. Juni 2195 Desfreds Erzählungen über ihr Leben historisch eingeordnet als ein seltenes Dokument – falls die Aufzeichnungen authentisch sind – aus der ersten Phase dieser Diktatur im 21. Jahrhundert. Inzwischen existiert dieser Staat nicht mehr und in verschiedenen Reinigungsphasen des Regimes wurden amtliche Dokumente vernichtet. Desfred muss vermutlich die Flucht gelungen sein. In einem Versteck hat sie ihre Erlebnisse auf 30 Tonbandkassetten gesprochen, die im ehemaligen US-Bundesstaat Maine ausgegraben wurden.“
Diese düstere Erzählung ist als Buch und vor allem als Verfilmung so erfolgreich gewesen, dass sie 2017 sogar noch als TV-Serie aufgelegt wurde.
Dass totalitäre Themen wie Atwoods The Handmaid´s Tale und Suzanne Collins’ The Hunger Games derzeit so erfolgreich sind, sagt viel über die Gegenwart aus.
Der US-Schriftsteller Kim Stanley Robinson erklärte im Interview, dass die Science Fiction die Hoffnungen und Ängste der Menschen für ihre Gegenwart oder nahe Zukunft abbilde – in den 1930ern, 1940ern und teils in den 1950ern glaubten die Menschen an eine bessere Zukunft.Das sei jetzt anders: “Die Welt ist ein Durcheinander, wegen der Arschlöcher, die denken, dass sie alles stehlen können und damit davonkommen. Darum müssen wir sie schnappen und der Justiz zuführen.” Reiche Menschen nehmen sich neun Zehntel von allem und zwingen die anderen, um den Rest zu kämpfen. Darum sei Suzanne Collins’ The Hunger Games so populär.
Diese Befürchtungen und die extreme soziale Ungleichheit haben in den USA sicherlich noch eine andere Dimension als etwa in Deutschland: In Deutschland gibt es durch die Sozialversicherungssysteme, ein überwiegend kostenloses Bildungssystem sowie durch eine gewisse staatliche Präsenz in vielen Lebensbereichen (noch) nicht ein so extremes, ausgedehntes Verelendungsrisiko. Gleichzeitig wäre es in Deutschland oder einem anderen europäischen Rechtsstaat zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt undenkbar, dass ein Staatsoberhaupt wie in einer Kleptokratie die führenden Positionen nur mit MilliardärsfreundInnen und Mitgliedern des Familienclans besetzt.
Außerdem ist es in den meisten EU-Staaten deutlich besser um Rechtsstaatlichkeit und öffentliche Sicherheit bestellt – auf deutschen Straßen ist es jedenfalls nicht üblich und alltäglich, mit halbautomatischen Waffen bewaffnete Zivilisten anzutreffen.
Dass US-AutorInnen aus gutem Grund einen etwas anderen Blick auf die nähere Zukunft haben, wird gerade in diesen Tagen vor der US-Präsidentschaftswahl 2020 sehr deutlich. Dass in einer westlichen Demokratie wie den USA überhaupt ernsthaft diskutiert werden muss, ob ein Präsident, falls er nicht wiedergewählt werden sollte, das Weiße Haus wieder zu räumen bereit ist, war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Jetzt ist es Alltag.
Olivia Butlers spekulatives 2024 ist innerhalb weniger Jahre jedenfalls erschreckend weitgehend Realität geworden.
Fortsetzung:
Teil 3: #ClimateFiction – Die Stadt als Keimzentrum neuer Ideen
Teil 4: #ClimateFiction: #Solar Punk – die Dystopie ist abgesagt
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