Heute vor 200 Jahren rammte und versenkte ein Pottwal-Bulle im Pazifik das Walfangschiff “Essex”.
Pottwale sind auf Meertext häufige Besucher, schließlich bin ich diesen größten aller Zahnwalen schon sehr nahe gekommen. Zwei ganze arktische Sommer habe ich mit ihnen verbracht, sie in den letzten Jahren immer mal wieder besucht und einen gestrandeten Wal mit zerlegt. Ich hatte bisher übrigens ausschließlich mit Bullen zu tun.
Im historischen Walfang sind die grauen Riesen gnadenlos abgeschlachtet worden, ihr kostbares Kopföl schmierte – im engsten Sinne des Wortes – ganze Industriezweige.
Der Pottwalfang war in der Ära der Segelschiffe nicht ungefährlich. Herman Melville beschreibt in seinem Epos “Moby Dick”, wie ein weißer Pottwalbulle sich gegen die Walfänger wehrt und das hölzerne Schiff schließlich versenkt. Hinter Melvilles Roman steckt eine echte Geschichte – der Untergang des Walfängers “Essex”.
Darum bringe ich an dieser Stelle noch einmal meinen alten Artikel von 2015 und nutze den Anlaß für einen Thementag rund um diese ganz besonderen Meeresriesen.
Wer die Artikel noch im Kopf hat, möge diesen Beitrag über”blättern”.
Ich persönlich finde ja, dass man einen guten Artikel zu einem guten Thema auch zwei mal lesen kann.
Da ich den Artikel neu geladen habe, stehen auch schon Kommentare darunter – wundert Euch also nicht.
Melville, Moby Dick, die Essex-Story und der ganze Walkampf
Herman Melvilles “Moby Dick” kennt (fast) jeder.
Ein gewaltiges Epos über den gewaltigsten aller Wale: Den Pottwal.
Faszinierende Fakten und erzählerische Glanzleistung werden in diesem Roman so miteinander verwoben, dass er bis in unsere Zeit als grossartiges Werk generationenübergreifend begeistert gelesen wird: Ahab und der weiße Wal stehen für Kampf, Besessenheit und Wahnsinn vor einer großartigen Kulisse.
Melville hatte tatsächlich auf einem Walfänger angeheuert und war beim blutigen Meeressäuger-Schlachten und schmutzigen Trankochen in der Südsee dabei.
Allerdings nur kurz, er ist dann schnell desertiert. Seine eigenen Erlebnisse hat er ergänzt mit den Erzählungen anderer Walfänger.
Der große Bulle “Moby Dick” ist kein Hirngespinst, sondern hat echte Vorbilder. Immer mal wieder werden weiße Pottwale geboren. Und es hat zu Zeiten des Pottwal-Fangs einige Bullen gegeben, die den legendären Status eigenständiger Persönlichkeiten erhielten – sie hatten Namen.
Das Vorbild für Moby Dick war wahrscheinlich Mocha Dick, der nach der Insel Mocha im Pazifik benannt worden war.
Der amerikanische Entdecker und Autor Jeremiah N. Reynolds hatte diesen weißen Walbullen 1839 in seinem Artikel “Mocha Dick: Or The White Whale of the Pacific: A Leaf from a Manuscript Journal” in dem Monatsmagazin The Knickerbocker verewigt.
Und es sind tatsächlich – mindestens – drei Fälle bekannt, in denen ein Pottwal ein Walfangmutterschiff gerammt und versenkt hat.
“The face, that sank the “Essex””
Der Roman “Im Herzen der See” (“In the heart of the sea”) schildert die Erlebnisse der Besatzung des Walfängers “Essex”, der 1821 von einem Pottwalbullen versenkt wurde:
“Die „Essex“ war ein Walfangschiff aus Nantucket, 27 Meter lang, mit einem Rumpf aus massiver Eiche und Pinie, mit Kupfer beschlagen. Sie war zur Zeit des Unfalls schon 20 Jahre alt und ein vergleichsweise kleines Schiff, aber voll intakt und seetüchtig. Durch einen Sturm kurz nach dem Auslaufen hatte sie allerdings einen Teil ihrer Fangboote verloren, nur drei seetüchtige Boote waren übrig geblieben.
Als der Walfänger im Pazifik dann zwei Pottwale harpuniert hatte, so die Historie, griff ein sehr großer Bulle von über 20 Meter Länge an und versenkte das hölzerne Schiff mit zwei gezielten Rammstößen seines Kopfes. Die Besatzung verließ das sinkende Schiff und fand sich im offenen Südpazifik in den verbliebenen kleinen Fangbooten wieder. Diese Boote waren Nußschalen in der Einöde des Meeres und boten keinen Schutz vor der Witterung. Der Südpazifik war damals für die Nordamerikaner nahezu Terra incognita, die Südseeinseln waren bewohnt von Kannibalen und anderen Wilden. Darum entschlossen sich die Besatzungen, nicht die näher liegenden pazifischen Inseln anzusteuern, sondern machten sich auf den Weg zur 6000 Kilometer entfernt liegenden Küste Südamerikas.
Ein waghalsiges Unternehmen!
Die meisten von ihnen kamen um, ertranken, verdursteten oder wurden von ihren Kameraden gegessen. Nathaniel Philbrick schildert in seinem Buch „In the heart of the sea“ (Deutscher Titel: „Im Herzen der „See“) das Unglück und die qualvolle Reise der Überlebenden.” (meertext: Moby Dicks Supernase – ein Rammbock?)
Der Dokumentarfilm „Auf den Spuren von Moby Dick“ erzählt die Geschichte der „Essex“ und die Verknüpfung vom amerikanischen Walfang und dem Beginn des Kapitalismus.
Der Untergang der “Essex” ist 2015 noch einmal als Kinofilm auf die große Leinwand gekommen: „Im Herzen der See“. Der gleiche Titel wie das Buch führt allerdings in die Irre: Wo das Buch einen hohen dokumentarischen Anspruch hat, zeigt der Film nur bunte Bilder, eine Walfänger-Besatzung aus Drama-Queens wie aus einer Soap Opera und die Pottwale kommen eher als Staffage vor.
Mein vollständiger Film-Verriß ist hier: Pottwal total? „Im Herzen der See“ – der Film.
Potential function of the spermaceti organ in aggression”?
2002 veröffentlichten Carrier et al die Hypothese auf, die Nase des Pottwals sei eine „battery ram“ – ein Rammbock. Sie interpretieren die einzigartige Konstruktion des Junk (Walratpolster im Kopf des Pottwals) als zentrales Organ im Kommentkampf erwachsener Pottwalbullen: „the greatly enlarged and derived melon of sperm whales, the spermaceti-organ, evolved as a battering ram to injure the opponent“ in male-male interaction.
Sie hatten dazu einige eine theoretische Experimenten zur Belastbarkeit der Pottwalnase durchgeführt und auf die Kommentkämpfe anderer Säugetiere hingewiesen.
Wer mehr darüber wissen möchte, sollte hier weiterlesen: meertext: Moby Dicks Supernase – ein Rammbock?
Hal Whitehead war davon nicht überzeugt und ich kann mich ihm da nur anschließen.
Aber die Pottwalnase ist ganz ohne Zweifel für mehr als eine gute Geschichte gut.
Der Aufstand der Wale
Sehr gut aufbereitete Informationen über Herman Melville, Moby Dick und Pottwale bietet auch die TV-Dokumentation “Der Aufstand der Wale”.
Darin kommen auch Walforscher wie Hal Whitehead zu Wort. Meiner Ansicht nach einer der besten Kenner der Pottwal-Verhaltensbiologie – er gesteht den grauen Riesen der Meere sogar eine eigene Kultur zu.
“Moby Dick” habe ich während einer Seereise gelesen, auf der ich Hunderte Wale sah.
In Nord-Norwegen hatte ich das Privileg, zwei arktische Sommer mit den Pottwal-Bullen zu verbringen.
Jede neue Publikation über Pottwale lese ich und bleibe dem Pottwal-Forscher Whitehead aus Nova Scotia auf der Spur.
Regelmäßig schreibe ich selbst über sie – vom “Rammbock”-Kopf über ihren Darminhalt (Ambra) bis zur Fluke.
Und nun freue ich mich auf den neuen Kinofilm!
Ich komme von den Viechern einfach nicht los.
Ihr habt ja völlig recht: Es war mal wieder Zeit für eine Pottwal-Story)
Zum Weiterlesen:
– Warum Pottwale meine “kleinen” Lieblinge aus der Blejiksdjupet sind,
– wie Pottwale jagen,
– warum die gwaltigsten aller Zahnwale vor 125.000 Jahren fast ausgestorben sind
Literatur:
Carrier, David R.; Deban, Stephen M. & Otterstrom, Jason (2002): “The face that sank the “Essex”: Potential function of the spermaceti organ in aggression”; Journal of Experimental Biology; 205, pp. 1755 – 1763
Ellis, Richard (2011): „The Great Sperm Whale: A Natural History of the Ocean’s Most Magnificent and Mysterious Creature”
Nathaniel Philbrick (2000): “In the heart of the Sea”
Whitehead, Hal (2003) „Sperm Whales: Social Evolution in the Ocean“
PS: Diesen Beitrag hatte ich bereits im Februar publiziert. Da der Film “Im Herzen der See” jetzt angelaufen ist, habe ich den Artikel noch einmal gepostet. Anfang nächster Woche gibt es dnan noch eine Filmkritik.
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