Auf Meertext stelle ich manchmal ausgewählte Bücher vor, deren Themen mich besonders reizen. Patrik Svenssons “Das Evangelium der Aale” ist so eines!
Schon im letzten Jahr erschienen, wollte ich es eigentlich vor Weihnachten noch schnell durchlesen und dann im Adventskalender bringen. Das hat dann leider nicht geklappt.
Aber hier kommt es nun – der Aal ist nämlich ein ganz besonderer Fisch, an den ich einige sehr persönliche Erinnerungen habe.
Der Aal (Anguilla anguilla) ist schon äußerlich ein ungewöhnlicher Fisch: Mit seinem langgezogenen Körper ohne sichtbare Schuppen windet er sich schlangenartig durchs Wasser. Die schmalen Flossensäume an Bauch und Rücken sind kaum sichtbar, die Brustflossen nur winzig – das verstärkt den Eindruck einer Wasserschlange. Das Maul voller kleiner spitzer Zähne ernährt er sich angeblich überwiegend von Leichen, das macht ihn unheimlich. Ganz unfischartig verläßt er manchmal das Wasser und schlängelt sich außerhalb des Wassers einfach über feuchte Wiesen, für seinen Sauerstoffbedarf reicht ihm dann die Hautatmung. Die Fortpflanzung des vom Aussterben bedrohten Fisches ist bis heute nicht ganz geklärt.
Diesen ungewöhnlichen, unheimlichen und geheimnisvollen Fisch stellt Patrik Svensson in seinem Buch “Evangelium der Aale” vor.
Vor dem Bilderbogen Aal erzählt er auf verschiedenen Ebenen mehrere Geschichten: Die persönliche Beziehung zu seinem Vater, mit dem er einst Aale angeln ging. Die Wissenschaftsgeschichte über mehr als 2000 Jahre hinweg mit ihren Rätseln und Meilensteinen in der Aal-Forschung. Naturphilosophie und Philosophie zum Mysterium und den Metamorphosen des seltsamen Fisches. Anekdoten stellen die historische Aalfischerei genauso vor wie die Leiden des jungen Sigmund Freud, der einst am Mittelmeer im Auftrag seines Zoologie-Professors besonders große Aale sezieren musste, auf der Suche nach ihren Geschlechtsorganen. Svensson stellt Forscher vor, die Jahrzehnte ihres Lebens dem Mysterium der Aal-Fortpflanzung gewidmet haben. Rachel Carson findet ihren Platz mit ihrer Aalgeschichte, mit der sie das Nature Writing begründet hat, eine poetischere, weniger anthropozentrische Betrachtung der Natur. Schließlich verwebt er das Bild seines sterbenden Vaters, der als Folge seiner Arbeit im Straßenbau mit heißem Asphalt einen Tumor bekommt, mit der Bedrohung des Aals in unserer Zeit. Überhaupt geht es sehr viel ums Bemühen und Scheitern, Sterben, Wiederauferstehen und Weiterleben.
Überblick zum seltsamen Aal-Lebenszyklus
Aale (Anguilla anguilla) existieren in unseren Flüssen, Seen und Teichen scheinbar geschlechtslos: die erwachsenen Fische entwickeln keine Geschlechtsorgane, sie paaren sich nicht und es gibt auch keine Spuren ihrer Fortpflanzung wie Eier und Larven.
Geschlechtsreife Aale ziehen aus den Flüssen ins Meer – sie sind katadrome Wanderfische – , ihre Spur verliert sich in der sagenumwobenen Sargasso-See. Bis heute hat niemand sie je bei der Paarung oder beim Ablaichen beobachtet. Da aber im Bereich der Sargasso-See die kleinsten Larven zu finden sind, müssen diese dort irgendwo auch schlüpfen. Aufgrund ihrer Form heißen sie Weidenblatt-Larven oder Leptocephalus-Larven. Wie alle Fischlarven sind sie transparent, eine Tarnfarbe im Plankton, wo sie ihren ersten Lebensabschnitt verbringen. Nach der Metamorphose haben sie bereits die schlangenartige Figur der Erwachsenen, sind aber noch weißlich – dieses Stadium heißt Glasaal. Diese nur wenige Zentimeter kleinen Fischlein wandern aus dem Atlantik in die Flussmündungen Europas. Dass sie u. a. in Spanien als Delikatesse gelten und dort gleich beim Ankommen in den Flußmündungen massenhaft gefangen werden, bekommt den Beständen nicht gut.
Die Überlebenden werden zum sogenannten Gelbaal, mit gelblichem Bauch. Mit 6 bis 9 Jahren werden Männchen und mit 12 bis 15 Jahren Weibchen geschlechtsreif – Aale machen dann eine erneute starke Umwandlung durch: der After schließt sich, sie fressen nicht mehr, stattdessen bilden sich allmählich die Geschlechtsorgane heraus, die dann schließlich die ganze Leibeshöhle ausfüllen. Mit diesem Handicap müssen die Fische noch die kraftzehrende lange Reise überleben. Darum haben dafür vorher große Fett-Reserven angesammelt – Aale sind Fettfische und können zu bis zu 30 % aus Fett bestehen.
Diese Blankaale haben dann einen weißlich-silbrig schimmernden Bauch und einen dunkleren Rücken, die übliche Tarnfärbung im Meer. Dort wandern sie langsam in Richtung der Bahamas. Ihre Hochzeitsreise ist eine Reise ohne Wiederkehr: Nach der Paarung und dem Ablaichen sterben sie.
Ihre lange Wanderung zur Fortpflanzung bis in die Tiefen der Sargasso-See ist ein Mysterium, das bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.
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