Die Aal-Erforschungsgeschichte
Vor über 2000 Jahren kam der Naturphilosoph Aristoteles nach einer Sektion eines Aals, bei der er weder Fortpflanzungsorgane noch Eier fand, zu dem Ergebnis, dass dieser Fisch ein Rätsel sei. So signifikant unterscheidet sich der schlangenförmige Flossenträger von anderen Arten, dass Homer ihn zu den Amphibien, statt zu den Fischen rechnete. Anguilla ist also seit über 2000 Jahren Gegenstand reger wissenschaftlicher Diskussionen.
So gab es reichlich Theorien zu seiner Fortpflanzung bzw. Entstehung: Kleine Aale sollten aus dem Schlamm der Flüsse entstehen, oder junge Aale entstehen ohne Befruchtung in älteren Exemplaren. Im Mittelalter waren die beiden Annahmen populär, der Aal sei lebendgebärend oder ein Hermaphrodit. Kein Wunder, dass er in historischen Zeiten eng verknüpft war mit der Urzeugung.
1777 landete ein großer Aal auf dem Seziertisch des Anatomen Carlo Mondini der Universität Bologna – bei der Sektion fand Mondini im Innern die reifen Fortpflanzungsorgane eines Weibchens mit Eiern! Damit konnte er beweisen, dass auch diese Fische zwei Geschlechter ausbilden und Eier ablaichen.
Allerdings bezweifelten viele Anatomen Mondinis Ergebnisse, denn es stellte sich als schwierig heraus, diese Beobachtung zu wiederholen: Es fanden sich einfach keine weiteren Aale mit voll ausgebildeten Geschlechtsorganen und Eiern. Erst 1824 entdeckte der deutsche Anatomie-Professor Martin Rathke wieder ein Aal-Weibchen mit sichtbar ausgebildetem Fortpflanzungsorgan, 1850 fand er eine Aalin mit Eiern im Leib. Damit bestätigte er Mondinis Beobachtung. Allerdings fehlte immer noch der Nachweis eines Männchens, sodass viele Wissenschaftler diese Art immer noch für hermaphroditisch hielten.
1874 fand ein polnischer Zoologe während eines Aufenthalts am Naturhistorischen Museum in Triest ein kleines zipfelförmiges Organ, das er für die männlichen Fortpflanzungsorgane des schlangenförmigen Fisches hielt. Allerdings war die Beschreibung des offenbar noch nicht voll ausgebildeten Organs zu vage und es fand sich kein Beweis für die Produktion von Samenflüssigkeit. Darum akzeptierte die wissenschaftliche Community diese Beobachtung nicht als Nachweis für die Existenz von Aalmännchen.
Im März 1876 schickte der Wiener Zoologe Carl Claus einen seiner Studenten von der Universität in Wien zur Forschungsstation nach Triest: den jungen Sigmund Freud, der neben Psychologie auch Zoologie studierte und bei eben diesem Claus Kurse belegt hatte. Sein Arbeitsauftrag: einen Aal mit männlichen Geschlechtsorganen zu finden! Einen Monat lang lieferten täglich Fischer frische Aale ab, die der Student sezieren musste. Vergeblich. Freud scheiterte an der Sexualität der Aale. (Svenssons Gedanken, inwieweit diese Erfahrung und die besessene Suche nach dem männlichen Geschlecht Freuds spätere Karriere beeinflusst haben mag, war für mich eines der unterhaltsamsten Kapitel).
In den 1890-ern hatte der dänische Meeresbiologe C. G. Johannes Petersen die letzte Umwandlung der Aale im Meer beobachtet: Er beschrieb die Umformung von Gelbaalen in Blankaale und stellte daraufhin die Hypothese auf, dass diese Fische sich im Meer fortpflanzen müssen. Petersen beschrieb detailliert, wie die Verdauungsorgane des Blankaals schrumpfen und er aufhört zu fressen, wie er Geschlechtsorgane entwickelt und sich Flossen und Augen verändern. Ganz offensichtlich bereitet sich der Fisch also auf seine Fortpflanzung und die damit verbundene lange Reise vor. Diese Erkenntnisse passten auch zu der Beobachtung, dass die kleinen Glasaale im Frühling aus dem Meer kommend die Flüsse hinaufwandern.
1896 konnten die italienischen Wissenschaftler Grassi und sein Student Calandruccio die erste Metamorphose einer Weidenblatt-Larve in ein Glasälchen beschreiben: Im Mittelmeer hatten sie das weidenblattähnliche Wesen namens Leptocephalus brevirostris gefangen. Vor ihren Augen verwandelte sich Leptocephalus im Aquarium in Anguilla! Das durchsichtige länglich-ovale Blättchen war offenbar das erste Stadium des europäischen Aals Anguilla anguilla. Bis dahin galten beide Organismen als jeweils eine eigenständige Art, darum war auch diese Beobachtung eine große Entdeckung. Grassi publizierte die Sensation, postulierte dabei aber fälschlich, dass diese Larve in den Tiefen des Mittelmeeres entstanden sein müsse.
Anfang des 20. Jahrhunderts war damit also geklärt, dass der Gelbaal sich in den geschlechtsreifen Blankaal verwandelt, der dann im Herbst ins Meer zieht. Außerdem wusste man, dass er nicht wieder zurückkehrt. Aus den Leptocephalus-Larven entstanden kleine Glasaale, die im Frühjahr an den europäischen Küsten auftauchten und die Flüsse hinauf schwammen.
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