Ebenso wie weitere Verfolgungsjagden mit gefangenen und besenderten Aalen. Nicht nur die Europäischen und Amerikanischen, sondern auch die Japanischen Aale entzogen sich immer wieder den Nachstellungen der Menschen.
Der japanische Biologe und Aal-Experte Katsumi Tsukamoto fand 1991 einige Weidenblatt-Larven des japanischen Aals Anguilla japonica, die erst wenige Tage oder Stunden alt waren, weit draußen im Pazifik, westlich der Marianen-Inseln. Im Herbst 2008 fingen Forscher des japanischen Atmosphere and Ocean Research Institute in Tokio genau dort auch drei erwachsene Exemplare, ein Männchen und zwei Weibchen, die aber nach dem Ablaichen schon im Sterben lagen.
Auch mit der Aquakultur klappte es nicht: Japanischen Wissenschaftlern gelang es zwar, einer geschlechtsreifen Aalin Eier zu entnehmen, diese künstlich zu befruchten und dann auch noch die Weidenblatt-Larven schlüpfen zu lassen. Leider lebten die Larven nicht lange, sie verweigerten einfach die Nahrungsaufnahme. Nach 30 Jahren (!) fanden die japanischen Fischereibiologe endlich etwas, was den Fisch-Kindern schmeckte: ein Pulver aus gefriergetrockneten Hai-Eiern. Mit dieser besonderen Babynahrung konnten sie einige Larven aufpäppeln. Aber bis heute gelingt es nicht, eine Aalzucht zu betreiben – die meisten Fischlein sterben noch als Larven, wenige werden Glasaale und noch weniger erwachsen.

(Genauso wenig wie in Europa, wie die Forschungen des Thünen-Instituts gezeigt haben.)

Heute sind Europäische Aale als Art vom Aussterben bedroht durch
– die Überfischung der Glasaale
– verbaute Flüsse, die Wanderrouten blockieren oder gefährlich machen
– Wasserverschmutzung mit ihrem toxischen Mix
– Parasitierung durch Einschleppung neuer Parasiten an Bord invasiver Arten wie der Schwarzmundgrundel mit ihrem trojanischen Schwimmblasen-Parasiten.

Die letzten Geheimnisse, wie genau ein Aal aus einem kleinen europäischen Gewässer zurück zu seinem Geburtstort mitten im Atlantik findet, sind bis heute nicht geklärt.
Leider besteht eine realistische Möglichkeit, dass diese auch kulturgeschichtlich so wichtige Art noch vor dem Lüften ihrer letzten Geheimnisse ausgerottte ist.

Meine Meinung zum Buch: Aal-Poesie
Mir gefällt das Verweben von Naturgeschichte, Naturphilosophie, Historie und Biographischem sehr gut und Fische mag ich ja ohnehin gern. Dass ich während meiner Arbeit Dr. Friedrich-Wilhelm Tesch als “Vater der Aale” persönlich kennengelernt habe, machte dieses Fisch-Evangelium für mich noch reizvoller. Und wie Larsson verursacht auch mir der fette und leicht wilde Geschmack Übelkeit. Außerdem liebe ich mysteriöse Tier-Rätsel seit meiner Kindheit, genauso wie Geschichten über die Sargasso-See.

Die verschiedenen Ebenen machen es zu einer abwechslungsreichen Lektüre, voller persönlicher, sachlicher und philosophischer Miniaturgeschichten. Für meinen Geschmack wabert der Text manchmal zu sehr ins Philosophische hinein, einige Male verlor ich den Bezug zur eigentlichen Aalgeschichte. Gerade das Thema der Metamorphosen war mir an einigen Stellen zu bemüht und zu langatmig. Das Thema des Todes – des sterbenden Vaters und des aussterbenden Aals – mäandriert zu stark zwischen existenzialistisch und küchenphilosophisch banal.

Es endet dann recht düster: Schließlich sind Aale vom Aussterben bedroht. Wahrscheinlich müssen wegen des finster dräuenden Artensterbens die meisten Bücher über Tierarten zu einem bösen Ende kommen. In diesem Fall kommt dann noch das Dahinsiechen des Vaters dazu, Svensson scheint mit dem Aal-Schicksal den Tod seines Vaters zu verarbeiten. Ich finde, dass der Spagat zwischen Naturwissenschaft bis zu sehr persönlichen Gedanken nicht immer ganz gelungen ist.

Manch andere Geschichte zur Aal-Forschung und Ozeanographie hätte ich lieber wesentlich ausführlicher gehabt. Kein Wunder, schließlich bin ich Biologin. Patrik Svensson hingegen hat Sprachen studiert und schreibt streckenweise wirklich poetisch. Diese Natur-Poesie stellt er im mit der „Mutter des Nature Writing“ Rachel Carson auch explizit vor. Carson hatte die Anguilla- Wanderung in die Sargasso-See in ihrem ikonischen Werk „Unter dem Meerwind“ aus der Perspektive eines Aalweibchens beschrieben, das von einer unerklärlichen Sehnsucht angetrieben wird.

Der aalbegeisterte Poet Svensson nutzt die Macht der Worte, um auf die derzeitige katastrophale Situation des Artensterbens und der Öko- und Klimakrise aufmerksam zu machen und rüttelt damit auf. Vielleicht auch Lesende, die bisher weder den Aal sympathisch fanden noch ein Herz für schlüpfrige Fische und den Rest der Tierwelt hatten. Jedenfalls schreiben das einige Rezensenten.
Die Natur-Poesie eröffnet zusätzliche Perspektiven auf Sachinhalte und findet eine andere Sprache dafür. Damit treten Artensterben, Öko- und Klimakrise aus der naturwissenschaftlichen Sachbuch-Ecke auf die viel größere Bühne des Literaturbetriebs. Nur dass in diesem Fall nicht immer ein Mensch Erzählender und Hauptfigur ist, sondern andere Lebewesen, ob Aal, Baum oder Pilz, diese Stellen einnehmen.

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Kommentare (7)

  1. #1 Roman Handl
    St. Gallen
    11. März 2021

    Passend zu Ihrer sehr lesenswerten Zusammenfassung und Rezension eines Buches, das ich auch nur empfehlen kann.
    https://mission-blue.org/2021/03/saving-the-sargasso-sea-the-golden-floating-rainforest-of-the-atlantic/

  2. #2 Bettina Wurche
    11. März 2021

    @RomanHandl: danke für den Tipp – da muss ich unbedingt mal stöbern

  3. #3 Alisier
    13. März 2021

    Abgesehen davon, dass ich Deine Blogpots immer noch ausgesprochen gerne und mit viel Gewinn lese, auch wenn ich normalerweise nicht kommentiere:
    Dieses Thema ist mir ein Herzensanliegen.
    Nachdem ich gestern Deinen ungewöhnlich dichten, informativen und so überaus kompetenten Artikel über Seegras bei Spektrum gelesen habe habe ich mir vorgenommen, hier mal wieder was zu sagen.
    Und den Pilzwald sowie den Teich habe ich nicht vergessen.
    Nach dem heutigen Angeln hätte ich noch ein paar aktuelle Fragen zur Entwicklung der Aalbestände, die Du vielleicht zu beantworten helfen kannst. Die Daten erscheinen mir nämlich inzwischen etwas widersprüchlich.

  4. #4 Bettina Wurche
    14. März 2021

    @Alisier: Danke, das freut mich! Mein Grauwal-Artikl müsste auch bald `rauskommen : )
    Was ist denn widersprüchlich?

    Der IUCN-Status ist: Critically endangered.
    Diese Bachelor-Arbeit (2019) fasst zusammen: “Der Aal gehört zu den gefährdetsten Fischarten in ganz Europa.”
    https://digibib.hs-nb.de/file/dbhsnb_thesis_0000001924/dbhsnb_derivate_0000002673/Bachelorarbeit-Meyer-2019.pdf
    Die aktuelle Einschätzung des Thünen-Instituts für Ostsee-Fischerei kommt zum gleichen Ergebnis:
    https://www.fischbestaende-online.de/fischarten/aal-europaeischer

    Einige Fischereiverbände klingen anders – das bezieht sich aber erstmal nur darauf, dass jetzt weniger Glasaale für den Export nach Asien massenhaft weggefangen werden dürfen. Wer als wichtigsten Grund für den Rückgang der Aale die Kormoran als Hauptschuldigen nennt, ist eher nicht so richtig faktenbasiert unterwegs:
    https://lfv-brandenburg.de/europas-aalbestand-steigt/
    Das ist halt Lobbyarbeit.

  5. #5 Alisier
    14. März 2021

    @ Bettina Wurche
    Da sind wir uns einig.
    Mir geht es um die (sehr erfreuliche) und bemerkenswerte Zunahme der hochziehenden Glasaale 2020, und da diese Zunahme bestätigt wurde, stellen sich für mich zwei Fragen:
    Hatte das eventuell was mit Corona zu tun? Und ist das jetzt der Hoffnungsschimmer in diesen dunklen Aalzeiten oder doch nicht?

  6. #6 Alisier
    14. März 2021

    Noch was: in den letzten zwei Jahren konnte ich ungewöhnlich viele Aale in unterschiedlichen Gewässer fangen, ohne gezielt darauf geangelt zu haben(was ich seit langem nicht mehr tue), und kein einziges (!) Exemplar hatte Schwimmblasenwürmer, und das wurde mir auch von ökologisch interessierten Mitanglern bestätigt.
    Das ist natürlich erstmal anekdotisch, aber nachdem vor ein paar Jahren fast jeder gefangene Aal voll mit diesen Parasiten war, fand ich das bemerkenswert, und diese Beobachtung hat sich meines Wissens noch nicht in der wissenschaftlichen Literatur niedergeschlagen.
    Eventuell war es ja auch Zufall, was ich aber bezweifle.

  7. #7 Bettina Wurche
    15. März 2021

    @Alisier: Die größere Menge an Glasarten dürfte in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fischereiverbot für diese Jungfische für den unersättlichen asiatischen Markt stehen. Weniger Schwimmblasenwürmer wären eine wirklich gute Nachricht, das hatte mir nämlich besonders große Sorgen gemacht. Offenbar hast du schon nach neuen Forschungsergebnissen geschaut? Mehr könnte ich ja auch nicht machen. Beim Thünen-Institut hatte ich tatsächlich noch keine positiven Bestandsmeldungen gefunden.

    Ob Corona sich da positiv ausgewirkt haben könnte, ist fraglich. Auch wenn Restaurants und Tapas-Bars geschlossen hatten, haben die Leute ja weiterhin gegessen. In einign Regionen, z. B. in Afrika, hat die Wilderei wegen Corona extrem zugenommen – viele junge Männer haben ihre Jobs verloren und sind in ihre Familien auf den Dörfern zurückgekehrt. Dadurch hat die Wilderei etwa in der Serengeti gerade extrem zugenommen.
    https://www.wwf.de/themen-projekte/weitere-artenschutzthemen/wilderei/wahlloser-tod-immer-mehr-schlingfallen-in-afrika