Mittlerweile schwappen mir regelmäßig Algenpesten auf den Schreibtisch.
Etwa aus der Sargassosee und der Karibik: Aus dem goldgrünen Algenflecht, einer einzigartigen Insel der Meeres-Biodiversität mitten im Atlantik, wird gerade eine giftige, alles erstickende Algenplage an den Stränden der Karibik und Mittelamerikas. Der aus schwimmendem Kelp (Sargassum) bestehende Lebensraum verändert sich vor allem durch die Einleitung von landwirtschaftlichen Abwässern aus Afrika und Südamerika sowie Humus aus dem abgeholzten Amazonas-Regenwald gerade schnell und tiefgreifend, die Meereserwärmung kommt noch dazu. 2018 hatte ich darüber für Spektrum geschrieben – „Neuer Fluch der Karibik“ -, im Juni 2021 für die SZ: „Die braune Flut, die zur “neuen Normalität” werden könnte.
In diesem Sommer kam noch der Meeresrotz im Bosporus dazu und das Manati-Sterben in Florida, aktuell auch der Mörderische Meeressalat in der Bretagne. Und im Südosten Spaniens steht Europas größte Salzwasser-Lagune, das einzigartige Ökosystem Mar Menor, vor dem Kollaps, so dass Anwohner jetzt aus Protest gegen die Untätigkeit der Regierung eine Menschenkette gebildet haben. Die Menschenkette schaffte es dann in die Nachrichten, die Algen und der tonnenweise verwesende Fisch hatten dafür nicht ausgereicht.
Selbst aus China kommen alarmierende Berichte über massenhafte Algen-Probleme im Hafen von Qingdao in der Shandong-Provinz.
Nur noch wenig berichtet würd über die Todeszonen in der Ostsee, sie sind wohl schon zu normal und haben nicht die gigantischen Ausmaße wie anderswo.
Stinkende Algen ersticken das Meeresleben
All diese Algenprobleme sind direkt in den Küstengewässern zu beobachten, selbst die Sargassum-Insel bewegt sich in Richtung Land. Aufgrund des Gestanks der verwesenden Meeresgewächse und auch aufgrund der mechanischen Probleme – sie verstopfen Schifffahrtswege, überfluten Strände und machen Fischerei und Tourismus unmöglich – sind solche Algenblüten verheerend und auch finanziell desaströs. Wie Teppiche des Todes ersticken sie ganze Ökosysteme, überwuchern andere Algen und Seegras und entwickeln bei der Verwesung üble giftige Schwefelwasserstoff-Verbindungen. So ersticken Fische, verheddern sich Schildkröten, verhungern Manatis und erkranken Menschen.
Diese Algenplagen treten in diesem Jahr nicht zum ersten Mal auf, an allen Orten kam es auch schon früher dazu. Alle Meldungen berichten von den schlimmsten Algenschwemmen, die es je gab, die Probleme nehmen also stetig zu.
Manchmal sind es weißliche Kieselalgen (Diatomeen) und Dinoflagellaten wie im Bosporus.
In der Bretagne und Qingdao ist es der leuchtend grüne Meersalat Ulva, der eigentlich als eßbare Alge in Aquakulturen gezüchtet wird. Allerdings schlägt er diesmal wachstumsmäßig ganz erheblich über die Stränge.
Vor Florida nehmen zu viele einzellige Algen den Seegräsern das Licht weg, durch das Seegrassterben verhungern dann die Seekühe, deren Bestände unter strengem Schutz stehen und ohnehin gefährdet sind.
In der Karibik legt das Sargassum zum x-ten Mal Fischerei und Tourismus lahm, aus dem einstigen Algen-Paradies für Meeresschildkröten, Fische und viele andere Tiere ist ein Riesenproblem geworden und die Karibik ist für Touristen gar nicht mehr paradiesisch.
Auch in unserer Ostsee kommt es durch die Einleitung mit Düngemitteln überfrachteten landwirtschaftlichen Abwassern immer wieder zu Algenblüten, die zu Todeszonen im Meer führen – wenn die Algen nach ihrem kurzen, aber massenhaften Aufblühen absterben, sinken sie zu Boden und werden von Bakterien zersetzt. Diese Bakterien zehren den Sauerstoff im Wasser auf, dadurch ersticken alle sauerstoffatmenden Meerestiere: Fische, Krebse, Muscheln und andere. In der Ostsee entstehen gerade in den warmen und immer wärmeren Sommern immer mehr und größere solcher Todeszonen. Das hängt auch mit der besonderen Situation der Ostsee und ihrer Aufteilung durch Schwellen in Becken zusammen.
In diesem Interview des ESKP erklärt Prof. Dr. Martin Wahl (GEOMAR) die Algenblüten in der Ostsee detailliert, es gibt auch ein gutes Video dazu.
Die plötzlich wuchernden Algen oder auch Cyanobakterien nehmen großen Meeresgewächsen wie Seegräsern und Großalgenbeständen das Licht, das diese zur Photosynthese brauchen. Letzte können daraufhin absterben. Da Seegräser und Großalgen eine sehr wichtige Rolle für die CO2-Aufnahme im Meer spielen und CO2 für Jahrhunderte oder Jahrtausende binden können (Sequestrierung), haben Algenblüten auch noch Auswirkungen auf das Weltklima.
Überdüngung der Meere: Die industrielle Landwirtschaft ist die Hauptursache
Der Grund für all diese Plagen von Grün- und Braunalgen ist stets der gleiche: Die unkontrollierte und viel zu hohe Einleitung von landwirtschaftlichen Abwässern. Landwirte düngen ihre Felder mit Stickstoff-Verbindungen, damit die Feldfrüchte besser wachsen. Das ist legitim, eine florierende Landwirtschaft sichert schließlich die menschliche Ernährung. Allerdings ist es in der der industrialisierten Landwirtschaft üblich, wesentlich mehr stickstoffhaltige Stoffe auszubringen, als die Feldfrüchte für ihr Wachstum nutzen können. Der Rest versickert im Boden und bedroht mit seinem Nitratgehalt das Grundwasser, ein erheblicher Teil wird durch Regen über oberirdische Gewässer schließlich in die Küstengewässer gespült.
Zwar gelten in Deutschland, der gesamten EU und vielen anderen Ländern weltweit längst Vorschriften zum Ausbringen von Düngemittel oder auch Jauche auf den Feldern. Aber offenbar reichen die Vorschriften nicht aus und/oder werden ungenügend durchgesetzt.
So hat sich in der Ostsee die Ausdehnung der „toten Zonen“ im 20. Jahrhundert verzehnfacht.
In der EU belohnt die EU-Agrarpolitik zurzeit mit Förderungen industrielle Landwirtschaftsformen, die zu dieser und anderen Ökosystem-Zerstörungen führen. Nur mit einem Wandel dieser extremen Ausprägung der Agrar-Industrie und dem Anreiz für nachhaltigeres Bewirtschaften kann es auch einen wirksamen Meeresschutz geben. Ob in Deutschland, der EU, der Türkei, den USA oder dem Sargassomeer.
Dass und wie u. a. der stark mit landwirtschaftlichen Abwassern und Nährstoffen überfrachtete Mississippi direkt für die Veränderung des Sargassum-Ökosystems verantwortlich ist, hatte ein Forscher-Team um Brian Lapointe von der Florida Atlantic University im Mai 2021 in Nature Communications publiziert. Sie haben eine Sammlung von 488 Sargassum-Gewebeproben von Forschungsfahrten aus den 1980er- und 2010er-Jahren verglichen, ein einzigartiges Archiv ökologischer Daten. Bestätigt werden ihre Analysen auch durch andere WissenschaftlerInnen und die Daten moderner Erdüberwachungssatelliten.
Dieser Zusammenhang von Überdüngung und ökologisch und ökonomisch desaströsen Algenblüten ist auch in Europa längst nachgewiesen. Darum hatten die Spanier gerade angesichts vieler Tonnen erstickter Fische und Algenschleimbergen am Strand des Mer Menor gegen die Provinz- und Zentralregierungen protestiert. Auch in der Bretagne stehen Landwirte am Pranger, die zurückgiften und offenbar zu keiner Einsicht fähig sind. Auch der Meeresrotz am Bosporus wird der Erdogan-Regierung angelastet, das rechtspopulistische Regime lässt sich von Umweltschützern oder gar aus dem Ausland nichts vorschreiben lassen.
Dabei müsste es sogar Landwirten einleuchten, dass das Ersticken an der eigenen Jauche eigentlich keine gute Idee ist. Leider gibt es durch jahrzehntelange Lobbyarbeit so verhärtete Fronten, dass eine sachliche Diskussion kaum mehr möglich ist.
Der Umstand, dass die massenhafte Produktion von Lebensmitteln zu billiger Ware führt, während die dadurch angerichteten Schäden, von allen SteuerzahlerInnen beglichen werden müssen, führt zu einer absurden Situation.
In Europa unterstützt bisher die EU genau diese Form der Wirtschaft, eine andere Form der Agrarwirtschaft wird u. a. von Deutschland und seinem erzkonservativ geführten und agierenden Landwirtschaftsministerium blockiert.
Todeszonen liegen weltweit im Trend
Die zunehmende Erwärmung der Ozeane heizt solche Algenblüten oft noch zusätzlich an, es kommt dadurch oft sogar zu Giftalgenblüten (Red Tides), die in Küstenbereichen und mitten in den Ozeanen alle Lebewesen töten. Im Pazifik sorgen sie immer häufiger für Massensterben von Seiwalen, anderen Walen und Meereswesen. Küstennah bedrohen sie die Aquakulturen und verursachen etwa in den chilenischen Lachszuchten Millionenschäden.
Da in wärmerem Wasser weniger Sauerstoff gelöst wird, breiten sich die Todeszonen in den Ozeanen immer weiter aus. Die Anzahl dieser Todeszonen sei von 2008 bis 2019 von mehr als 400 auf etwa 700 gestiegen, heißt es im zweiten «World Ocean Assessment» der UNO zum Zustand der Meere. Auch rund 90 Prozent der Mangroven-, Seegras- und Sumpfpflanzenarten sowie über 30 Prozent der Seevogelarten sind vom Aussterben bedroht. Da die Mangroven-, Seegras- und Sumpfpflanzenarten als Blue Carbon-Arten extrem viel CO2 einfangen und sequestrieren, schädigt ihr Sterben auch das Weltklima.
Betroffen sind demnach neben dem Golf von Mexiko und dem Südchinesischen Meer auch die Ost- und die Nordsee.
Vielleicht könnten wir ja zumindest in Deutschland und Europa das Problem mal von der politischen Seite her angehen. Ich bin nämlich nicht mehr länger bereit, diese Mißwirtschaft mit meinen Steuergeldern zu unterstützen. Ich möchte lieber an der Ladenkasse für gute Nahrungsmittel und eine intakte Umwelt zahlen, als über Steuern die (schlechte) Reparatur der Umweltschäden finanzieren.
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