Bei ihrer Sitzung in Marseille im Sommer dieses Jahres hat die Weltnaturschutzunion (IUCN) alle Mitgliedsstaaten aufgerufen, sich für ein Moratorium zum Tiefseebergbau, die Überarbeitung von Explorationsverträgen sowie eine Reform der ISA und des rechtlichen Rahmens einzusetzen.
Künftig sollte eine strengere und transparente Folgenabschätzungen die
- ökologischen,
- sozialen,
- kulturellen und
- wirtschaftlichen Risiken des Tiefseebergbaus umfassend untersuchen.
Nur so kann ein wirksamer Schutz der Meeresumwelt gewährleistet werden.
Der Klimaschutz dürfe jetzt nicht gegen den Tiefseeschutz ausgespielt werden. Mit den knappen Ressourcen müsse man endlich sparsamer umgehen, mehr recyceln und noch stärker nachhaltige terrestrische Bergbaupraktiken entwickeln. Um dies zu gewährleisten, brauche es eine Reform der ISA, Mechanismen zur unabhängigen Überprüfung und die Anhörung potenziell von den Bergbaufolgen betroffene indigenen Völker und Gemeinschaften.
Die Bergbaukonzerne machen Druck für einen schnellen Start des Abbaus, indem sie die Klimaschutz-Karte ausspielen: Die Umstellung der Weltwirtschaft vom Verbrenner auf elektrische Motoren hängt an Lithium-Ionen-Batterien.
Diese Technologie stammt aus den 70-er Jahren und braucht dringend eine Erneuerung. Längst forschen weltweit Arbeitsgruppen an einem Ersatz dieses technischen Nadelöhrs. Wir können unser Morgen nicht abhängig machen von einer Technologie von gestern. Die Zeit ist reif für die Revolution der Batterie!
Der Ruf nach einem Moratorium wird also immer lauter: über 450 MeereswissenschaftlerInnen und PolitikerInnen aus 44 Nationen, über 140 NGOs, darunter der WWF, die Deep Sea Conservation Coalition oder Greenpeace, pazifische Interessensgemeinschaften und Pazifikstaaten wie Papua Neuguinea und die Fidschi-Inseln, das EU-Parlament und sogar große Industriekonzerne wie BMW, Volvo, Samsung oder Google schließen sich der Forderung mittlerweile an.
Verursacher, Verantwortliche und Haftung
Ein Areal im Südpazifik, die Clarion-Clipperton-Zone (CCZ), steht derzeit im Fokus des Tiefseebergbaus. Die Ergebnisse vieler Forschungsexpeditionen und -experimente (DISCOL) haben gezeigt, dass das reichhaltige Polymetallknollen-Feld nicht nur eine Rohstoff-Bonanza ist, sondern die Metallknollen gleichzeitig ein empfindlicher Lebensraum mit einer ganz eigenen Lebensgemeinschaft sind. Durch die beabsichtigte Exploration mussten in dieser abgelegenen Meeresgegend umfangreiche ökologische Gutachten erstellt werden, im Laufe mehrerer Jahrzehnte haben Forscher vollkommen neuartige Ökosysteme und unbekannte Tiere entdeckt. Über Gummihörnchen, lebende Softbälle und andere seltsame Meeresgeschöpfe der CCZ habe ich hier, hier und hier mehr geschrieben. Die vermeintlich karge Tiefsee ist von einer bunten Schar Lebewesen bevölkert, die Manganknollen selbst sind Teil des Lebensraums und dicht bevölkert. Außerdem ist an dieser Stelle nachgewiesen worden, wie verheerend und dauerhaft die Förderung der Manganknollen dieses reiche Tiefseeleben zerstört.
Dieses Video des MIT zeigt eindrücklich den metergroßen Roboter und das aufgewirbelte Sediment:
Der kanadische Bergbaukonzern DeepGreen Metals hat bereits vor Jahren Vereinbarungen mit den Inselstaaten Nauru, Tonga and Kiribati getroffen und will dort auf einem Gebiet von 224,533 km², (so groß wie Rumänien) Polymetallknollen abbauen, angeblich genug für 280 Million E-Autos.
Der Präsident von Nauru, Lionel Aingimea, hatte die ISA über die Absicht von Nauru Ocean Resources Inc (NORI), einer Tochtergesellschaft eines kanadischen Unternehmens namens DeepGreen, informiert, die Genehmigung für den Abbau in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) in zwei Jahren zu beantragen. Damit hat er die sogenannte 2-Jahresregel geltend gemacht, die ISA musste daraufhin innerhalb von 2 Jahren ein Regelwerk für den Abbau erstellen. NORI, eine auf Nauru ansässige Tochterfirma der kanadischen DeepGreen Metals, hat eine Abbaulizenz für 15 Jahre in der CCZ-Tiefseeebene zwischen Hawaii and Mexico.
Allerdings hat der Probe-Abbau der belgischen Firma Global Sea Mineral Resources (GSR) in der Clarion-Clipperton-Zone nicht gut geklappt: Der 25 Tonnen schwere Bergbau-Roboter-Prototyp Patania II war im April in 4,5 Kilometern Tiefe gestrandet. Jetzt wachsen die Sorgen vieler Anrainer, dass der Abbau doch nicht so reibungslos funktionieren könnte und Unfälle und Kollateralschäden zu erwarten sind.
Im Schadensfall sieht das Seerechtsübereinkommen (SRÜ, UNCLOS) „ausdrücklich eine Haftung privater Akteure vor.“ Damit kann für durch den Tiefseebergbau entstandene Schäden also das Unternehmen selbst in Haftung genommen werden. „Der Vertragsnehmer [ist] für jeden Schaden verantwortlich oder haftbar, der durch rechtswidrige Handlungen im Verlauf seiner Arbeiten verursacht worden ist“. Außerdem „haftet der befürwortende Staat für Fehler – Verletzungen seiner Sorgfaltspflichten – bei der Auswahl und Überwachung des Unternehmens.“
Die Konzern- und Staatshaftung sind eigentlich eine weitsichtige Regelung. Allerdings zeigt das Beispiel des Entwicklungslandes Nauru und des vom Großkonzern outgesourcten Subunternehmens bereits die Unzulänglichkeit der Regelung.
Es gibt nämlich drei Haftungslücken:
- Das Unternehmen hat nicht schuldhaft und rechtswidrig gehandelt.
- Nicht der Großkonzern haftet, sondern das kleinere Unternehmen NORI, dessen Finanzkraft deutlich geringer sein dürfte. Sollte NORI durch einen Zwischenfall mit Haftungsanspruch Insolvenz anmelden, bleibt der Schaden unreguliert, da der Mutterkonzern „außerhalb des Vollstreckungszugriffs des Staates ist“.
- „Der Staat hat zwar gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen, zwischen diesem „Verstoß und dem eingetreten Umweltschaden lässt sich aber keine hinreichende Kausalität nachweisen“.
Dazu kommt: Selbst falls ein kleiner Inselstaat wie Nauru haftbar sein sollte, ist doch fraglich, ob dieser für den eingetretenen Schaden finanziell und juristisch wirklich gewappnet ist. Umweltschutzexperten bezweifeln das zu Recht.
Es könnte also durchaus sein, dass die zu befürchtenden, irreparablen, großflächigen Schäden dieses noch wenig bekannten Ökosystems und ihre weitreichenden Folgen etwa für die Ernährung sehr vieler Menschen nicht finanziell abgepolstert werden. Mal wieder.
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