Kim Stanley Robinson at Worldcon 2005 in Glasgow, August 2005. Picture taken by Szymon Sokół. (Wikipedia)

Auf dem ElsterCon in Leipzig habe ich zu Ehren Kim Stanley Robinsons einen Vortrag zu seinen Romanen zur Klimakrise (Climate Fiction) gehalten. Der in Kalifornien lebende Autor ist in diesem Jahr nämlich 70 geworden und hat für „Das Ministerium der Zukunft“ einen Kurd-Laßwitz-Preis erhalten. Da er selbst nicht mehr reisen mag, kam er nicht persönlich nach Leipzig – so habe ich ihn vorgestellt.

Der 1952 geborene Kim Stanley Robinson – auch oft KSR abgekürzt – studierte Literaturwissenschaft und Anglistik, 1982 promovierte er über Philipp K. Dick. Sein Spezialgebiet sind nahe Zukünfte im Anthropozän. Neben dem Bezug zwischen Ökologie und Ökonomie, Wissenschaft und Gesellschaftspolitik spielen auch Naturerfahrungen eine wichtige Rolle in seinen Erzählungen. Er selbst ist begeisterter Bergsteiger und hat extreme Naturerfahrungen etwa beim Durchwandern der winterlichen Sierra Nevada erlebt. Viele seiner Romane sind Utopien, in denen seine Protagonisten – meist WissenschaftlerInnen – eine postkapitalistische, basisdemokratische und faktenbasierte Gesellschaft fordern und einrichten. Mit der Mars-Trilogie berühmt geworden, ist er heute einer der wichtigsten Erzähler der Klima- und Ökokrise.

The Purpose of Climate Fiction

https://givingcompass.org/article/the-purpose-of-climate-fiction

Hatte mein Vortrag 2020 auf der letzten ElsterCon noch Climate Fiction allgemein vorgestellt, mit einem Exkurs zum Solarpunk und natürlich auch der Erwähnung von KSR, stand er diesmal im Mittelpunkt. Dabei stelle ich die Entwicklung von Klimakrise und Klimaschutz vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen und klimatologischen Entwicklungen an drei wichtigen Büchern des Kultautors vor: „Antarktika“, „New York 2140“ und „Das Ministerium der Zukunft“.

War das Thema Global Warming, also der menschengemachte Temperaturanstieg durch immer weiter zunehmenden CO2-Ausstoß der Industrialisierung, zunächst eher in Fachkreisen und Sendungen für naturwissenschaftlich interessierte Menschen wie etwa Hoimar von Ditfurths TV-Auftritten bekannt, wurde es in den 1980er und -90er Jahren in die breitere Öffentlichkeit kommuniziert. Immer mehr WissenschaftlerInnen und KommunikatorInnen versuchten in verschiedenen medialen Formaten und in politischen Kreisen, die Menschen von der drängenden Notwendigkeit zum Klimaschutz zu überzeugen.

Ebenfalls in den 1980-er Jahren formierte sich unter dem US-Präsidenten George W. Bush eine Gegenfront von Global Warming-Leugnenden: “Klimawandel” nennt Bushs Berater die Klimakrise verharmlosend.
1988 wird der UN Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gegründet, der den Forschungstands zur Klimaänderung als Entscheidungsgrundlage für politische Entscheidungsträger zusammenfassen soll – allerdings soll er keine Handlungsempfehlungen aussprechen.
1989 bildet sich als Gegenspieler zum IPCC die Global Climate Coalition, ein früher Vertreter der Frontgruppe der organisierten Klimaleugnerbewegung. Die Fossil-Lobby und ihre Verbündeten, die den CO2-Ausstoß als Geschäftsgrundlage betreiben, leugnen wissenschaftliche Fakten, streuen falsche Informationen, diskreditieren Klimaforschende, und manipulieren IPCC & UN. Außerdem framen sie Klimaschutz als “Leftie”-Thema, also ein Thema der Linken, Liberalen, Grünen und Kommunisten. Bis heute lehnen Rechtspopulisten, Neoliberale und Konservative daher Klimaschutz ab und verbreiten ein Haßbild von „ungewaschenen Lastenradfahrern“.

In der Science Fiction sind Klimakrisen nichts Neues, Szenarien wie Terraforming, post-nuklearer Winter oder andere Katastrophen sind schon oft und in verschiedenen Facetten in plausiblen Zukünften durchgespielt worden.
Star-Autorinnen wie Margaret Atwood und Ursula K. LeGuin haben dabei neben der Klima- und Ökokrise auch immer die soziale Ungerechtigkeit mit thematisiert, schließlich sind alle drei Problemkomplexe eng miteinander verflochten. Sie und andere AutorInnen meinen, dass alle diese Krisen maßgeblich auf die Mentalität der Gewinnmaximierung zurückzuführen sind. In einer Klimakrise werden dann gesellschaftliche Ungleichheiten noch sichtbarer, gleichzeitig steckt in der Krisenbewältigung aber auch der Schlüssel für eine fairere Welt.

Science Fiction und Climate Fiction können Menschen die an sich zutiefst verstörenden Fakten der Klimakrise besser und anders erzählen und ihnen mögliche und plausible Auswege zeigen. Science Fiction ist zwar fiktiv und hat keinen Anspruch, Lösungen für Probleme zu bieten, sie kann aber durch fiktionale Lösungswege beim Finden von Lösungen helfen. Ursula K. LeGuin bezeichnet die Science Fiction als ein Labor, in dem man verschiedene Szenarien und Lösungen fiktiv ausprobieren kann.

KSR: „Antarktika“ (1997)

Kim Stanley Robinson „Antarktika“ (1997) ist mein absolutes Lieblingsbuch von ihm. Sein Plot beschreibt die Antarktis in der nahen Zukunft am Wendepunkt, gerade stehen die Neuverhandlung des Antarktisvertrags an. Der Antarktisvertrag regelt die friedliche Nutzung und den freien wissenschaftlichen Zugang zum sechsten Kontinent. Antarktika ist ein Ort der Wissenschaft, an sich schon fast eine Utopie. Robinson hat 1995 mit einem Stipendium selbst die Antarktis bereist, was ihn offenbar tief bewegt hat. Er erzählt eindrucksvoll über den vereisten Kontinent und die Wissenschaftler-Community mit ihrem Umweltbewusstsein ihrem Forschungsgeist und ihrer eigenen Kultur, gleichzeitig auch die extreme Hierarchie und Ausbeutung auf diesem wissenschaftlichen Außenposten. In diese eigentlich friedliche Stimmung hinein stören Ökosaboteure die antarktische Ruhe. Der Abgesandte des US-Senats Wade Norton soll sich selbst ein Bild der Lage machen und reist auf den sechsten Kontinent. Robinson bringt reichlich Details zur Glaziologie und Geologie, seine Schilderungen der überwältigenden Eiswüste und der tiefen Ehrfurcht vor der Natur haben mich berührt. Er hat mit Worten das ausgedrückt, wofür ich keine Worte gefunden habe. Bei meiner Seereise in antarktischen Gewässern 1996/97 habe ich diese Bilder in den Kopf bekommen und stand genauso staunend und ehrfürchtig unter dem endlosen Himmel, auf dem unendlichen Ozean und der Eiswüste.

1 / 2 / 3 / 4 / 5 / Auf einer Seite lesen

Kommentare (4)

  1. […] ElsterCon 2022: Kim Stanley Robinson, Climate Fiction und Utopien […]

  2. #2 Björn
    28. September 2022

    “löst Indien sich aus dem internationalen Klima-Konsens und sorgt mit einem künstlich generierten Vulkanausbruch durch den Abwurf einer Atombombe für sofortige Abkühlung der Erdatmosphäre.”

    Äh, haben wir dasselbe Buch gelesen? Soweit ich mich erinnere, hat Indien den weit weniger drastischen Schritt ergriffen, mittels Flugzeugen Aerosole in die Atmosphäre zu bringen.

  3. #3 Bettina Wurche
    28. September 2022

    @Björn: Korrekt (S. 54), ist geändert. Ich habe wohl in den letzen Wochen ewas zu viel parallel gelesen : (