Vor einigen Tagen bin ich über diese Publikation gestolpert: „Solving the mystery of the Chukotka stinky Gray whales“ (Olga Polyakova et al, Oct. 2022, SSRN Electronic Journal, Preprint) – „Das Rätsel um die stinkenden Grauwale in Tschukotka lösen“.
In der indigenen Tschuktschen-Community der russischen Arktis gibt es immer mal wieder Meldungen über stinkende Grauwale. Nun riechen tote Wale an sich nicht sehr gut, sondern extrem gammelig. Dieser Grauwal-Geruch jedoch wird als „medizinisch“ oder iodartig beschrieben. So schlimm sei dieser besondere Geruch bei manchen erlegten Grauwalen, so klagen die Tschuktschen, dass nicht einmal ihre Hunde das Fleisch fressen wollen. Kocht und verzehrt ein Mensch solche ein übelriechendes Walfilet, folgen Taubheitsgefühl im Mund, Hautausschläge oder Bauchschmerzen. Mittlerweile versuchen die indigenen Waljäger, zwar schon bei der Verfolgung des Wals abzuchecken, ob es sich um ein potentielles Essen oder um einen „Stinker“ handelt, das klappt allerdings nicht immer.
Tschuktschen mögen keine stinkenden Grauwale
Indigene Völker der Arktis erhalten von der Internationalen Walfang-Kommission (IWC) eine kleine Wal-Quote als sogenannten Eingeborenen-Walfang (Subsistenz-Walfang, Aboriginal Whaling). Vier Mitglieder der IWC erlauben ihren Ureinwohner-Communities, bei denen Walprodukte eine wichtige Rolle in der traditionellen Ernährung und im kulturellen Leben sind, weiterhin die kleinskalige Jagd auf große Wale (Dänemark (Grönland), Russland (Tschukotka), St. Vincent und die Grenadinen (Bequia) und die Vereinigten Staaten (Alaska)). Die fetten Wale wie Grauwal und Nordkaper werden von einer Dorfgemeinschaft gemeinsam erlegt und im Dorf verteilt. Gerade in der Arktis, wo keine Landwirtschaft möglich ist, sind sie ein wichtiger Wintervorrat. Der sogenannte Muktuk, die Haut mit der darunter liegenden elfenbein- bis rosafarbenen Fettschicht, hat einen extrem hohen Vitamin C-Gehalt, sogar eine höhere (L-(+)-Ascorbinsäure-Konzentration als Zitrusfrüchte! Damit war und ist sie ein besonders wichtiges Lebensmittel gegen Skorbut und andere Mangelkrankheiten. Darum ist die fette Leckerei, die in Blöcken aus den Walen geschnitten wird und nach Nüssen schmecken soll, bis heute ein wichtiges Lebensmittel etwa bei arktischen Inuit.
Für die Tschuktschen sollen die Grauwale bis zu 30% ihrer Ernährung ausmachen. Allerdings lief die Tschuktschen-Waljagd nicht immer so pseudo-idyllisch ab, wie indigener Walfang oft dargestellt wird – zu Sowjetzeiten lieferte ein Walfangschiff die geschossenen Wale komfortabel vor die „Haustür“. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990-ern fiel das Schiff “Zvezdniy” weg, nun mussten die Tschuktschen wieder allein auf Waljagd gehen. Da sie mit kleinen offenen Booten jagen, erlegen sie die Meeressäuger in küstennahen Gewässern. Damit fing das Problem der stinkenden Wale an.
Solch eine Jagd ist ein großer Aufwand und die Wal-Quote begrenzt, darum versuchen die Jäger schon auf See herauszufinden, ob der verfolgte Meeressäuger medizinisch müffelt: sie fahren dicht an den Wal heran und schnuppern am Blasloch bzw. am ausgeatmeten Blas. Meistens lässt sich so ein unverdauliches Exemplar identifizieren. Aber nicht immer. Manchmal fällt es erst beim Zerlegen oder sogar erst beim Kochen auf.
Darum diskutierten russische IWC-Vertreter mit den anderen WalexpertInnen, dass diese ungenießbaren Grauwale aus der Quote herausgerechnet werden müssen, da die drei bis 10 Exemplare im Wintervorrat der Tschuktschen-Dörfer fehlen würden. Immerhin seien davon mittlerweile etwa 10 Prozent der grauen Riesen in den Tschutkschen-See-Küstengewässern betroffen. Einige Walrosse, kleinere Robben und Seevögel hätten das gleiche Problem.
Darum müsse man dringend nach der Ursache forschen, so forderten die Russen 2016, bisher hätten die Laboruntersuchungen den oder die Übeltäter nicht identifizieren können.
Wegen der politischen Brisanz des Walfangs kursieren natürlich Verschwörungsmythen, wie, dass Anti-Walfang-Aktivisten den Walen Chemikalien verabreicht haben, um den Walfang zu torpedieren. Andere plausiblere Vermutungen befürchteten eher eine Belastung der fette Meeressäuger mit Umweltgiften, etwa aus Ölunfällen – das war auch meine erste Vermutung.
In der Grauwal-Nahrung ist der Wurm `drin
Aber warum hat das Gestanks-Problem erst mit der Waljagd von kleinen Booten aus begonnen? Könnte es mit dem Fang in flachen Küstengewässern zusammenhängen?
Die groß angelegte russische Laborstudie „Solving the mystery of the Chukotka stinky Gray whales“ (Olga Polyakova et al, Oct. 2022, SSRN Electronic Journal, Preprint), bei der Massenspektrometer zum Einsatz kamen, hat jetzt mit umfassenden Analysen auch flüchtige, sonst übersehene Substanzen untersucht und Ergebnisse erbracht (Achtung, die Arbeit ist noch ein PrePrint!).
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