Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Heute morgen habe ich mal internationale Stimmen zur gestrigen Ministerpräsidentenwahl in Thüringen angestellt – soweit ich Zeit hatte. Konnte ja nicht ahnen, dass der Rücktritt (bzw. die Ankündigung) schon heute Nachmittag erfolgen würde. Nebenan wurde ja schon gut und bissig gut kommentiert. Also:
Die Niederlande:
- Die Volkskrant in den Niederlanden schreibt im Wesentlichen eine sachliche Bestandsaufnahme, kommt aber nicht um die Bemerkung (eig. Übersetzung):
Auch wenn die Politiker in Thüringen auf Berlin hören und Neuwahlen ausgeschrieben werden, ist die deutsche Politik seit Mittwoch doch verändert. Der cordon sanitaire um die AfD ist beschädigt.
- NRC-Handelsblad kommentiert gar im Titel “Politischer Sturm in Deutschland, weil die Parteien die Schlüsselrolle der AfD in Thüringen akzeptieren“. Im Übrigen beschränkt sich der Artikel aber auf eine Bestandsaufnahme und Stimmen aus Deutschland.
Die Schweiz:
- Die NZZ titelt “Politisches Beben in Thüringen” , was eine Bestandsaufnahme darstellt. Es gibt aber interessanterweise noch weitere Links beim Artikel, die allesamt eher wenige weitere Einsichten bieten. Immerhin: Das Thema scheint der NZZ interessant zu sein.
Britannien:
- Der Guardian titelt “Outrage as German centre-right votes with AfD to oust Thuringia premier“. Eine weitere Bestandsaufnahme mit Zitaten der Protagonisten.
Italien:
- Auch la Repubblica nutzt den Term des Erdbebens , mehr als eine Beschreibung gibt es nicht. (edit: “la Repubblica” hat inzwischen, 7. Feb., auch einen politischen Kommentar geschrieben. Titel “Il caso Prima volta per l’AfD” — leider hinter einem Paywall, der sogar verhindert, dass man eine URL angibt.)
Irgendwie beruhigend, dass im Ausland nicht so scharf kommentiert wird, wie nebenan auf SB. Wie schön, also
Mein Deutschland strecke die Glieder
Ins alte Bett so warm und weich;
Die Augen fallen Dir nieder,
Du schläfriges deutsches Reich.
oder? Ach, nein, da ist noch in Polen die Rzeczpospolita, auch sie schreibt von einem beschädigten cordon sanitair und außerdem (eig. Anpassung einer Übersetzung):
Die AfD regiert noch nicht, aber dank ihr hat Thüringen einen Ministerpräsidenten. Und dies ist eine Partei, in der Neonazis als Politiker sind, die mit den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte in Verbindung gebracht werden und versuchen, die Einschätzung des Dritten Reiches zu ändern. Darüber hinaus ist (die AfD) eine pro-russische Partei. Daher sollte dieses politische Erdbeben nicht nur Berlin (was bereits passiert), sondern auch Warschau beunruhigen.
Mittlerweile kommt auch schon an, dass dieses “Experiment” nicht von langer Dauer sein wird, wesentlich bissiger und ohne weitere Blätter vor dem Mund. Die weitere Beobachtung überlasse ich Euch – schließlich schadet es nicht mal zu schauen, was außerhalb der eigenen (nationalen) Blase so gedacht wird …
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Update 7. Februar:
Die Volkskrant (NL) versucht sich in einer Analyse: Zunächst eine weitere Bestandsaufnahme, etwas augenreibend zwar ob der Tatsache, dass auf die Wahl unmittelbar der gewollte Rücktritt folgt und es ausgerechnet die Liberalen waren, die der AfD die Tür aufgehalten haben. (Man kann natürlich die Rolle der anderen Parteien aus der Nähe etwas differenzierter sehen – mögen wir das unseren Nachbarn nachsehen.) Dann jedoch (eig. rel. freie Übersetzungen):
Doch es bleibt die Frage wie lange Deutschland die AfD, die größte Oppositionspartei im Berliner Bundestag, noch von der Macht fernhalten.
Anderswo in Europa sind Koalitionen mit Parteien des rechten Randes oder des rechts-extremen Spektrum nach und nach eine normale Erscheinung geworden. Denken wir an Polen, Ungarn, aber auch an die Lega von Salvini in Italien und natürlich auch Österreich wo die FPÖ, eigentlich eine ziemliche klassische Neonazipartei, ein Jahr neben den Christdemokraten im Sattel saß. In den Niederlanden gehörte Mark Rutte mit der Duldung durch Wilders 2010 bereits zur Avantgarde dieser Entwicklung.
Weiter folgt die Beobachtung wie rechts die AfD eigentlich ist. So rechts, dass noch Ende Januar ein Austritt aus der Bundestagsfraktion erfolgte. Weiter fragt die Volkskrant:
Die Frage ist, wie sinnvoll derartige Gegenmaßnahmen sind. Potentielle AfD-Wähler sind in jedem Fall nicht abgeschreckt, im Gegenteil, wie die Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg — wo im vorigen Herbst, wo auch viele junge, gut Ausgebildete für die AfD stimmten — zeigten. (Überall dort) nicht trotz Menschen wie Höcke, der offen mit Nazi-Ideen flirtet, sondern wegen ihnen.
Weiter werden die nun gegebenen Optionen betrachtet und ein paar mögliche Auswirkungen, um zu schließen:
Die Frage ist (also) wie viele demokratitechnische Kunstgriffe und Imageschäden die anderen Parteien noch in Kauf nehmen, um die AfD noch weiter der Macht fern zu halten.
Das frage ich mich auch …
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