So fragt in der Ausgabe des 13. Februar Anna-Lena Scholz in der ZEIT (Artikellink hinter Paywall) mit Blick auf WissenschaftlerInnen und ihre Arbeitsbedingungen. Anlass war eine Erhebung des Welcome Trust , die unter dem Titel What Researchers Think About The Culture They Work In veröffentlicht ist.
Interessanter Lesestoff! Vor allem aber treibt mich dieselbe Frage um, wie Frau Scholz: Jammern die, also wir WissenschaftlerInnen in den diversen Einrichtungen? Oder gibt es hinter dem “Gejammer” noch mehr zu bemerken?
Wer wurde befragt?
Zunächst einmal muss für die Einordnung der Befragung und der Resultate folgendes klar sein (der Link bietet eine noch genauere Aufschlüsselung):
- nicht-online befragt wurde ausschließlich im Vereinigten Königreich.
- 94 Leute, davon 51 aus den Lebenswissenschaften, wurden individuell nach ihren Eindrücken zur Arbeitskultur interviewt.
- 36 Leute nahmen in drei Workshops teil, die Fragen zu etwaigen Lösungen für eine verbesserte Forschungskultur widmeten.
- 4267 Leute nahmen an einer Online-Umfrage teil. Hierbei besonders wichtig: Obschon an die ganze Welt gerichtet, kamen 76 % der Antworten aus dem Vereinigtem Königreich. Und auch hier wieder kam ein großer Teil der Antwortenden aus den Lebenswissenschaften (Biologie, Biomedizin, Medizin), nämlich 76 %.
Was kam heraus?
Schon die Wordcloud, die eingangs der gesammelten Eindrücke steht, zeigt ganz klar: Da gibt es offen diametral widersprüchliche Eindrücke der Teilnehmenden.
Wenn es nicht schon von vorne herein klar ist: alle Aussagen sind mit Vorsicht zu genießen. Nicht alle Teilnehmenden haben überall Antwort gegeben und selbst geschlossene Fragen bedürfen der Einordnung in den Kontext, denn wenn eine Umgebung “Competetive” ist – ist sie dann eher “toxic” oder “friendly”? Hier wäre eine multivariate Analyse angebracht gewesen. Und wenn eine Mehrheit von 55 % bei n=3768-3913+ Befragten die Forschungskultur insgesamt negativ einschätzt: Wie verteilen sich die die positiv oder negativ denkenden auf die Fachbereiche? Gibt es womöglich unterschiedliche Kulturen bei Natur- oder GeisteswissenschaftlerInnen?
Frau Scholz zitiert (übersetzt) aus der Studie folgende Aussage:
“Really, I think [research culture is] about to collapse. Huge
things need to change, otherwise they’re going to find
everybody’s going to have left academia.”
Doch das Zitat geht im Original weiter:
“Some incredible geniuses will make it, but some extremely good researchers,
who had fantastic knowledge and ideas that could have really
revolutionised science, have left and gone to industry
because it’s just getting too difficult.”
Postdoc, Russell Group institution
Die Russell-Gruppe ist gewissermaßen das Excellenz-Uni-Pendant in UK. Und in der Tat, fokussiert die Interpretation von Frau Scholz auch auf den Aspekt des zusätzlichen Stress durch überhöhten Wettbewerb.
Weltweit peitsch es (das Wissenschaftssystem) sich zu Höchstleistungen: mehr Publikationen, komplexere Daten, steilere Thesen. Output, Output, Output.
Das ist nicht neu. Wer je wissenschaftlich gearbeitet hat und das geflügelte Wort “publish or perish” nicht kennt, hat wahrscheinlich hinter dem Mond gearbeitet.
Wenn jetzt festgestellt wird, dass 61 % der Befragten (bei n=4167-4169) von Mobbing (bullying) oder Belästigung bei anderen berichten und 43 % selber Mobbing oder Belästigung erfahren haben, drängt sich mir die Frage auf: Wie steht es um andere Branchen? Welche Rolle spielt der Stress? Der TK-Gesundheitsreport zeigt , dass Stress und phsychische Folgen in der Arbeitswelt insgesamt besorgniserregend um sich greifen und sich u. a. in erhöhten Fehlzeiten äußern.
Und was kann helfen? Vielleicht eine bessere Aus- und Fortbildung der Vorgesetzten? Schließlich wird auch über eine Kluft zwischen Anspruch und Erleben bei der Rolle der Vorgesetzten berichtet und auch diese sind sich z. T. bewusst, dass sie Schwierigkeiten habe ihre Rolle zu erfüllen. Bezüglich der Wissenschaft: Wer von Euch kennt ein paar “hot-shots”? Und? Erfahren, dass diese Fortbildung in Anspruch genommen habe, um ihre Vorgesetztenrolle kennenzulernen? Na?
Unabhängig davon beantwortet allein die Zahl der Gemobbten, unterstrichen durch die Zahl derjenigen, die bewusst Mobbing wahrgenommen haben, zuzüglich derjenigen, die professionelle Hilfe gesucht haben oder suchen, dass die Scholzsche Frage
Jammert ihr nur, oder leidet ihr wirklich?
mit “Ja, es wirklich gelitten” beantwortet werden kann. Und das Vorgesetzte die Hauptursache dieses Leidens sind, kann auch vermutet werden (ca. 60 % der Befragten nennen gar Betreuer, immer noch 45 % höherrangige Kollegen). Nur, auch hier, wie ist das in anderen Branchen?
Irritierend finde ich auch, dass wegen allem Möglichen gemobbt wird, eine forschungsspezifische Erhebung aber gar nicht danach fragt, was spezifisch für die Forschungskultur ist: Beim Weswegen z. B. Mobbing in interdisziplinären Umgebungen gegen VertreterInnen des “schlechteren Fachs”. Oder beim Wie z. B. eine Nicht-Beteiligung bei Publikationen. Beide Aspekte sind anderweitig dokumentierte Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die in der Erhebung des Welcome Trust überhaupt nicht auftauchen.
Ich selber kenne so viele, dass ich sicher schließen kann: Wer selber WissenschaftlerIn ist, kennt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit KollegInnen, die wegen der der miesen Bedingungen die Forschung an den Nagel gehangen haben. Und doch ist es schwierig alle genannten Fragen vergleichend objektiv zu beantworten, die Studie selber bleibt vage. More research is needed …
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- Ich habe etwas gerätselt, was das “von bis” bei den Zahlen der Antwortenden bedeuten soll, um schließlich zu bemerken, dass es wohl mehrere Optionen gab, wo z. T. nicht beantwortet wurde, und selbst bei den Mutichoice-Fragen teilweise(!) Antworten ausgelassen werden konnten.
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