Wer einen guten Französisch- oder Geschichtsunterricht hatte, kennt vielleicht die Carmagnole. Ich kannte sie lange Jahre nicht. Proletarische Kultur – Vergangenheit oder nicht – stand nicht auf dem Lehrplan.
Jedenfalls, war die Carmagnole ein Tanz und Spottlied der französichen Revolution. Der Name stammt wohl von einem Städchen im Piemont, Carmagnola (Quelle), von wo aus Hanf exportiert wurde. Unter anderem eine Jacke, die aus diesem Hanf hergestellt wurde, wurde von Arbeitern in Marseille der Einfachkeit halber nach der Stadt benannt. Mitten in der Revolution übernahmen die Sans-Coulottes die Jacke (auch damals gab es schon Revolutionsmode!) und eine Ballade wurde dem Arbeiterliedgut entnommen und angepasst zur La Carmagnole, dem Lied der Revolution.
1799 wurden französische Truppen zur Unterstützung der neapolitanischen Jakobiner in das Königreich beider Sizilien entsandt. Die neapolitanischen Jakobiner hatten bereits die “Neapolitanische Republik” erklärt und konnte derartige “Hilfe” gut gebrauchen. Mit im Gepäck der Soldaten war die Carmagnola.
Doch wir werden hier eine anders Lied hören: Denn die Sanfedisten, das „Christlichen Heer des Heiligen Glaubens“ – die unter Kardinal Ruffo gegen die jakobinischen Soldaten marschierten, hatten ein Kampf- und Spottlied. Die Revolution war in Neapel auf Widerstand gestoßen und Spottlieder sind in üblicherweise ein Teil der Reaktion. Das im Refrain erklingende “Suona” ist eigentlich das Spielen eines Instruments, hier aber wird die Carmagnola, also das Lied, “gespielt”. Wobei die neapolitanische Variante ansonsten schlicht vulgär ist – mit Ausdrücken deren Übersetzung die Wirkung verpuffen lassen würde (und alles könnte ich ohnehin nicht übersetzen).
Im ersten Vers werden die Menschen in den Krieg gerufen, jedes Instrument hängt vom Reim der Art des zu tötenden Bürgerlichen oder des zu tötenden Feindes ab. Die zweite erzählt den Beginn der Republik, den Widerstand der Bürger namens “Lazzari”, die sich widersetzen wollten, verbarrikadiert in Castel Sant’Elmo, einer massiven Festung, die von den Franzosen erobert wurde. Dann folgt der Verrat der Bourgeois und Ritter und das Erstaunen von Bevölkerung „Maistà chi t’ha traduto? Chistu stommaco chi ha avuto? “ – Wer hatte die Kühnheit, den König zu verraten? Es ist offensichtlich, dass es nicht die gewöhnlichen Menschen in den Städten und die Bauern waren.
Es geht weiter mit dem Ende der Republik am 13. Juni, S. Antonio da Padova, dem Tag, an dem die Truppen von Kardinal Ruffo di Calabria mit der Eroberung von Forte Vigliena östlich des Hafens in Neapel einmarschierten. Sie wollten es den Jakobinern mit gleicher Münze heimzahlen. Der Vers beschreibt weiterhin die Unterdrückung, die das Volk unter den Franzosen erlitten hatte – denn mit der Ankunft der Franzosen stiegen die Abgaben. Die Worte “Libertè, Egalitè, Fraternitè” waren das Symbol der Französischen Revolution, aber in der Ballade bedeuten sie Raub und schlechte Regierungsführung.
Und so hören wir immer wieder “Viva il Re e la sua famiglia!” – hoch lebe der König und seine Familie! Doch die Verwicklungen, die mit der Restauration der neapolitanischen Bourbonen erfolgte, ihre Entmachtung und abermalige Restauration, sind eine spannende Geschichte – bei der das Volk wie üblich wenig zu Lachen hatte. Dennoch viel Spaß mit der Version des “Canto dei Sanfediste” vom Ensemble Accordone (dessen Webseite nicht mehr auffindbar ist?) mit Marco Beasley – besonders mag ich den Schluß:
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