Coronaregeln welken dahin, Kuschelverbote vergehen, aber die Acrylglasschirme vor den Kassen, die bleiben bestehen. Während unsere Welt eine langsame Normalisierung erfährt, wehren sich die Plexiglashüstelabschirmungen widerborstig gegen ihre Abschaffung.

“So ein Schirm passt nicht zum Umgang mit meinen Kunden”, sagt ein Geschäftsinhaber, während er den Schirm entfernte. Doch in zahllosen Supermärkten, Geschäften und hinter Tresen sind sie geblieben. Warum eigentlich?

Grund zum Zweifel

Befremdlich aber wahr: Die Wirksamkeit der Abschirmungen ist bestenfalls zweifelhaft. Das erfahren wir zumindest, wenn wir uns ein wenig in der Literatur vergraben. Ok, diese Abschirmungen halten gut Hust- und Niestropfen ab, wie aus Experimenten deutlich wird. Man hat dabei – kaum zu glauben – menschliche Köpfe nachgeahmt und lies diese verschiedene kleine Tröpfchen gegen einen Schirm sprühen. (Fast schon Ignobel-Preis-verdächtig.) Doch auch so hielt solch ein transparenter Schirm nicht alles ab: Von den kleineren Hustentröpfen konnten ungefähr 30 % den Weg um das Plastik herum finden.

Wichtiger noch ist, dass die Abschirmungen die Angelegenheit noch verschlimmern können. Das zumindest erfahren wir aus einer japanischen Fallbeschreibung. In einem Büro hatte man den Raum voll mit Plastikabschirmungen gehangen, um die Arbeitnehmer zu schützen. Hat funktioniert, bis ein Kollege “Corona” mit ins Büro brachte. Prompt erkrankten 11 Menschen. Schlicht, weil die Abschirmungen dafür sorgten, dass die Luft nicht mehr zirkulieren konnte. Keine gute Werbung für die Abschirmungen.

Unabsichtliche Nebenwirkungen

Schlimmstenfalls können Abschirmungen ganz unerwartete Nebenwirkungen zeitigen. Schon sieben Jahre vor der Pandemie untersuchten KollegInnen aus dem Vereinigten Königreich, was Abschottungen zwischen Krankenhausbetten bewirken. Sie haben einfach mit einer Rauchmaschine zwischen die Betten gepustet. (Ebenfalls ziemlich originell, wie ich finde.)

Ihre Schlussfolgerung: So ein “Schott” hält zwar einigermaßen etwaige Keime vom Nachbarbett fern, sorgt aber dadurch für eine Erhöhung infektiösen Materials im Gang. So etwas muss auch in dem japanischen Büro passiert sein, wo alle mit Corona infizierten Kollegen auf derselben Seite des Schirmes saßen.

Und doch können wir eine enorme Beliebtheit für Abschirmungen an den Kassen feststellen! Zu meinem Erstaunen kann ich das Gebot für Trennwände aus den Coronabekämpfungmaßnahmen meines Bundeslandes nicht ableiten, wohl aber leitet die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik als Beispiel für andere, ähnliche Dokumente ab, dass wo das Abstandsgebot nicht eingehalten werden kann, die Abschirmungen dem Schutz des Personals dienen können. Vielleicht ließ man sich auch von WHO-Empfehlungen leiten, die Glas- oder Plexiglaswände(!) zum Schutz vor Infektionen von klinischem Personal empfiehl.

Die Einführung von Hust- und Spukschutz an den Kassen wurde wohl auch ohne Gegenwehr eingeführt: Wer je hinter einer Kasse saß, weiß wie unangenehm es ist, wenn ein sich ein schwer erkälteter Kunde über das Band beugt.

Rundgang

Der tiefere Grund für den Fortbestand der Plastikvorhänge liegt möglicherweise in – absolut nicht repräsentativen – Antworten. Eine Apothekerin erzählt, dass ein Plastikschirm sehr angenehm ist, schließlich kamen auch schon vor der Pandemie ansteckende Menschen.

Ein Einzelhändler findet es schön, dass die Kunden jetzt nicht mehr über seinen Schalter hängen und mit auf seinen Schirm linsen. Und wer weiß? Vielleicht halten die Abschirmungen nur bis zu dem Tag, an dem beschlossen wird, sie abzuhängen und die großen Supermarktketten sie abbauen.

Und doch wird es mich nicht überraschen, wenn sie uns erhalten bleiben, die Abschirmungen. Vor allen in den kleineren Geschäften und der einen oder anderen Apotheke. Nicht so sehr wegen “Corona”, sondern um die Kunden auf Abstand zu halten.

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Kommentare (5)

  1. #1 RPGNo1
    23. Oktober 2021

    Und doch wird es mich nicht überraschen, wenn sie uns erhalten bleiben, die Abschirmungen. Vor allen in den kleineren Geschäften und der einen oder anderen Apotheke. Nicht so sehr wegen “Corona”, sondern um die Kunden auf Abstand zu halten.

    Dieser Stanpunkt ist menschlich durchaus zu verstehen.

    Die Schutzschirme sind mehr ein physisches und psychisches Placebo als ein echter Schutz. In den Supermärkten finden sich nämlich fast durchgängig Aufkleber an den Plexiglasscheiben, dass aufgrund dieses Schutzes die Kassierer/Kassiererinnen KEINE Schutzmaske tragen müssen. Was so einige der Personen dann wie selbstverständlich auch nicht tun.

  2. #2 Kai
    24. Oktober 2021

    dass aufgrund dieses Schutzes die Kassierer/Kassiererinnen KEINE Schutzmaske tragen müssen. Was so einige der Personen dann wie selbstverständlich auch nicht tun.

    Es ist in meinen Augen aber auch ein Unterschied, ob ein Kunde für 10 Minuten einkaufen eine Maske aufsetzt, oder ob ein Kassierer den ganzen Tag mit Maske an der Kasse sitzt.
    Ich finde es richtig, die Maskenregeln dort zu lockern, wo sie besonders beeinträchtigend sind. Das gilt z.B. auch für Studenten, die trotz 3G Nachweis im Vorlesungsraum oder in der Bibliothek Maske tragen sollen.

    Das leider viele Corona-Regeln eher “Feigenblätter” sind (wie die Plastikscheibe an der Kasse), ist leider auch eine problematische Entwicklung in der Pandemie.

  3. #3 RPGNo1
    24. Oktober 2021

    @Kai

    Wenn Waren eingeräumt werden, müssen die Mitarbeiter für den Zeitraum auch Maske tragen. Zudem sitzt keiner ohne Pause 8 Stunden hinter der Kasse.

  4. #4 BBr
    Niedersachsen
    25. Oktober 2021

    Erinnert sich noch jemand an die Bahnkarten-Schalter aus den 70ern? Die sahen rückblickend aus, als wären sie für eine Pandemie entworfen. Der Bahnbeamte (sowas gab es damals noch) saß in einem Glaskasten, es gab ein Sprechloch mit Spuckschutz, und Karte sowie Geld wurden unter der Scheibe durch eine Art Karussell oder eine Schublade ausgetauscht.

    Vermutlich hatte das ganze mehr mit dem Schutz vor Überfällen zu tun, aber diese Pandemie-Eignung finde ich rückblickend frappierend.

  5. #5 zimtspinne
    25. Oktober 2021

    Das gibt es heute auch noch. Ich musste tatsächlich gerade eine halbe Minute lang überlegen, wo….

    Gerichte, Polizei, Behörden (zB Einwohnermeldeamt, Finanzamt).

    Banken glaube auch teilweise, war aber schon ewig in keiner Bank mehr! Bestimmt einige Jahre, man glaubt es kaum.
    Sogar Karte sperren und entsperren lassen (verloren beim Einkauf und komplett zurück erhalten am nächsten Tag, Perso mit Adresse war dabei, sie hatte sogar am gleichen Abend noch bei mir geklingelt, da war ich aber noch unterwegs) geht mittlerweile telefonisch.