Lars Feld gab ein Interview in der ZEIT. Laut Begleittext zum Interview ist er “Chefberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner”. Es ging um eine neue Finanzpolitik, die die Wirtschaft ankurbeln soll. Und er lässt sich so zitieren:

ZEIT: Wie ermöglicht man mehr Innovation?

Feld: Wenn wir – nur als Beispiel – durch eine Reform der Besoldungspraxis an den Universitäten Spitzenforscher aus den USA anlocken, dann dürften die zusätzlichen Ausgaben für die Gehälter keine messbaren Auswirkungen auf die Inflationsrate haben. Aber die Forschungsergebnisse helfen uns dabei, effizientere Produktionsmethoden zu entwickeln.

DIE ZEIT No 21 vom 19. Mai 2022 (link führt zu Paywall)

Nun muss man entschuldigen, dass Wirtschaftsfachleute nicht wissen, wie naturwissenschaftliche und technische Forschung abläuft, was dabei herauskommen kann und wie man das erleichtert. OK, der Spruch war billig. Dennoch – weil sich solche Gedanken hartnäckig halten und zu weiterer wirkungsloser (und teurer) Wirtschaftspolitik führen können, darf der Versuch einer Einordnung nicht fehlen:

Führt gute Forschung zu mehr Wirtschaftskraft?

Dass das Messen wissenschaftlicher Exzellenz ist ein Kapitel für sich, ist nichts Neues. Wenn, wie hier, die Behauptung im Raum steht, dass das Anlocken von “Spitzenforschern” zu besseren Produktionsmethoden führt, können wir uns zumindest einmal fragen, ob es einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum (einfach zu messen) und der Qualität wissenschaftlichen Outputs gibt.

Das Bruttosozialprodukt ist (bei aller berechtigten Kritik an diesem Indikator) eine allüberall erhobene Größe und eignet sich damit einigermaßen gut für Vergleiche. Beim wissenschaftlichen Output steht zumindest eine quantitative Größe zur Verfügung: die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Das ist besser als nichts, aber wir müssen uns eingestehen, dass eine globale Wichtung der Qualität wissenschaftlichen Output zwar möglich, aber schwierig ist.

Jedenfalls kann man für den Übergang von 1970er zu 1980er-Jahren festhalten, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen der Zahl der Veröffentlichungen auf 1000 Einwohner und dem Bruttosozialprodukt zwischen 1979 und 1983 gibt (Quelle nur noch antiquarisch verfügbar). Man kann konstatieren, dass der wissenschaftliche Aufstieg Chinas erst nach seinem wirtschaftlichen Aufstieg einsetzte. Ein Aufstieg, der aufgrund von papermills (Firmen, die im Auftrag forschender Veröffentlichungen generieren und dazu Resultate erfinden, schönen oder mehrfach einsetzen) und einem fraglichen Anreizsystem nicht ungetrübt ist. Auch für andere Länder Asiens ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft und wissenschaftlichem Ausstoß sehr schwach.

Bis hierhin können wir die Frage, die dem Absatz vorangeht (Führt gute Forschung zu mehr Wirtschaftskraft?) verneinen und zumindest plausibel vermuten, dass es eher umgekehrt sein könnte – doch Herr Feld ist nicht widerlegt!

Patente und Publikationen

Um weiterzukommen, können wir uns anschauen, wie viele Patente aus einem Land kommen (Quelle) und wie viele wissenschaftliche Publikationen ein Land ausstößt (normalisiert, Quelle). Warum? Na, wenn man Innovation monetarisieren möchte, sind Patente eine Möglichkeit. Das sieht dann so aus:

Wissenschaftliche Publikationen, aufgetragen in Abhängigkeit der Zahl der Patente (ppm = pro Millionen Einwohner). Jeder Punkt entspricht den Zahlen eines Landes. Die drei Länder mit den meisten Patenten pro Millionen Einwohner sind übrigens Japan, die USA und Deutschland. Die “Spitzengruppe” der Länder mit den meisten wissenschaftlichen Publikationen pro Millionen Einwohner wird durch die Länder mit wenigen Einwohnern geprägt – vorneweg ist der Vatikan (hier nicht gezeigt, weil keine Patentdaten in der anderen Tabelle waren).

Eine Korrelation! Ganz klar! Aber nur eine schwache. Nichts, was überrascht (schließlich hängen beides, Wissenschaft und Patente durch die Industrie, von einem gewissen Wohlstand eines Landes ab) und doch ein weiteres Fragezeichen hinter die eindeutige Monetarisierung von Forschungsergebnissen (darum geht es ja bei der “Innovation”) durch die schlichte Berufung von Spitzenforschern.

Wie kommt “Innovation” zur Wirtschaft?

Nun, ein Weg zur Monetarisierung von Innovation – um nichts Anderes geht es im Interview – ist das Patent. Klar. Aus der Grundlagenforschung können nicht in allen Gebieten Patente kommen, egal wie gut die Forscher sind. Es gibt einfach Disziplinen, die nichts “patentwürdiges” abwerfen können. Daneben kann man sich aber auch fragen: “Ist das Potenzial hierzulande ausgeschöpft?” Und wie die FAZ im letzten Jahr zum Urteil kommen: Nein, und zwar, weil es sich überhaupt nicht lohnt.

Ein anderer Weg von Innovation zu Geld, wenngleich hart und unsicher, ist die Unternehmensgründung. Da tut sich hierzulande nicht so viel wie anderswo und die Gründe sind auch untersucht (Beispiel). Die “Computerwoche” beschreibt das Fazit jener Studie vor zwei Jahren so:

Die Arbeit im Team ist zentral für den Erfolg. Damit eine Innovation zur Unternehmensgründung führt, muss das Gründerteam divers denken, günstige Teamdynamiken vorweisen und erfolgreiche Stressbewältigung anwenden können.

Ob das zarte Pflänzchen “Teamgeist” in der #ichbinhanna-Republik gedeihen kann? Ob das große Heer der abhängig Beschäftigten überhaupt in der Abhängigkeit so produktiv ist, wie es sein könnte?

Fazit

Es gibt hierzulande also ungelebte Möglichkeiten – zumindest beim Monetarisieren von Forschungsergebnissen. Könnten aus den USA# angeworbene Spitzenforscher hierzulande in puncto Innovation, die sich rechnet, mehr reißen als hier ausgebildete und arbeitende Kräfte? Das ist mindestens fragwürdig##. Nicht zuletzt, weil die meisten Patente aus der Industrie kommen. (Mein eigenes habe ich bei einem Ausflug in “die Industrie” erhalten – zwar wertlos, aber an der Uni gab es nie die Möglichkeit zu patentieren – es ergab sich einfach nichts.)

Geld ist wichtig. Ohne geht Forschung nicht. Doch wissen wir längst, dass die Politik noch andere Möglichkeiten hat, bessere Rahmenbedingungen zu setzen. Das wird den Finanzminister freuen.

Und mich würde freuen, mal weniger Kreuzchen beim Bingo setzen zu können, wenn mal wieder Berater Interviews geben.

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# Warum eigentlich die USA? Es gibt auch super Wissenschaft bei unseren Nachbarn – aber die teilweise immer noch vorherrschende Provinzialität mancher Hochschulen ist ein anderes Thema.
## Berufungen von ProfessorInnen sind immer mit dem Risiko verbunden, dass neuen Stelleninhaber keine Leistungsträger sind. In ein paar Fällen ist mir zumindest bekannt, dass das auch auf aus den USA berufene (Deutsche) zutrifft.

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Kommentare (3)

  1. #1 Joseph Kuhn
    26. Mai 2022

    Lars Feld ist ein neoliberaler Mainstreamdenker. Er kann nicht anders: Wenn es um den Mindestlohn geht, ist er gegen Eingriffe in den Markt, mit politischer Propaganda für höhere Löhne Besserverdienender hat er kein Problem. Lars’ Feld ist eine soziale Wüste.

    • #2 Christian Meesters
      27. Mai 2022

      Lars’ Feld ist eine soziale Wüste.

      Ein Qualifikationskriterium für den Beraterposten? Oje, diese Frage geht nicht aus meinem Kopp, seit ich dies Kommentar sah!

  2. #3 fauv
    27. Mai 2022

    Führt Forschung zu mehr Wirtschaftskraft ? Eindeutig ja, wenn man die Entwicklung der Wirtschaft langfristig betrachtet.
    Die Domänen Deutschlands waren die chemische Industrie, die Elektroindustrie und der Maschinenbau .
    Auf diesen Gebieten hatte Deutschland die meisten Patente und das notwendige know how.
    Durch die verlorenen Weltkriege ist diese Grundlage weggebrochen, trotzdem hat sich Deutschland wieder hochgearbeitet, durch ein excellentes Schulsystem und durch niedrige Löhne.
    Spitzenforscher aus den USA als push für unsere Forschung. ?
    Man sollte es probieren und schauen ,ob man die rückläufige Zahl von Patentanträgen wieder erhöhen kann.