Wenn es ein Projekt gibt, das Spahn wirklich am Herzen liegt, dann ist es die Erschließung von Daten für die Wirtschaft. Oder in Politikersprech: für bessere Therapien, im Interesse der Patienten, für neue Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft und um den Anschluss im internationalen Wettbewerb nicht zu verlieren.

Je mehr Daten, desto besser. Daher sieht das Digitale Versorgung-Gesetz vor, dass künftig alle Patientendaten anonymisiert über den GKV-Spitzenverband verfügbar gemacht werden, ohne Einspruchsmöglichkeit seitens der Versicherten. Genauer gesagt, die Daten der gesetzlich Versicherten. Die der Privatversicherten bleiben geschützt, sind ja privat. Von der PKV bekommt man nicht einmal gesundheitspolitisch relevante Daten, z.B. regional aggregierte Diagnosen oder Impfquoten.

Etwas böse könnte man sagen, mein Gott, das „Datengold-Gesetz“ ersetzt doch eh nur den Umweg über die Apps, die Patientendaten sowieso weiterleiten. Aber das sieht vielleicht nicht jeder so. Mir wäre ansonsten daran gelegen, aus den Daten, die wir schon haben, z.B. zu den 10 Jahren Unterschied der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich, den Folgen von Tabak und Alkohol oder dem Pflegenotstand, endlich einmal Konsequenzen zu ziehen. Auch wenn ich verstehe, dass es unternehmerisch gesehen lukrativer ist, an Produktinnovationen zu arbeiten als an sozialen Innovationen.

—————-
Zum Weiterlesen:

Spahn, die Digitalisierung und das Stockholm-Syndrom
Unsere Gesundheitsdaten – Unsere Entscheidung?!
Zu Besuch in der Zukunft: die Telematik-Infrastuktur im Gesundheitswesen

Kommentare (14)

  1. #1 gedankenknick
    4. November 2019

    Daher sieht das Digitale Versorgungs-Gesetz vor, dass künftig alle Patientendaten anonymisiert über den GKV-Spitzenverband verfügbar gemacht werden…
    Laut “Apotheke Adhoc” sollen die Daten nur pseudonymisiert werden. Dies ergibt auch Sinn, da ja Datenverknüpfungen wie Alter, Geschlecht, Wohnort usw. nicht einfach aus dem Datenbestand genommen werden können, ohne ein gerüttelt Maß an Informationen zu verlieren.

    Dies ergibt sogar noch mehr Sinn, denn eine anschließende De-Pseudonymisierung ist viel einfacher zu bewerkstelligen als eine De-Anonymisierung (die bei korrekter Anonymisierung gar nicht möglich sein darf!).

    Herr Kuhn, dieses “Datengold-Gesetz” ist noch viel weitreichender, als es im Augenblick absehbar scheint. Es ist ein Daten-gold-diamant-platin-uran-selteneerden-plutonium-Gesetz für die passenden Industriezweige. Und das letzte Elemente steht da nicht ohne Grund, denn die Sprengkraft für die gesellschaftliche Entwicklung dürfte – bei passender Verabeitung – ähnlich groß werden.

    Digital first – (be)denken second!

    Ach ja, da haben noch mehr Leute Bedenken in der Zwischenzeit… siehe hier: https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/politik/patientendaten-widerstand-gegen-spahns-gkv-plaene/

    • #2 Joseph Kuhn
      4. November 2019

      @ gedankenknick:

      “anonymisiert/pseudonymisiert”

      Die Daten werden dem Forschungsdatenzentrum pseudonymisiert übermittelt, die Bereitstellung der Daten für die Nutzungsberechtigten erfolgt dann nach § 303e (3) SGB V zunächst einmal “anonymisiert und aggregiert”. Die Bereitstellung pseudonymisierter Daten ist nach § 303e (4) in begründeten Fällen möglich, insbesondere für Forschungsvorhaben.

      Von den Grundzügen her ist das auch in der heute schon geltenden Fassung von § 303a-e so geregelt. Bisher wurde diese sog. “Datentransparenzregelung” ziemlich restriktiv umgesetzt, zum Leidwesen der Forschung. Hier wird Spahn eine andere Linie verfolgen, die Frage ist eben, mit welchem Ziel.

      Gegen bessere Daten für die Forschung hätte ja niemand was und die Erweiterung des Datenumfangs, die über die Datentransparenzregelung zur Verfügung stehen, über die bisher geltende Beschränkung auf die Morbi-RSA-Daten hinaus, ist hochgradig wünschenswert. Aber ob sich Spahns Daten-Agenda darin erschöpft, der Forschung unter die Arme zu greifen? Und wie sich die Entwicklungen mit der Patientenakte da mal einfügen?

  2. #3 gedankenknick
    4. November 2019

    Aber ob sich Spahns Daten-Agenda darin erschöpft, der Forschung unter die Arme zu greifen?

    Das ist eigentlich total egal. Denn: Was technisch möglich ist, wird auch gemacht werden! Selbst wenn man vorher weiß, wie blöde die Idee eigentlich ist.
    – Halb- und vollautonome Waffensysteme, die auch ohne menschliche Freigabe des Einzelfalls töten können? USA, Israel, China, Russland… alle mit dabei. Die Prototypen funktionieren bereits.
    – Ausbringung genveränderter Pflanzen ins Freiland? Schon passiert. (Dass sich der Monsanto-Genmais eben doch mit unmanipuliertem Mais hybridisieren kann, wurde schon längst bewiesen.)
    – Veränderungen des Erbguts eines Menschen bereits in der Keimbahn? Klar, wenn er dann immun gegen HIV wird…warum denn nicht?! Dass die Leute als Nebeneffekt früher sterben ist vielleicht sogar gut für die Sozialkassen…
    […]
    – Verkauf pseudonymisierter Patientendaten an Versicherungen und Konzerne zum “Wohle der Sozialgemeinschaft” – ist doch wahrlich halb so schlimm. Und dabei spielt es nicht mal eine Rolle, wie Nahe Spahn mit diversen “Gesundheits”-Großkonzernen steht. Man wird es machen, weil man es kann. (Dass man es dann sogar darf, ist ein kleines Sahnetüpfelchen obendrauf.)

    Und irgendwann wird dann ein Imperiumsbürokrat fragen: Ist es wirklich eine gute Idee, diese uns haushoch überlegene, selbstlernende und sich selbst optimierende autonome starke KI in Betrieb zu nehmen? Und ein anderer wird ihm antworten: Jetzt haben wirs schon bezahlt, jetzt schalten wir es auch ein! Marc-Uwe Kling

  3. #4 Hein
    6. November 2019

    tl;dr – In der jetzt kommunizierten Form wird diese Superdatenbank nicht funktionieren. In einer funktionierenden Form wäre diese Datenbank der GAU für den Datenschutz.

    Langfassung: Wie sieht es eigentlich mit der Datenqualität aus, wenn Kassendaten an das Forschungsdatenzentrum weitergegeben werden? Im ungeprüften Zustand können die Daten so viele Besonderheiten und ggf. Datenfehler aufweisen, dass eine Analyse zu falschen Schlussfolgerungen führt. Deshalb wird es nur in Einzelfällen möglich sein, einen Auswertungsauftrag an die neue Datenstelle zu geben und richtige Ergebnisse zurückzubekommen. Als Forscher hat man i. d. R. gar keine Vorstellung, wie kreativ in der Abrechnung mit den Krankenkassen vorgegangen wird. Das heißt, dass in den Daten nur ganz selten das drin steckt, was drauf steht. In der Konsequenz führen erste, naive Auswertungen gerne zu falschen Schlussfolgerungen. Auf dieser Ebene sind die Daten eher Mist als Gold. Interessant wird eine Auswertung erst, wenn man sehr detailliertes Wissen vom Behandlungsgeschehen hat und weiß, wie deses Wissen von den Praktikern kodiert wird. Dazu braucht man selber Zugriff auf die Rohdaten, um Hypothesen zu prüfen, die man erst im Laufe der Untersuchung gewonnen hat.
    Die Daten werden erst zu Gold, wenn Teams aus Spezialisten Zugang zu den Rohdaten haben. Eine dazwischengeschaltete Datenstelle, die Auswertungen vornimmt und die Daten erst in einer so weit aggregierten Form herausgibt, dass sie tatsächlich anonymisiert sind, wird die Forschung mit den Daten weitestgehend verhindern.
    Wenn die Daten jedoch auf Rohdatenebene verfügbar sind, dann lässt sich jede Person in diesem Datensatz identifizieren. Z. B. reicht eine einzelne Krankschreibung aus, dass ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der Krankschreibung in diesem Datensatz identifizieren kann. Sobald diese Person identifiziert ist, lassen sich über die Verknüpfungen auch alle weiteren Abrechnungen zu dieser Person finden.

  4. #5 ralph
    6. November 2019

    Ja, Gedankenknick, Fortschritt hat wohl seinen Preis, Skepsis ist angebracht. Im Anhalter durch die Galaxis steht dazu bekanntlich folgendes:
    “Viele kamen allmählich zu der Überzeugung, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie von den Bäumen heruntergekommen waren. Und einige sagten, schon die Bäume seien ein Holzweg gewesen, die Ozeane hätte man niemals verlassen dürfen”
    In Anbetracht der manigfaltigen Möglichkeiten einer Selbstauschlöschung unserer Zivilisation, ist das eindeutig die wahrscheinlichste Auflösung des Fermiparadoxons , also unser unausweichliches Schicksal. Kleiner Hoffnungsschimmer: die Gefahr einer weltweiten Pandemie durch schlecht desinfizierte öffentliche Telefone scheint gebannt zu sein!
    Lieber Herr Kuhn, da wird jeder Gerechte, der diesen Blog besucht ihnen zustimmen: schlimmern noch als eine Selbstauslöschung unserer Zivilisation wäre, wenn sich vorher noch böse Konzerne und andere kriminelle Elemente daran bereichern würden, unsere Patientendaten zu missbrauchen. Was anderes sollte ein Karrierepolitiker wie Spahn auch im Schilde führen? Was wiegt da schon die angebliche Chance mit diesen Daten die Medizin voranzutreiben, Leid zu mindern, Leben zu retten? Wir wissen ja eh wie das alles ohnehin unausweiblich endet, nicht wahr?

    • #6 Joseph Kuhn
      6. November 2019

      @ ralph:

      “Was anderes sollte ein Karrierepolitiker wie Spahn auch im Schilde führen?”

      Er will sicher nur unser Bestes. Aber sollen wir es ihm geben, nur weil er uns wie ein Jahrmarktschreier das Blaue vom Himmel herunter verspricht?

  5. #7 gedankenknick
    6. November 2019

    @ralph
    So optimistisch in die Zukunft gesehen?

    Ich bin mir da nicht sicher, wie es ist, wenn alle Daten überall offen liegen und plötzlich mehr oder weniger frei gehandelt werden. Schon heute kann einem ein Strick daraus gedreht werden, wenn die “falsche” Diagnose, und mag sie noch so lange her sein, plötzlich in die “richtigen” Hände gerät…

    Vor vielen Jahren gabs mal eine psychsiche Episode, und heute soll es ein verantwortungsvoller Beruf sein… und alle potentiellen Arbeitgeber sehen auf die “psychische Episode” und entscheiden sich für einen anderen Arbeitnehmer?

    Oder die eigene Lebensversicherung macht viel höhere Premien, weil in der Akte diverse Verletzungen mit Werkzeug – offensichtlich beim Heimwerken da nicht über die Berufsgenossenschaft geregelt – auftauchen?

    Oder die Kfz-Versicherung steigt dramatisch, weil bei einem EEG der Verdacht(!) auf eine mögliche(!) epileptische Störung aufgetaucht ist?

    Oder oder oder…

    Die Gesundheitsdaten sind in der DSGVO ein “besonders schützenswertes Gut”, und das offensichtlich aus gutem Grund. Und Herr Spahn, bestens vernetzt in diverse Wirtschaft (er hatte schließlich mal selber ein “Beratungsunternehmen” parallel zu seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter) hat natürlich nur unser aller Allerbestes im Sinn bei seinen Gesetzen. Wie kann ich auch nur anderes denken….

  6. #8 noch'n Flo
    Schoggiland
    6. November 2019

    @ ralph:

    Kleiner Hoffnungsschimmer: die Gefahr einer weltweiten Pandemie durch schlecht desinfizierte öffentliche Telefone scheint gebannt zu sein!

    Die Telefondesinfizierer*nnen der heutigen Zeit sind eindeutig die Nail-Designer*nnen.

  7. #9 gedankenknick
    6. November 2019

    @ ralph
    Ich empfehle echt mal, das Buch “Quality Land” zu lesen. Wir scheinen auf den besten Weg in ebenjenes QualityLand ….wo es auf jede Frage nur eine Antwort gibt: “OK”.

  8. #10 noch'n Flo
    Schoggiland
    6. November 2019

    @ JK:

    Er will sicher nur unser Bestes.

    Moment mal – von meinen Eltern habe ich mal gelernt, dass wann immer jemand “mein Bestes” will, er damit mein Geld meint. Oder sehe ich das jetzt falsch?

  9. #11 Christian Berger
    7. November 2019

    So was in der Art gab es auch schon mal zur Jahrtausendwende in einem der nordischen Staaten. Damals hat die Regierung auch einfach die Gesundheitsdaten ein eine Firma verschenkt. In dem Fernsehbericht den ich daheim rumliegen habe wurde da auch von der Zukunft der Medizin gefaselt. Ich hab dann mal dieser Firma nachgeforscht und die gab es wirklich, die ging aber nach dem (vorhersehbar) das Verfassungsgericht das gestoppt hat Pleite.

  10. #12 rolak
    7. November 2019

    daheim rumliegen

    Ha! Mein Reden, so’n schickes Archiv nebenan…

  11. #13 Joseph Kuhn
    8. November 2019

    Unsofte Software

    Erfahrungen einer Münchner Apothekerin mit ihrer Apothekensoftware, in der Kundendaten ein merkwürdiges Eigenleben führen. FAZ heute, lesenswert, leider hinter der Paywall: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/wie-eine-apothekerin-einen-skandal-im-gesundheitswesen-aufdeckt-16473641.html

  12. #14 noch'n Flo
    Schoggiland
    12. November 2019