In meinem letzten Beitrag hatte ich angesichts der Entwicklung der Infektionszahlen, der Fälle auf den Intensivstationen und der Sterbefälle geschrieben: „Insofern ist die Dynamik der Infektionen unübersehbar und in keiner Weise durch mehr Testungen oder viele falsch Positive abzutun.“ Da habe ich mich gründlich geirrt und die Kreativität der MWGFD-Matadores unterschätzt. Für sie ist nach wie vor nichts zu sehen und das müssen sie jetzt natürlich erklären, weil irgendwie ja doch etwas zu sehen ist.
Wolfgang Wodarg: Alles Betrug
Am einfachsten macht es sich und uns Wolfgang Wodarg. Er schreibt:
„Es werden möglichst viele positive Tests benötigt, um den Lockdown zu rechtfertigen. Wer sie liefert und da mitmacht wird gut bezahlt. Regierungen bestechen, belügen und setzen unter Druck, um gegen die eigene Bevölkerung Zwang und Kontrollen zu rechtfertigen.“
Seine „Faktenbasis“ ist der Testmurks eines Labors in Augsburg, das reihenweise falsch positive Testbefunde ausgeliefert hat, u.a. weil ihm die regulären Materialien ausgegangen waren, wie es heißt. Wie auch immer – für Wodarg zeigt sich darin, dass die Regierung Labore besticht, damit sie positive Befunde liefern, weil die jetzt gebraucht werden. Wozu? Für den „großen Plan“ vermutlich, der gerade weltweit durchgezogen wird. Überall liefern jetzt die Labore getürkte Befunde. Attila Hildmann wird es erklären können.
Harald Walach: Unsichtbarkeit durch Standardisierung
Eine intellektuelle Ebene darüber bewegt sich Harald Walach. Er beginnt mit dem Unübersehbaren:
„In der Tat: ein Anstieg der prozentual – im Verhältnis zur Anzahl der Tests – positiv auf Sars-CoV-2 Getesteten auf aktuell 5,6% ist festzustellen.“
Dann folgt die Frage: „Ist dieser Anstieg Besorgnis erregend?“ Man ahnt die Antwort. Natürlich nicht. Es gäbe schlicht keinen Zusammenhang zwischen PCR-Tests und Erkrankungen:
„Es gibt definitiv keine Studien zu diesem Thema, was ich schon in sich skandalös finde, wenn der Test mit so weitreichenden Konsequenzen angewandt wird.“
Daran schließt sein statistischer Kunstgriff an, um den Anstieg der Fälle auf den Intensivstationen und der Sterbefälle aus der Welt zu schaffen:
„Ich habe mir die Frage gestellt, wie sich eigentlich die Quote der Menschen, die mit oder wegen Sars-CoV-2 Infektion hospitalisiert werden und die Quote derer, die daran verstorben sind, über die Zeit entwickelt. Denn das sind die harten Ergebnisdaten, auf die es wirklich ankommt.“
Er kommt zu dem Ergebnis, dass der relative Anteil der Hospitalisierten und Verstorbenen an den positiv Getesteten sinkt und nicht steigt. Eine Art Positivenrate zweiter Ordnung, wenn man so will. Ergo: Wir sehen keinen besorgniserregenden Anstieg von Krankheit und Tod. Klingt doch irgendwie plausibel, oder?
Es ist aber wieder einmal Walachscher Zahlensalat und hat mich spontan an eine Erfahrung aus meiner Vergangenheit in der betrieblichen Gesundheitsförderung erinnert. Bei einem Vortrag hatte einmal jemand aus einem betrieblichen Projekt stolz berichtet, er habe sich die Krankschreibungen aufgrund von Rückenschmerzen zwischen zwei Abteilungen eines Betriebs angesehen. Eine habe eine sehr hohe Quote, aber der Altersdurchschnitt der Beschäftigten in den Abteilungen sei auch sehr unterschiedlich. Daher habe er die Quote der Krankschreibungen altersstandardisiert, der Unterschied der Krankschreibungsquoten sei jetzt verschwunden, sei also nicht besorgniserregend.
Macht man doch so, lege artis? Ja, aber nur, wenn man wissen will, ob jenseits des Alters noch etwas auf die Quote der Krankschreibungen wirkt. Die vielen Krankschreibungen in der einen Abteilung waren ja da und der Betrieb musste damit umgehen. Man darf sie, was den Handlungsbedarf angeht, natürlich nicht statistisch wegstandardisieren. Genau das hat Harald Walach getan. Er erklärt den Anstieg der Fälle auf den Intensivstationen mit dem Anstieg der positiven Tests. Das ist auch so, keine Frage. Aber damit verschwinden die Fälle auf den Intensivstationen nicht, sie müssen behandelt und gepflegt werden. Und wenn die Kapazitäten der Krankenhäuser überlastet werden, hilft es nichts, darauf hinzuweisen, dass statistisch gesehen der Anteil der Behandlungsfälle an den positiv Getesteten nicht gestiegen ist.
Walachs Konsequenz:
„Für die ganze Aufregung gibt es also eigentlich keine guten Gründe. (…) Ich glaube nicht, dass die politisch Verantwortlichen in 3 Jahren noch aufrecht in den Spiegel blicken können, wenn sie diese Politik nicht bald ändern. (…) Das ist übrigens nicht meine Einzelmeinung: Fast alle Ärzteverbände wehren sich gegen die derzeitige Politik der Bundesregierung.“
Christof Kuhbandner: In den Krankenhäusern gibt es nur mehr positiv Getestete
Etwas voraussetzungsreicher ist die Argumentation seines MWGFD-Kollegen Christof Kuhbandner. Er sagt, mit den Fällen auf den Intensivstationen sei es ähnlich wie mit den Corona-Toten: Man wisse nicht, ob sie mit oder wegen SARS-CoV-2 auf der Intensivstation lägen. Vielleicht seien es ja nur umetikettierte, weil positiv getestete Patient/innen mit anderen ernsten Erkrankungen. Dafür spräche, dass die Gesamtzahl der belegten Betten auf den Intensivstationen gleich geblieben sei, somit auch die Belastung der Krankenhäuser.
„Es lässt sich kein wirklicher Anstieg in der Anzahl der insgesamt belegten Intensivbetten erkennen. Das einzige, was ansteigt, ist die Anzahl der Intensivpatienten mit positivem SARS-CoV-2-PCR-Testergebnis.“
Auch er kommt dann auf den Testmurks des Augsburger Labors zu sprechen und fragt, ob demnach nicht die Mehrzahl der positiven Tests falsch sei, also auch kein Anstieg der Fälle existiere.
Richtig ist, dass dem DIVI-Register zufolge die Bettenbelegung insgesamt in etwa gleich geblieben ist. Allerdings fällt auf, dass zuletzt die freien High Care-Kapazitäten spürbar abgenommen haben. Inwiefern die COVID-19-Fälle auf den Intensivstationen wirklich nur durch ein positives Testergebnis definiert sind, kann ich nicht beurteilen. Hier kritisiert Herr Kuhbandner im Grunde ebenfalls die Verbindung zwischen Testbefund und Erkrankung. Dass es den Intensivmedizinern nicht auffallen würde, wenn sie reihenweise Patienten auf die Station bekommen, die eigentlich klinisch nicht als COVID-19-Patienten diagnostiziert würden, sondern nur aufgrund eines positiven Tests, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Da schimmert ein wenig Verschwörungstheorie durch. Aber das müssten Leute kommentieren, die sich damit besser auskennen. Unplausibel ist jedenfalls, dass der steile Anstieg der Intensivfälle in den letzten Tagen allein testbedingt ist – die Tests haben nicht im gleichen Ausmaß zugenommen. Das räumt sogar Harald Walach ein.
Fazit:
Die steigenden Fallzahlen haben bei den MWGFDlern zu neuen Erklärungsmustern für ihre Ausgangsthesen geführt. Diese Erklärungsmuster reichen von einfacher Verschwörungstheorie (Wodarg) über Zahlensalat (Walach) bis hin zu Dateninterpretationen, die im Detail von Intensivmedizinern kommentiert werden müssten (Kuhbandner). Ein bisschen erinnert das an die Epizykeltheorie zur Rettung des ptolomäischen Weltbilds. Ein Infragestellen der eigenen Ausgangsthesen wird von den drei Herren nicht in Betracht gezogen. Irrtum ausgeschlossen. Popper ist schließlich schon lange tot. Schade, denn kritische Betrachtungen, auch kritische Betrachtungen der Daten, tun eigentlich not. Aber strategisches Schönreden der Situation schadet dem kritischen Diskurs genauso wie das Gegenteil.
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