Verschwörungstheorien, oder wie man neuerdings begrifflich präziser formuliert, Verschwörungserzählungen, wenden sich gegen das, was alle glauben. Das, was alle glauben, kann falsch oder richtig sein, daher ist „dagegen“ zu sein auch nicht automatisch falsch oder richtig. Darüber entscheiden im besten Fall die Fakten, oder eine Sache muss vorläufig offen bleiben. In gewisser Weise kann man Verschwörungserzählungen als eine abwegige, eine auf Abwege geratene Tugend ansehen: Kritik, der die Fähigkeit zur Selbstkritik abhanden gekommen ist und die den Boden der Realität unter den Füßen verloren hat. Manchmal kann man auch dafür einen Preis bekommen, aber zur Ehre gereicht das meist nicht.
In Krisenzeiten sind Menschen für Verschwörungserzählungen besonders anfällig. Krisen bedrohen den Alltag und setzen das Gewohnte, das, was uns Sicherheit und Vertrautheit gibt, außer Kraft. Neue Orientierungen sind nötig. Krisen fordern das Denken heraus, das kritische Denken ganz besonders.
Aber wo verläuft die Grenze zwischen dem unverzichtbaren kritischen Blick auf die in Unordnung geratenen Dinge und blinder Hinwendung zu obskuren Ansichten? Es gibt dazu inzwischen immer mehr Literatur, das Thema hat sozusagen Konjunktur. Auch die Ausgabe 4/2020 der Zeitschrift Forum Wissenschaft hat sich den Verschwörungserzählungen gewidmet, u.a. mit ein paar Überlegungen von mir zur Differenzierung zwischen Gesellschaftskritik und Obskurantismus. Es geht dabei nicht darum, einen Algorithmus zur Entscheidung zwischen guter und schlechter Kritik zu liefern, lediglich um ein paar Kriterien zur besseren Orientierung im Nebel. Heimleuchten muss sich damit jeder selbst.
——————–
Nachtrag 20.12.2020, weitere Assoziationen zum Thema:
1. Verschwörungstheoretiker als irregeleitete Gesellschaftskritiker?
2. Der große Plan …
3. Aus der Zeit gefallen: Hahnemann, Hörbiger, Reich & Co.
Kommentare (28)