Die Politik ist kein Heiligenverein. Wenn maßgebliche Leute in der Politik mehr Energie darauf verwendet hätten, sich um bezahlbaren Wohnraum, Verbesserungen in der Pflege, das Zurückdrängen prekärer Beschäftigung oder den Klimawandel zu kümmern, würde es uns allen besser gehen. CumEx, dubiose Maskengeschäfte oder teure Mautabenteuer waren dem Gemeinwohl dagegen nicht wirklich förderlich. Insofern sollte man die moralischen Erwartungen an Politiker/innen nicht allzu hoch schrauben, aber auch nicht über alles hinwegsehen.
Das gilt für das, was sie tun, und für das, was sie sagen. In den Medien wird gerade – zu Recht – Hubert Aiwanger, Nebenerwerbslandwirt aus Niederbayern, für seine Äußerungen zur Corona-Impfung kritisiert, die er vermutlich selbst noch ganz nicht zwischen Selbstverteidigung und Stimmenfang bei Coronakritikern verorten kann. Jetzt folgt ihm Wolfgang Kubicki, der ebenfalls nicht zu knapp mit demonstrativer Eigenwilligkeit gesegnete Rechtsanwalt aus der FDP.
Er hat ein Buch veröffentlicht und wie Baerbock und Laschet scheint er zu plagiieren. Gut, vielleicht nicht im Wortlaut, aber geistig. Ausgerechnet auf der „Achse des Guten“, diesem rechtslibertärdemagogischen Hetzportal, veröffentlicht er als Gastautor Passagen aus seinem Buch über „erdrückte Freiheit“. Darin sind Sätze, die er dem Gehirn von Aiwanger oder direkt den Querdenkern entnommen haben muss:
„In Deutschland regierte mit Angela Merkel stattdessen die Angst – und der Starrsinn.
(…)
Andere wissenschaftliche Positionen, wie etwa der renommierten Virologen Klaus Stöhr oder Hendrik Streeck, wurden im Vorfeld der Konferenzen mit den Länderregierungschefs ausgegrenzt und auch ausgeladen – um das von Merkel gewünschte negative Schreckensbild nicht etwa ins Positive zu verkehren.
(…)
Daher galt es, all das aus dem Weg zu räumen, was ihrer Linie widersprach.“
In dem Textauszug geht es um den Umgang mit den Kindern in der Coronakrise. Der ist sicher kritikwürdig. Aber das Narrativ von Merkel und ihrer Meinungsdiktatur könnte auch von Alice Weidel stammen. Es ist, um mit Markus Söder zu sprechen, die Wortwahl, „der Sound“, der irritiert. Und der sumpfige Ort seines Gastbeitrags.
Das Buch wirkt, soweit der Leseprobe im Internet zu entnehmen, auch sonst wie ein Signal an die Querdenkerszene, wie ein Versuch, in diesem Milieu Stimmen bei der Bundestagswahl abzufischen. Die Zukunftsthemen des Landes – Klima, Pflege, Wohnen – spielen in Kubickis Buch keine relevante Rolle. Vermutlich sieht er dort auch keine „unterdrückte Freiheit“. Er schreibt, dass der Staat dem Bürger nicht vorschreiben dürfe, an welchem Ort er wohnen müsse und welche Brotsorte er kaufen solle. Dem ist nicht zu widersprechen. Mir sind solche Vorschriften auch nicht bekannt. Doch um wieviel mehr wird die Freiheit erdrückt, wenn Menschen nicht wissen, wie sie das Brot ihrer Kinder und ihre Wohnung im nächsten Monat bezahlen sollen? Aber woher soll jemand wie Kubicki das wissen? Da ist dann doch wieder Aiwanger näher an den Menschen.
Die Leserschaft der „Achse“ hat ihm seine Anbiederung übrigens nicht gedankt, sondern beschimpft ihn als „Heuchler“. Im Zweifel wählen die Leute dann halt doch das Original.
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