Der vielzitierte Satz, die Wahrheit sei immer das erste Opfer im Krieg, ist einerseits Unsinn, weil immer zuerst Menschen sterben, andererseits bringt er zu Recht zum Ausdruck, dass es stets auch um einen Krieg der Bilder und einen Krieg um die öffentliche Meinung geht. Es ist schwer, Orientierung zu finden, zumindest geht es mir so. Hier ein paar Fragen und ein paar Antwortversuche.
Ist es Putins Krieg?
Ja.
Ist es Russlands Krieg?
Ja, auch. Zwar ist die Bevölkerung Russlands ein Opfer der russischen Staatspropaganda, aber das spricht sie nicht gänzlich frei von Verantwortung. Es war auch nicht nur Hitler, der in den zweiten Weltkrieg zog und alleine die Juden ermordet hat.
Hat der Westen eine Mitverantwortung?
Ja, der Angriff Russlands auf die Ukraine macht aus dem Westen keine Gesellschaft von Engeln. Die USA haben auch imperiale Ziele, die Europäer auch ihre Interessen. Aber das rechtfertigt Putins Überfall auf die Ukraine trotzdem nicht. So wenig, wie ein Mann, der seine Kinder misshandelt, sich darauf berufen kann, dass er als Kind selbst geschlagen wurde. Vielleicht liegt die Hauptverantwortung des Westens aber darin, dass er die „westlichen Werte“ zu Floskeln ohne Überzeugungskraft gegenüber Diktaturen verkommen ließ.
Hat die Ukraine eine Mitverantwortung?
Vielleicht. Vielleicht hat die Ukraine Fehler in ihrer Nationalitäten- und Sprachenpolitik gemacht. Aber auch hier gilt: Das würde Putins Krieg nicht rechtfertigen.
Ist die Ukraine ein künstliches Geschöpf?
Putin spricht der Ukraine das Existenzrecht ab, weil sie erst von den Kommunisten geschaffen worden sei. Das mag für ihre Grenzen stimmen. Aber auch dieses Argument rechtfertigt seinen Krieg nicht. Sonst wäre auch Hitlers gewaltsame Zerschlagung der Tschechoslowakei gerechtfertigt gewesen, ganz zu schweigen von Kriegen gegen die von den Kolonialmächten in aller Welt willkürlich gezogenen Grenzen.
Sind in der Ukraine Faschisten an der Macht?
Nein. Auch wenn auf Seiten der Ukraine rechte Kriegsabenteurer und Neonazis gegen ostukrainische Separatisten gekämpft haben, wird dadurch die Regierung der Ukraine nicht faschistisch. Dazu muss man nicht erst Selenskyjs Religionszugehörigkeit bemühen. Klar ist dafür: Im Moment sitzt ein Faschist in Moskau und in Trumps Umfeld gab es auch Geister, die eher so zu etikettieren wären, z.B. Leute wie Michael Flynn oder Steve Bannon.
Sollte der Westen den Weltkrieg riskieren, um Putin zu stoppen?
Nein. Die tausendfache oder millionenfache Vermehrung unschuldiger – und ungefragter – Opfer wäre unmoralisch.
Ist Putin verrückt?
War Hitler verrückt?
Ist ein Sturz Putins wünschenswert?
Viele politikwissenschaftliche Beobachter befürchten danach Machtkämpfe in Russland, die die Welt noch mehr in eine unsichere Zukunft führen. Aber vermutlich wäre das das kleinere Übel zumindest gegenüber der Alternative eines Weltkriegs. Letztendlich: Ich weiß es nicht.
Kann der Westen vermeiden, dass Menschen außerhalb der Ukraine sterben?
Nein. Der Hunger in Afrika wird zunehmen und auch in Europa könnte es durch die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu – statistischen – Einbußen an Lebenserwartung kommen. Kriege sind immer auch Public Health-Krisen jenseits der unmittelbaren Kriegstoten.
Was lernt Nordkorea aus der Sache?
Gib nie deine Atomwaffen ab, egal welche Sicherheitsgarantien sie dir geben. Früher oder später kommt ein Putin oder ein Xi oder ein Trump. Im Iran wird man sich auch seine Gedanken machen. Auch in diesen Fällen hat Putin die Welt ein Stück unsicherer gemacht.
Was lernt China aus der Sache?
Gute Frage. Vielleicht fragt sich die chinesische Regierung das gerade selbst und zieht Schlüsse, die die Zukunft der Welt nicht noch mehr eintrüben.
Wie wird es weitergehen?
Ich weiß es nicht. Aber sicher nicht, wie in den letzten 30 Jahren.
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