Vor einem Jahr hatte ich ein Projekt aus dem Koalitionsvertrag der Ampel zur Diskussion gestellt: das „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“. Der dort schon zitierte Passus aus dem Koalitionsvertrag sei hier noch einmal wiederholt:
„Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit auf, in dem die Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sind.“
Nach einem Jahr, zahlreichen Stellungnahmen von verschiedenen Akteuren im Gesundheitssystem sowie Einlassungen des Ministers, z.B. eine Vorlage noch im Jahr 2022 liefern zu wollen, dass sich das Institut selbst finanzieren müsse oder dass die Aufklärung für eine „verbesserte Lebensführung“ einer der Schwerpunkte des Instituts sein solle, weiß man bis heute nicht viel, was da kommen soll. Im Ministerium wird, so heißt es, intensiv diskutiert und auch die am Thema interessierten Abgeordneten sind immer wieder einmal mit dem Bundesinstitut befasst. Einer Pressemitteilung des grünen Abgeordneten Johannes Wagner zufolge hat das Ministerium inzwischen 250.000 Euro für eine Beratung durch Sachverständige erhalten, aber die Öffentlichkeit erfährt weder, wer die Sachverständigen sind, noch ob sie schon arbeiten oder was insgesamt Stand der Dinge ist, z.B. ob die Finanzierung des Instituts selbst gesichert ist. Die Vorbereitung des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit ist bisher ersichtlich keine öffentliche Angelegenheit.
Vorgestern hat der „Sachverständigenrat für Gesundheit und Pflege“ sein Jahresgutachten 2023 vorgelegt. Das ist eine interessante Lektüre. Es geht darin um Lehren aus der Pandemie für das Gesundheitswesen. Inwiefern daraus mehr folgt als aus dem Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses nach § 5(9) IfSG bleibt abzuwarten.
Ein Themenschwerpunkt im Gutachten ist der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD). Hier folgt das Gutachten auf weiten Strecken den vorliegenden Fachpublikationen sowie dem von der Gesundheitsministerkonferenz 2018 beschlossenen „Leitbild für den ÖGD“ und den Papieren zum „Pakt für den ÖGD“. Der Sachverständigenrat empfiehlt u.a. die Stärkung der personellen und materiellen Ressourcen des ÖGD, eine engere Kooperation zwischen ÖGD und Wissenschaft, eine Orientierung der Aufgaben des ÖGD an einem Public Health-Gesamtrahmen und – den Aufbau des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit. Dazu gibt das Gutachten eine Reihe von diskussionswürdigen, aber auch diskussionsbedürftigen Empfehlungen:
„365. (…) Das geplante Bundesinstitut sollte personell und strukturell in die Lage versetzt werden, nicht nur punktuell einzelne Aspekte der öffentlichen Gesundheit zu bearbeiten, sondern eine breite Public-Health-Perspektive einzunehmen. (…)“
Das ist ein wichtiger Grundsatz, dem nur zuzustimmen ist. Allerdings muss dazu die Kooperation der verschiedenen Ressorts sichergestellt werden: Verkehr, Arbeit, Bildung, Umwelt und Ernährung sind dabei ganz zentral. Die Konfliktpunkte sind zahlreich. Der Sachverständigenrat hat das Problem auch gesehen, siehe unten Ziffer 370.
„367. Wünschenswerte Hauptaufgaben des geplanten Bundesinstituts bestehen in der Erhebung, Bereitstellung und Analyse von (Echtzeit-)Daten im gesamten Gesundheitswesen. Die Gründung des Instituts bietet die Chance, die großen Lücken zu füllen, die die bisher verfügbaren Informationen über Zielerreichung, Auslastung, Über-, Unter- und Fehlversorgung im deutschen Gesundheitswesen aufweisen. (…) Zur Hebung dieses Potenzials ist das Institut als ein „Bundesdateninstitut“ zu konzipieren, das in die Lage versetzt wird, die genannten Aufgaben mithilfe moderner Technologie zu erfüllen, also z. B. KI einzusetzen und Daten aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen, wie aus der elektronischen Patientenakte, öffentlichen Registern und Abrechnungssystemen sowie aus Datenbeständen, die der externen Qualitätssicherung bzw. Arzneimittelüberwachung dienen (Record Linkage). Das Institut könnte eine Plattform für die Erarbeitung der dazu erforderlichen (IT-)Standards und Schnittstellen bieten. Damit würde im Sinne eines „Datenkontinuums“ nicht zuletzt die Grundlage für eine moderne Gesundheitsberichterstattung gelegt, die für eine effektive und effiziente Mittelverwendung bzw. Steuerung unabdingbar ist (…). Auch die Bereitstellung der Datenbestände zu Forschungszwecken sollte von vornherein bei der Konzeption des Instituts strukturell verankert werden (…). Ein so konzipiertes neues Bundesinstitut könnte wesentlich dazu beitragen, das Ziel eines dynamisch lernenden (Echtzeit-)Gesundheitssystems zu erreichen. (…)“
Eine bessere und schnellere Zusammenführung und Auswertung von Gesundheitsdaten ist ohne Zweifel notwendig. Vielleicht wären hier etwas kleinere, dafür greifbarere Brötchen besser gewesen. Der Passus liest sich ein bisschen wie aus der Feder einer Datascience-Beratungsfirma. Bis das Bundesinstitut die beschriebenen Funktionen einer eierlegenden Wollmilchsau erfüllt, wird viel Zeit vergehen. Aber Digitalisierung ist eben derzeit ein Zauberwort, das viele Türen öffnet, wenn es gut geht, auch im Gesundheitswesen. Ein eigenständiges “Dateninstitut“ will der Bund übrigens auch, aber dazu gab es möglichweise während der Erstellung des Gutachtens noch keine konkreten Informationen.
„368. Eine weitere wesentliche Aufgabe des geplanten Bundesinstituts sollte in der Entwicklung und Umsetzung einer umfassenden Strategie der Gesundheitskommunikation bestehen, auch vor dem Hintergrund, dass die BZgA gemäß aktuellem Koalitionsvertrag in dem neuen Institut aufgehen soll. Dabei sollte ein Fokus auf der Risiko- bzw. Krisenkommunikation liegen. (…) Damit das neue Institut dieser wichtigen Aufgabe umfassend gerecht werden kann, ist es u. a. erforderlich, dass dort das vorhandene Gesundheitswissen gesammelt, eingeordnet und bewertet wird (…). Das Institut sollte zudem über die Kompetenz verfügen, Informationskampagnen einrichtungsübergreifend zu koordinieren, um redundante oder widersprüchliche Kommunikation zu vermeiden. Zu den Kommunikationsaufgaben könnte es außerdem gehören, eine Anlaufstelle für Expertinnen und Experten zu bieten, die ihr Wissen einbringen möchten. Das ist insbesondere in einer akuten Krise relevant, in der kurzfristig Ressourcen gebündelt werden müssen. Wie in Kapitel 11 weiter ausgeführt wird, sollte zudem das Nationale Gesundheitsportal bei dem neuen Bundesinstitut angesiedelt werden (…).“
Auch hier unterstützt der Sachverständigenrat ein wichtiges Anliegen. Ob es wirklich eine kluge Idee ist, Datenanalysen und politische Kommunikation unter ein Dach zu bringen, weiß ich allerdings nicht. Zwar ist eine nachgeordnete Behörde nie ganz frei in dem, was sie tut und sagt, aber gewisse Spielräume sind mit arbeitsteiligen Strukturen doch immer auch verbunden. Diese würden mit einer „Alles-unter-einem-Dach-Lösung” vermutlich kleiner, der Druck, Datenanalysen und Kampagnen nicht zu diskrepant werden zu lassen, zunehmen.
„370. Eine zentrale Herausforderung wird es sein, die Aufgaben des neuen Instituts und die Aufgaben bestehender Einrichtungen aufeinander abzustimmen und klar voneinander abzugrenzen. Eine eindeutige Rollenverteilung ist vor allem nötig, um unnötigen Ressourcenaufwand und widersprüchliche Informationen zu vermeiden. Dies gilt insbesondere in Bezug auf das RKI, mit dem das geplante Institut potenziell große Überschneidungen aufweist. Besonders wichtig ist es dabei, das neue Institut – ungeachtet der inhaltlichen Aufgabenteilung – mit den erforderlichen Befugnissen und Kompetenzen für eine einrichtungsübergreifende und verzögerungsfreie Zusammenführung und Auswertung von Informationen auszustatten. Dazu gehört u. a. die Kompetenz für die Setzung und Kontrolle von Standards für die Erhebung und Verarbeitung von Daten.“
Damit beschreibt der Sachverständigenrat im Anschluss an Ziffer 365 eine zentrale organisatorische Herausforderung für das geplante Bundesinstitut, die kluges und politisch abgesichertes Handeln notwendig macht. Auch der Konfliktpunkt RKI ist richtig benannt. So wie der Sachverständigenrat das Bundesinstitut vorher skizziert hat, könnte es, was Gesundheitsmonitoring und Gesundheitsberichterstattung angeht, leicht auf die Amputation des RKI statt auf eine Abgrenzung zum RKI hinauslaufen. Bis diese Aufgaben unter neuem Dach wieder gut erfüllt werden, könnten Jahre vergehen.
Es ist unklar, wie gut die Ausführungen des Sachverständigenrats mit den aktuellen Planungen im Gesundheitsministerium abgestimmt sind. Redaktionsschluss für das Gutachten war August 2022, heißt es. Aber was heißt das?
Auffällig ist, dass wichtige Public Health-Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Bundesinstitut nicht explizit angesprochen werden: Klimawandel (dem das Gutachten ansonsten zu Recht viel Platz widmet), Pflege, soziale Lage. Ob hier bewusst den Problemen einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik aus dem Weg gegangen wurde? Aber, siehe Ziffer 365, soll es nicht genau darum gehen? Lösungsorientiert, nicht nur proklamatorisch? Hier wäre es gut gewesen, wenn das Gutachten etwas konkretere Zusammenhänge hergestellt hätte. Sie sind implizit angesprochen, etwa mit dem Verweis auf die Eckpunkte für eine nationale Public Health-Strategie des Zukunftsforums Public Health. Dessen Geschäftsstelle ist übrigens bis jetzt beim RKI angesiedelt.
Ich bin gespannt, was nun das Gesundheitsministerium als Konzept für das Bundesinstitut auf den Tisch legt, wie nah das am Gutachten des Sachverständigenrats ist, wann das Konzept vorgelegt wird, ob es dazu noch, was hochgradig sinnvoll wäre, Anhörungen und Abstimmungen mit den Akteuren im System gibt und ob sich das ganze Konstrukt am Ende bewährt. Nur noch eine Bundesbehörde mehr ist ja nicht Sinn der Sache.
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