Nach vielen Ankündigungen, vielen Stellungnahmen von Verbänden und Fachgesellschaften und vielen Gerüchten hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach heute die grundlegenden Entscheidungen zum Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit auf der Bundespressekonferenz verkündet:

1. Das neue Institut soll „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) heißen und zum 1.1.2025 an den Start gehen. Der Errichtungsbeauftragte Dr. Nießen wird das neue Institut aufbauen und die alte BZgA abwickeln.
2. Das RKI wird im Wesentlichen auf Infektionskrankheiten beschränkt, die im Aufbau befindliche KI-Abteilung bleibt beim RKI. Neuer Präsident des RKI wird Prof. Schaade, der bisherige Vize-Präsident.
3. Das neue BIPAM soll sich auf Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen konzentrieren und dazu Daten erheben und Maßnahmen vorschlagen.
4. Der Haushalt des BIPAM wird noch verhandelt.

Zum Hintergrund hat Lauterbach erläutert, das Gesundheitswesen in Deutschland sei vergleichsweise teuer, trotzdem sei die Lebenserwartung nur europäisches Mittelmaß und die sozialen Unterschiede bei der Lebenserwartung seien groß. Ein Grund dafür sei, dass die „Vorbeugemedizin“ in Deutschland nicht ausreichend sei. Hier solle das neue Institut mit den drei Schwerpunkten Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen helfen, diese würden mehr als 75 % der Sterbefälle in Deutschland ausmachen.

Dem BMG ist mit den genannten Punkten eine Überraschung gelungen. Mit so einem Konstrukt haben vermutlich nicht viele gerechnet. Man wird abwarten müssen, was daraus wird und welche konkrete Rolle es im Public Health-Bereich spielen wird. Dass die Prävention gestärkt werden soll, ist ein Ziel, das man nur begrüßen kann. Aber vieles an dem BIPAM-Konstrukt ist recht befremdlich.

Sprachlich fällt auf, dass ein „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ einem Public Health-Anspruch schon vom Titel her nicht gerecht wird. Die Medizin leistet natürlich einen wichtigen Beitrag zu Public Health, aber die WHO spricht nicht umsonst von „Health in all Policies“. Public Health und Prävention sind ressortübergreifende Aufgabenstellungen. Möglicherweise hat Lauterbach die Engführung „in der Medizin“ bewusst gewählt, weil er im Kabinett keinen ressortübergreifenden Public Health-Ansatz erreichen konnte – oder es vielleicht gar nicht versucht hat.

Der Begriff „Vorbeugemedizin“ ist nicht nur antiquiert, auch hier ist wieder nur die Medizin angesprochen. Bewusst oder nicht, man weiß es nicht.

Die Auswahl von drei Krankheiten als prioritären Handlungsfeldern, statt der Adressierung von Risikofaktoren, könnte ebenfalls Ressortzuständigkeiten geschuldet sein. Für Krankheiten ist das BMG zuständig, für die zugrunde liegenden Risikofaktoren nur teilweise, und vor allem da, wo das Gesundheitsverhalten adressiert wird. Bei den Verhältnisfaktoren, z.B. der sozialen Lage, der Umwelt, den Arbeitsbedingungen, dem Verkehr, der Bildung usw., sind andere Ressort betroffen und wären einzubeziehen. Die haben ihre eigenen „Präventionsbehörden“, wie die BAUA oder das UBA.

Die Aussage Lauterbachs, auf die drei Krankheitsgruppen entfielen „mehr als 75 %“ der Sterbefälle in Deutschland, ist sachlich falsch. Im Jahr 2021 waren es 62 %. Der Anteil der drei Krankheitsgruppen an allen Sterbefällen geht kontinuierlich zurück. 75 % waren es im Jahr 1998. Grund für den abnehmenden Anteil ist die rückläufige Zahl der Sterbefälle infolge von Herzkreislauferkrankungen.

Ob man für eine Prioritätensetzung in der Prävention überhaupt die Sterbefälle nehmen sollte, darüber lässt sich trefflich streiten. Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen sind – im statistischen Durchschnitt – typische Alterserkrankungen. Ist ihr Anteil hoch, bedeutet das auch, dass die Menschen im Durchschnitt recht alt werden. Für die Prävention wären andere Parameter zielführend, z.B. die verlorenen Lebensjahre. Krebs und Herzkreislauferkrankungen wären hier zwar immer noch vorn, aber dann kämen beispielsweise auch die Unfälle ins Blickfeld. Wieder eine Frage der Ressortzuständigkeit? Oder geht es am Ende auch darum, dass Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen höchst interessante Felder für die Pharmaindustrie sind? Dazu passt, dass Lauterbach mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz für Forschungszwecke auch den Zugriff der Pharmaindustrie auf die Daten der Krankenversicherung erleichtern will. Das wäre immerhin ein konsistenter Ansatz, wenn auch nicht aus Public Health-Sicht. Aber das ist zugegebenermaßen Kaffeesatzleserei und vielleicht tut man dem ganzen Vorhaben damit Unrecht. Man wird sehen.

Das RKI ist seine – auch vom Bundestag 2007 bestätigte – Rolle als Public Health-Institut los, zumindest was die themenübergreifende Perspektive betrifft. Es ist wieder wie vor hundert Jahren auf ein Institut für Infektionskrankheiten zurückgeschnitten. Dabei hat die Coronakrise eigentlich unmissverständlich klar gemacht, dass Infektionskrankheiten immer die Gesellschaft als Ganzes betreffen und als Public Health-Herausforderungen, nicht nur als Infektionsschutzaufgabe, verstanden werden müssen.

Problematisch ist der Übergang der Epidemiologie nichtübertragbarer Krankheiten vom RKI an das neue BIPAM. Das RKI soll dem Koalitionsvertrag zufolge künftig „wissenschaftlich unabhängig“ arbeiten, das BIPAM wird eine dezidiert politische Behörde. Die Erhebung und Auswertung von epidemiologischen Daten wäre daher besser beim RKI verblieben. Warum die im Aufbau befindliche KI-Abteilung beim RKI verbleibt, ist unklar, vielleicht wird auch sie auf Infektionskrankheiten fokussiert.

Wie schon absehbar, wird das neue Institut aus dem Bestand von BZgA und RKI aufgebaut. Ob damit mehr Power für die Prävention generiert werden kann und eine substanzielle Ressourcenstärkung folgt, bleibt abzuwarten. Der Haushalt des neuen Instituts muss im nächsten Jahr mit dem Finanzminister verhandelt werden – sofern diese Bundesregierung bis dahin noch existiert.

Insgesamt fällt auf, dass die vielen Stellungnahmen der Verbände und Fachgesellschaften praktisch keine Spuren in der Konzeption des neuen Instituts hinterlassen haben. Die Konzeption wurde auch nicht mit den Ländern oder den im Public Health-Bereich aktiven Fachgesellschaften diskutiert. Vielleicht waren vertraulich einzelne Personen eingebunden, aber ein Public Health-Institut hätte man besser nicht in einer Geheimoperation vorbereitet.

Man wünscht dem Errichtungsbeauftragten viel Glück. Möge er das Beste aus der Sache machen, damit es am Ende nicht zu der bitteren Diagnose kommt, Operation geglückt, Patient tot.

Kommentare (60)

  1. #1 Petra Kolip
    Bielefeld
    5. Oktober 2023

    Ein schwarzer Tag für Public Health in Deutschland! Die Trennung von übertragbaren und nicht-übertragbaren Krankheiten, das Zurechtstutzen des RKI auf eine Infektionsschutzbehörde und das Wording (“Vorbeugemedizin”) – all das hat mit Public Health nichts zu tun. Mag sein, dass es den beiden Leitungen Schaade und Nießen gelingt, die Dinge inhaltlich zusammenzuführen, strukturell ist das neue Institut ein sehr großer Rückschritt.

  2. #2 BMK
    Berlin
    5. Oktober 2023

    Dem ist nichts hinzuzufügen. Wie schafft man es eigentlich, sozusagen über Nacht eine so kluge und differenzierte Analyse vorzulegen? Ich habe es gestern Abend mal mit dem von Joseph offerierten Rotwein (Profilbild) versucht, davon wurde ich jedoch nur noch wütender, nicht klüger. Aber wie bekommt man es auch noch hin, diese Analyse möglichst weit zu verbreiten? Ich will nicht gleich von Pflichtlektüre reden, aber es geht alle an, die “Public Health” in den Mund nehmen, vielleicht auch ohne ein Verständnis dafür zu haben, worum es dabei geht. Darum werde ich den Link zu diesem Text in alle Himmelrichtungen verteilen.
    Und was den Schlusssatz betrifft: Es gibt ein Gedicht von Erich Kästner (Hunger ist heilbar), da stirbt der Patient auch nach diversen Operationen. Es endet “Der Chefarzt schluchzte und murmelte dann, ich glaube, er hatte nur Hunger.” Ich hoffe, dass man in unserem Falle wenigstens noch auf die Idee kommt, therapeutisch eine großzügige Finanzspritze zu verordnen, um damit wenigstens einen Gestaltungsspielraum zu eröffnen. So könnte man vielleicht wenigstens ein Dauersiechtum verhindern. Das wäre doch echt mal Prävention in der Medizin.

    • #3 Joseph Kuhn
      5. Oktober 2023

      @ BMK:

      Ich glaube, das mit dem Rotwein funktioniert irgendwie anders. Wuttrinken beruhigt nicht. Aber das muss das neue Institut erst noch im Detail erforschen. 😉

  3. #4 Staphylococcus rex
    5. Oktober 2023

    In einer perfekten Welt hätte man das Problem auch anders angehen können. Man hätte z.B. eine Robert-Koch-Stiftung als Dachgesellschaft gründen können und das bisherige RKI in drei autonome, aber kooperierende Bereiche aufteilen können, in das RKI für Infektionskrankheiten, in ein Public-Health-Institut und in das geplante BIPAM mit Behördenaufgaben. Wichtig wäre, dass eine räumliche Nähe gegeben ist z.B. mit gemeinsamer Kantine/Cafeteria und gemeinsamen Konferenzräumen, damit die Kooperation nicht nur auf offizieller, sondern auch auf informeller Ebene gelebt werden kann.

    • #5 Joseph Kuhn
      5. Oktober 2023

      … eine Robert Koch-Stiftung gibt es bereits.

      In dem Fall sind aber noch mehr ad hoc hingeworfene Ideen nicht hilfreich. Man hätte sich an einer guten Public Health-Strategie orientieren müssen und die Verortung einer neuen Behörde in diesem Rahmen ressortübergreifend und mit den Ländern sowie den Fachgesellschaften abstimmen.

  4. #6 BPR
    5. Oktober 2023

    BIPAM = (BZgA + Abt. 2 des RKI) –>
    das ist die denkbar kleinste Lösung, zunächst nicht mehr als eine Verschiebung in den Organigrammen der beiden Behörden.

    Die gesetzlich vorgegebenen Gesundheitsziele (§ 20 SGB V) oder die Nationale Präventionsstrategie (§ 20d-e SGBV) z.B. finden keine erkennbare Berücksichtigung, insofern ein Rückschritt. Das könnte daran liegen, dass die BZgA mit ihrer per Präventionsgesetz (2015) zugordneten Aufgabe, die GKV als Kompetenzzentrum Prävention zu unterstützen, nicht reüssiert hat. Die mehrphasige Geschichte des Präventionsgesetzes und ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Mai 2021 zur diesbezüglichen Finanzierung der BZgA zeigen, wie schwierig es im föderalen Rechts- und Institutionengefüge ist, Solidarmittel der GKV für primär staatliche (kommunale) Aufgaben der Daseinsvorsorge zu mobilisieren.

    2025 muss nicht nur der Haushalt des BIPAM aufgestellt werden. Es braucht vor allem ein Errichtungsgesetz, schon wegen der vorgesehenen Personalüberleitung. Anliegen aller Interessierten (@BMK #1) muss sein, in diesem Gesetz eine besser mit essenziellen Public-Health-Zielen zu vereinbarende Aufgabenbeschreibung zu verankern.

  5. #7 Thomas Altgeld
    Hannover
    5. Oktober 2023

    Schlimmer geht eben immer! Das RKI zu zerschlagen um sich Altherrenträume einer vorbeugenden Medizin zu erfüllen, ist einfach nur ein Skandal. Vorbeugende Medizin wäre eine tolle Überschrift über alle Reformgesetze, die der Minister ansonsten gerade angeht. Aber an den teuren Stellschrauben des Versorgungsgeschehens darf nicht gedreht werden! Wie man 2023 den paternalistischen Aufklärungsbegriff in einem Institutsnamen noch verankern kann, ohne sich für diese Übergriffigkeit zu schämen, darüber würde ich sehr gerne aufgeklärt!

  6. #8 susanne moebus
    essen
    5. Oktober 2023

    Ich stimme Petra Kolip und Thomas Altgeld (und natürlich Joseph Kuhn und den anderen) voll zu. Ich bin froh, dass ich zuerst die sachlichen Kommentare gelesen habe. Bei dem, was in der Pressekonferenz verkündet wurde, hätte ich meinen Unmut nicht zurückhalten können.
    Ja, Prävention ist wichtig, aber mit Aufklärung und dann noch Aufklärung in der Medizin (was immer das dann ist)? Himmel, ist denn gar nichts gelernt worden? Ein beängstigender Rückschritt. Es scheint, als seien die zahlreichen Vorschläge der PH Expertinnen und Experten völlig ignoriert worden. Damit wurde nicht nur die Chance verpasst, ein Public Health System in Deutschland auf den Weg zu bringen, sondern im Gegenteil: So werden wir den Herausforderungen des Klimawandels und neuer Pandemien nicht gewachsen sein – und wir können jetzt schon absehen, wer wie immer auf der Strecke bleiben wird.

    Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie der neue Präsident und der “Erstellungsbeauftrage” diese Situation korrigieren können. Ich wünsche ihnen natürlich alles Gute.

    Die Public Health Community in Deutschland muss sich aber dringend Gedanken machen, wie sie mit dieser merkwürdigen Entwicklung umgehen kann und soll. Noch wichtiger erscheint mir die Frage, wie wir unser ganz anderes Verständnis von Gesundheit und unsere evidenzbasierten Konzepte zur Förderung und Verbesserung von Gesundheit endlich in die politischen Entscheidungsprozesse, d.h. an die Schaltstellen der Macht, einbringen können. Sonst bleiben unsere Bemühungen nett, aber wirkungslos, oder?

  7. #9 Staphylococcus rex
    5. Oktober 2023

    Ein Blick auf das aktuelle Organigramm des RKI zeigt, wie überladen die Organisationsstruktur mittlerweile ist:
    https://www.rki.de/DE/Content/Institut/OrgEinheiten/Organigramm_PDF.pdf?__blob=publicationFile
    Eine Umstrukturierung, damit die einzelnen Bereiche weiter wachsen und sich profilieren können, erscheint mir durchaus sinnvoll. Abt. 1,3 und ZBS wären z.B. als Kern-RKI zu interpretieren, während Abt. 2 und ZIG eher dem public Health Bereich zuzuordnen wären. Wichtig wäre es aus meiner Sicht, die Kooperation der Bereiche unter einem gemeinsamen Dach zu erhalten, unabhängig davon, welchen Namen das endgültige Konstrukt hat. Der Einwurf mit einer Robert-Koch Stiftung war ein Schuss ins Blaue, viel wichtiger ist mir die Aussage, dass das RKI eine Umstrukturierung benötigt und keine Zerschlagung.

  8. #10 Jakob Schumacher
    5. Oktober 2023

    Eine kleine Korrektur: Innerhalb des RKI wird kommuniziert, dass auch das BIPAM “weisungsungebunden” arbeiten soll. Wie auch immer das am Ende gelebt werden wird.

    • #11 Joseph Kuhn
      5. Oktober 2023

      @ Jakob Schumacher:

      Man wird abwarten müssen, was dazu im nächsten Jahr im Errichtungsgesetz des BIPAM-bipam-BiPAM steht.

      Im Koalitionsvertrag ist erst mal nur notiert, dass das RKI künftig wissenschaftlich unabhängig arbeiten soll – was auch immer das konkret im Unterschied zu heute bedeuten mag.

  9. #12 Jakob Schumacher
    Berlin
    5. Oktober 2023

    Und vielleicht noch eine kleine Ergänzung: Die Projektleute Burden of Disease messen etwa 68 % für die drei genannten Krankheitsgruppen – gemessen in YLL (https://www.daly.rki.de/treemap).

  10. #13 Joseph Kuhn
    5. Oktober 2023

    Kommentarflut

    Über Medienresonanz kann sich Karl Lauterbach nicht beschweren. Praktisch alle großen Medien berichten über seine Pläne.

    Es gibt inzwischen auch schon eine ganze Reihe von einordnenden Kommentaren. Lesenswert z.B. Thomas Trappe bei Tagesspiegel Background – mit einigen Stimmen aus der Politik, leider hinter der Paywall; pointiert kritisch Berit Uhlmann in der Süddeutschen; kürzer Katharina Wabnitz vom Centre for Planetary Health Policy (CPHP); und recht positiv bewertend Thomas Hommel in der Ärztezeitung.

  11. #14 Joseph Kuhn
    6. Oktober 2023

    Ein BIPAM andernorts zur Inspiration:

    https://www.bipam.org/

  12. #15 zimtspinne
    7. Oktober 2023

    Da bin ich ja gespannt, ob sich Herr Lauterbach und das neue Bundesinstitut dann verstärkt mit den Lobbys rumschlagen wird: Tabaklobby, Zuckerlobby, Alkohollobby, Fleischlobby, Agrarlobby…

    Bei den Selbstverpflichtungen wird es wohl nicht bleiben können, Herr Lauterbach.
    Die haben noch nie funktioniert und werden es auch in Zukunft nicht tun.

    Auf der anderen Seite steht die Pharmalobby in den Startlöchern, was man ja auch als Präventionsmaßnahme abrechnen könnte…

    https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/abnehm-spritze-wegovy-100.html

    Die Pläne (oder war es einfach nur eine kurze schräge Idee?), die Mehrwertsteuer auf Gemüse und Obst zu senken, wurden ja schon lange wieder begraben.

    Wie soll man das ganze Projekt “Prävention” also überhaupt ernstnehmen, als einfacher Bürger?
    Zum Narren gehalten fühlt man sich bei den drei Hauptbetätigungsfeldern, vor allem bei zweien davon: Demenz, Krebs. Nicht euer Ernst…!?

  13. #17 Neumann
    8. Oktober 2023

    Herr Lauterbach hat schon einmal die Bundesfamilienministerin Lisa Paus beeindruckt, die führt in Berlin die Mental Health Coaches ein, die sind dann für die seelische Gesundheit zuständig.
    Mit BIPAM tut er dagegen seinen Zielen keinen Gefallen, der Name ist nicht werbewirksam.
    Wenn er internatonal ein Trendsetter werden will, dann braucht es schlagkräftigere Bezeichnungen. Oder will er gerade das Gegenteil, nämlich im Hintergrund bleiben, wenn die Daten der Patienten an die Pharmaindustrie weitergereicht werden.

  14. #19 Neumann
    8. Oktober 2023

    “Tun was hilft”, darum geht es , es geht aber auch um den wirtschaftlichen Umgang mit Steuergeldern.

    Mit der Schaffung eines neuen Bundesinstitutes ist nicht garantiert, dass das “hilft” . Mit der Schafftung von Coaches ist nicht garantiert, dass die Schüler jetzt besser behütet sind.
    Beide Maßnahmen sind der politischen Öffentlichkeitsarbeit zuzuordnen. 10 Millionen für 100 Schulen, das sind 100 000 € pro Schule oder 1 Coach für 2 Jahre.
    Und wenn der Coach nur eine Delegierter ist, der schon vorher ein Sozialarbeiter war, dann ist das nur “Getue” auf höchster Ebene.

    • #20 Joseph Kuhn
      8. Oktober 2023

      @ Neumann:

      “100 000 € pro Schule oder 1 Coach für 2 Jahre”

      Eher 1 Coach für ein Jahr. Lt. BMFSFJ sollen “Fachkräfte aus den Bereichen Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Psychologie” eingesetzt werden. Dabei ist nicht ein Nettogehalt zu kalkulieren, sondern Personalvollkosten – je nach Ausgangsqualifikation zwischen 90.000 und 130.000 Euro.

      In einigen Bundesländern werden “Schulgesundheitsfachkräfte” eingesetzt. Vielleicht hätte man besser dieses Modell entsprechend angepasst? Aber die Politik will immer etwas Neues vorzeigen. Das wird erprobt, erfolgreich evaluiert und dann durch das nächste neue Modell abgelöst.

  15. #21 Neumann
    8. Oktober 2023

    Die Zeit heilt alle Wunden. In zwei Jahren wird es Herrn Lauterbach als Minister nicht mehr geben und Frau Paus als Ministerin auch nicht mehr.
    Die Betroffenen, die werden dann von den neuen Ministern wieder evaluiert und so erhält sich das System am Leben.
    Mal sehen, was die Landtagswahlen machen.

  16. #22 Joseph Kuhn
    9. Oktober 2023

    Diskussion bei der Ärztezeitung

    Die Ärztezeitung hat ihre Leser:innen zu einer Diskussion aufgerufen:

    “Ein neues Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ablösen und dazu beitragen, die Prävention zu stärken. Was halten Sie davon? Machen Sie mit bei unserer Frage der Woche!”

    https://www.aerztezeitung.de/Politik/Was-halten-Sie-davon-dass-es-ein-neues-nationales-Praeventions-Institut-geben-soll-443522.html

    Leider kann man ohne Account nicht teilnehmen. Das sollte noch freigeschaltet werden, schließlich geht es um die “öffentliche” Gesundheit.

  17. #23 Staphylococcus rex
    9. Oktober 2023

    Das Ärzteblatt äußert sich zum BIPAM bisher sehr zurückhaltend:
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146397/Neues-Bundesinstitut-aus-RKI-und-BzgA-soll-Praevention-staerker-adressieren
    Eine Diskussion findet dort nicht mehr statt, die Kommentarfunktion wurde dort endgültig deaktiviert.

    Wenn Herr Lauterbach bei Krebs, Demenz und HK-Erkrankungen die Lebenserwartung verbessern möchte, braucht er kein spezielles Institut für die Identifizierung der größten Risikofaktoren: Alkohol, Nikotin, Fehlernährung und Bewegungsmangel. Als Gesundheitsminister wäre er auch an der richtigen Schaltstelle, um mit staatlichen Maßnahmen auf diese Risikofaktoren einzuwirken:
    1. Erhöhung der Steuern auf Alkohol und Nikotin
    2. Reduzierung der ubiquitären Verfügbarkeit von Alkohol und Nikotin, z.B. durch ein Verkaufsmonopol von speziellen Liquor-Stores (mit begrenzten Öffnungszeiten) und ein Verbot von Zigarettenautomaten.
    3. Verbot von Einweg-Vaporizern als Einstieg für Jugendliche (auch aus ökologischen Gründen).
    4. Werbeverbot für alle industriell hergestellten Lebensmitte mit der Zielgruppe Kinder und Jugendliche.
    5. Ein Förderprogramm für Schulsport und Sportvereine für Kinder und Jugendliche.
    6. … (sicher gibt es weitere gute Vorschläge)
    Das Problem dabei ist, all diese Vorschläge kosten Geld oder sind Eingriffe in die freie Marktwirtschaft, Ärger mit der FDP ist vorprogrammiert.

    Mir ist nicht ganz klar, was Herr Lauterbach mit einem neuen Institut bezwecken möchte, wenn er die offensichtlichen Lösungsansätze aktiv vermeidet. Will er damit sein Nichtstun überdecken oder ist das neue Institut sein Plan B, wenn er bei der nächsten Bundestagswahl sein Mandat verliert und eine weiche Landung sicherstellen möchte?

    PS: eine kurze Internetrecherche zeigt zwar Aktivitäten bei der Förderung des Spitzensports; die Förderung von Schul- und Breitensport läuft fast ausschließlich über Länder und Kommunen:
    https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sport/nationale-sportpolitik/foerderung-spitzensport/foerderung-sportverbaende/foerderung-sportverbaende-node.html

    • #24 Joseph Kuhn
      9. Oktober 2023

      😉

  18. #25 Richard
    9. Oktober 2023

    ich weiß nicht, warum an dem BIPAM so herumgemäkelt wird. Dieses neumodische Public Health brauchen wir nicht, gab es doch einmal eine erfolgreiche “Trimm Dich-Bewegung”, mit der wir jetzt wieder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Demenz besiegen können.
    (Vorsicht Ironie…)

  19. #26 Staphylococcus rex
    9. Oktober 2023

    Ich habe die Dysfunktionalität der Ampel unterschätzt:
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/146474/Drogenbeauftragter-FDP-kippt-Lauterbachs-Plaene-fuer-Rauchverbot-im-Auto
    Nicht einmal eine Selbstverständlichkeit bei der Rücksichtnahme auf Kinder ist in Deutschland umsetzbar.

  20. #27 zimtspinne
    9. Oktober 2023

    @ Rex

    Lebenserwwartung bei diesen Krankheiten hängt doch eher dann von Behandlungsoptionen und -qualität ab?

    Wobei ich bei Demenz nicht besonders im Thema bin, mein letzter Stand war: Behandlungsoptionen halten sich in Grenzen, Prävention und Früherkennung… dafür müsste man erstmal die Ursachen und Risikofaktoren *wirklich* kennen.

    Bei Krebs hat das einen unanangenehmen Beigeschmack, da viele das auch als Schuldzuweisung betrachten könnten. Das ist ja schon das Spezialgebiet der Alternativen….

    Man weiß da eigentlich auch noch sehr wenig.
    Ausnahme: Lungenkrebs, weil dort der Zusammehang derart offensichtlich und ja auch reichlich belegt ist.

    Bei Brustkrebs wiederum ist die Wirksamkeit von Sport als Rezidivprävention sehr gut belegt – so gilt Sport als ebenso wichtige und wirksame Säule wie medikamentöse Behandlungen (Antihormontherapie etc).

    Ansonsten gilt für Krebs, was doch für die meisten anderen Krankheiten gilt: die bekannten Risikofaktoren (die du auch nennst) reduzieren oder vermeiden, gesundheitsförderlicher Lebensstil.
    Ok, respektvorller Umgang mit der Sonne in Bezug auf Hautkrebs könnte man noch extra erwähnen. Dort findet aber auch seit Jahren sehr viel Aufklärung statt.

    Nur bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten sehe ich wirklich sehr viel Potential und Luft nach oben.
    Nahezu jeder in jedem Alter in jedem Allgemeinzustand mit jeder Grunderkrankung kann dort immer was verbessern. Nicht heilen oder verhindern, aber verbessern.
    Ja, auch mit 101 im Pflegeheim. Gerade dort ist es sogar ziemlich wichtig.

  21. #28 zimtspinne
    9. Oktober 2023

    Ich verstehe auch nicht, warum die Krebskranken so oft gerade von den Gesundheitsministern eins auf die Mütze (haha) bekommen…. aber die nehmen es meistens mit Humor. Was bleibt ihnen auch übrig und sie haben andere Probleme als sich über Gesundheitsminister ärgern.

  22. #29 zimtspinne
    9. Oktober 2023

    Nachtrag-
    Letztes ging @ JK (Spahn)

    Ich maße mir auch nicht an, zu wissen, was die Krebsler bewegt und ärgert… musste nur an eine ellenlange Liste denken, die sie mal zusammengestellt hatten (über Jahre).
    Sinngemäß: “Sprüche, die ihr nicht mehr hören könnt/euch so richtig sauer machen”.

    Da war alles mögliche dabei, aber erstaunlicherweise nicht der Spahn mit seinem Spruch. Vom Umfeld scheint man deutlich mehr zu erwarten als von Politikern… an die hat man erst gar keine großen Erwartungen, was Verhalten angeht. Denke ich mir mal so 😉

  23. #30 Staphylococcus rex
    9. Oktober 2023

    @ Zimtspinne, ich arbeite im Krankenhaus und viele der schwer kranken unter 70-jährigen Patienten haben eine Vorgeschichte mit Nikotin und/oder Alkohol. Wir müssen alle irgendwann einmal sterben, aber der Zeitpunkt, wann Multimorbidität und Tod eintreten, kann durch die von mir genannten Risikofaktoren deutlich beeinflusst werden. Eine staatliche Reglementierung der Noxen (und Suchtmittel) Nikotin und Alkohol ist eine unschlagbar billige Methode, die Lebenserwartung zu verbessern.

    Selbst Fehlernährung (den Überkonsum von Fett, Zucker und Salz) und Bewegungsmangel könnte man im weiteren Sinne als Suchtproblematik bezeichnen. Das ist ja die Crux mit der Prävention, eigentlich wissen wir alle, was uns nutzt und was uns schadet, warum wohl ist es so schwer, sich im Alltag daran zu halten? Ich will hier auch nicht mit Steinen auf Andere werfen, in meinem eigenen Präventionsverhalten ist durchaus Luft nach oben 😉

  24. #31 uwe hauptschueler
    9. Oktober 2023

    eigentlich wissen wir alle, was uns nutzt und was uns schadet

    Nee, wissen wir nicht. Die meisten Krebsscreenings sind nutzlos, werden aber trotzdem propagandiert. Vgl. https://www.hardingcenter.de/de/transfer-und-nutzen/unstatistik-des-monats
    Ob ich meine Lebenserwartung mit Spaß auf 75 Jahre reduziere oder ohne Spaß auf 85 Jahre erhöhe würde ich schon ganz gerne selber entscheiden.

    • #32 Joseph Kuhn
      9. Oktober 2023

      @ uwe hauptschueler:

      “Die meisten Krebsscreenings sind nutzlos”

      Das ist eine mutige Aussage. Die Metaanalyse, auf die sich die “Unstatistik des Monats” bezieht, lässt diesen Schluss nicht wirklich zu. Sie konnte lediglich mit Blick auf die Gesamtsterblichkeit keine Effekte nachweisen, das ist etwas anderes, als der Nachweis, dass es keine Effekte gibt. Die Kommentare zur Studie sind ganz interessant.

      “Ob ich meine Lebenserwartung mit Spaß auf 75 Jahre reduziere oder ohne Spaß auf 85 Jahre erhöhe würde ich schon ganz gerne selber entscheiden.”

      Das dürfen Sie ja auch. Ein Screening-Angebot ist ein Angebot, keine Pflicht.

  25. #33 PDP10
    9. Oktober 2023

    @uwe hauptschueler:

    “Screening” ist aber nicht das gleiche wie Vorbeugung bzw. Prävention. Was man tun kann um das Risiko für Krebs-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw. zu senken ist inzwischen mehr als gut erforscht.
    Natürlich liegen dabei auch die falsch, die glauben, dass man durch das “richtige Verhalten” jegliche Erkrankung vermeiden kann. Insbesondere natürlich diejenigen, die dann sagen: “Hättste mal dieses oder Jenes gemacht / nicht gemacht, dann wär das nicht passiert”. Man kann halt nur das Risiko senken. Bei all dem spielt eben auch der Zufall eine nicht zu unterschätzende Rolle.

    Unterm Strich ist es aber, wie gesagt, keine Frage, dass das sein lassen von bestimmten Verhaltensweisen oder das annehmen von anderen dazu bei trägt rein statistisch bessere Chancen auf ein gesünderes und längeres Leben zu haben. Die Studien zu solchen Fragen der Prävention sind inzwischen Legion.

    Allerdings sollte man IMHO Vorschläge im Krankenversicherungs-System oder generell im Gesundheitssystem bestimmte Verhaltensweisen zu belohnen oder Andere mit einem Malus zu belegen mit äusserster Skepsis betrachten. Da eben auch immer der Zufall eine Rolle spielt – und natürlich auch die persönliche Entscheidungsfreiheit eines erwachsenen Menschen, finde ich persönlich das ethisch mindestens fragwürdig.

  26. #34 uwe hauptschueler
    10. Oktober 2023

    Sie konnte lediglich mit Blick auf die Gesamtsterblichkeit keine Effekte nachweisen, das ist etwas anderes, als der Nachweis, dass es keine Effekte gibt.

    Würde als Argument für Homöopathie hier wohl nicht ernst genommen.
    Wenn die Effekte unter der Nachweisgrenze liegen, dann wird da Geld der Versicherten rausgeschmissen.
    An evidenzbasierter Medizin habe ich höhere Ansprüche.

    eigentlich wissen wir alle, was
    uns nutzt und was uns schadet

    Ein anderes Beispiel. Von cholesterinhaltige Lebensmitteln wird immer noch abgeraten.

    Nach derzeitigem Wissensstand gibt es jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass durch das Nahrungscholesterin der Blutcholesterinspiegel und das Herz-Kreislauf-Risiko steigen. Entsprechend stuft auch das Dietary Guidelines Advisory Committee des US-Gesundheitsministeriums Cholesterin aktuell nicht mehr als gefährlichen Nahrungsmittelbestandteil ein und hat die bisherige tägliche Höchstdosis von 300 Milligramm aufgegeben.

    Q.:htttps://www.seca.com/de_ch/unternehmen/stories/details/article/cholesterin-darf-ich-eier-essen-und-wenn-ja-wie-viele.html
    Die Empfehlungen für eine gesunde Lebensführung sind oft nicht viel wert.

    • #35 Joseph Kuhn
      10. Oktober 2023

      @ uwe hauptschueler:

      “Würde als Argument für Homöopathie hier wohl nicht ernst genommen”

      So ist es. Das hat mit der Gesamtheit des Hintergrundwissens und der Studienlage zu tun, oder statistisch gesprochen, mit der a priori-Wahrscheinlichkeit eines Effekts.

      Ein Beispiel: Wenn man beim Durchstreifen eines Waldstücks in Brandenburg keinen Löwen sieht, wird man mit mehr Berechtigung darauf schließen dürfen, dass da kein Löwe ist, als nach dem ergebnislosen Durchstreifen eines Waldstücks in Afrika.

      Oder direkt zur fraglichen Metaanalyse: Für sichtbare Effekte auf die Gesamtsterblichkeit sind vermutlich u.a. die Einzelstudien nicht groß genug gewesen (ich habe mir diese Studien aber nicht angesehen).

      “Wenn die Effekte unter der Nachweisgrenze liegen, dann wird da Geld der Versicherten rausgeschmissen.”

      Im Prinzip richtig. Aber man muss eben dabei beachten, dass die “Nachweisgrenze” von den Nachweismethoden und von der Datenlage abhängt. Auch die Suizide liegen, bezogen auf die Gesamtsterblichkeit, unter der “Nachweisgrenze”: Wenn es keine Suizide gäbe, würde sich die Gesamtsterblichkeit in einer Stichprobe von, sagen wir mal, 100.000 Personen und einem Signifikanzniveau von 95 % nicht signifikant verändern. Wäre demnach eine Prävention, die alle Suizide verhindert, rausgeschmissenes Geld?

      “An evidenzbasierter Medizin habe ich höhere Ansprüche.”

      Hohe Ansprüche sind gut, aber man sollte keine überzogenen Ansprüche stellen, sonst landet man beim Denialismus und den dort regelmäßig eingeforderten unerfüllbaren Erwartungen.

      “Die Empfehlungen für eine gesunde Lebensführung sind oft nicht viel wert.”

      Alte Weisheit: das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es kommt darauf an. Nicht rauchen, nicht zu viel Alkohol, ausreichend Bewegung usw. sind Empfehlungen mit bester Evidenz. Dafür bräuchte man in der Tat kein BIPAM.

      Auf der anderen Seite fehlt es oft an Daten, die eigentlich selbstverständlich vorliegen sollten, z.B. Daten zur Entwicklung des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft oder repräsentative Daten zu Suizidversuchen. Braucht man dafür ein BIPAM? Oder hätte das das RKI einfach mitmachen können? Fehlt es eher an einem umfassenden Public Health-Konzept und daraus abgeleiteten Surveillance-Aufgaben als an einem BIPAM?

  27. #36 zimtspinne
    10. Oktober 2023

    Ob ich meine Lebenserwartung mit Spaß auf 75 Jahre reduziere oder ohne Spaß auf 85 Jahre erhöhe würde ich schon ganz gerne selber entscheiden.

    Beziehst du das allein auf Krebsscreening?
    Also besser unbeschwert mit einem langsam-wachsenden low-grade Tumor sein Leben genießen als um die bösartigen Zellentartungen zu wissen?

    Kann man so sehen und machen, hängt dann auch vom Lebensalter, Krebsart, genetischen Faktoren ab.

    Bei einem Raucher mit Verdacht auf Lungenkrebs ist das in keinem Fall eine gute Idee. Über einen frühzeitigen Zufallsbefund sollte man glücklich sein, ungeschehen zu machen, ist der ohnehin nicht mehr.

    Du solltest dann also genaugenommen nicht nur Krebsfrüherkennung scheuen, sondern (als Raucher) auch sämtliche Kontrolluntersuchungen, von Blutentnahme über Lugenfunktionstest bis Röntgen.
    Bei allem könnte sich das Unheil zeigen.
    Also lieber Kopf in den Sand und Leben genießen?

    Problem ist auch bei bösartigen Zellwucherungen, dass sich die Tumorbiologie jederzeit komplett ändern und von zurückhaltend in hochaggressiv umschlägt. Ist bei einigen Krebsarten nicht so wahrscheinlich wie bei anderen. Von Metastasen, die in der Lebengenießezeit, entstehen können, noch gar nicht zu reden. Mit Organmetastasen ist nicht zu spaßen.

    Ist ja nicht so, dass du dann mit 75 glücklich gelebt schnell und zufrieden stirbst. Dann stehst oder liegst du da mit all den zerfressenen Organen und hast evtl noch eine längere Leidenszeit vor dir.
    Immerhin hast du dich davor nicht verrückt gemacht. Ist ja auch was wert.

    Ich finde deinen Spruch (den man ja öfter hört) aber nicht nur in Bezug auf Schönreden des Lebensendes (nach einem Leben voller Tabak, Alkohol, Chips, Schokolade, Schweinsbraten und Mikrowellenessen samt dazugehöriges Couching) problematisch.

    Es suggeriert auch, dass “Genuss”-Mittel glücklich und Spaß machen, auf der Couch sitzen und Chips futtern ebenfalls — draußen in der Natur sich bewegen, Gartenarbeit, Radfahren oder sonstiger Lieblingssport sowie frisch zubereitetes Essen aus überwiegend ernährungsphysiologisch hochwertigen Zutaten (dazu gehört sogar Fleisch!) keinen Spaß machen.

    Das ist grundfalsch.
    Rauchen und täglich ein halber Kasten Bier machen vielleicht die ersten Jahre Spaß, wenn der Körper und Geist noch gut kompensieren können.
    Irgendwann schlägt das aber um.
    Gilt auch für das von S. rex angesprochene suchtartige Futtern.
    Wenn die Knochen immer steifer werden und man sich vor lauter Körperfülle immer weniger bewegen kann, bleibt einem dann auch zwangsläufig nicht mehr viel übrig, als seine Tage auf der Couch zu verbringen.

    Man muss es ja nicht übertreiben und bis zur Orthorexie, Sportsucht und Selbstoptimierungswahn treiben.
    Einfach das Pareto-Prinzip (das mir schon lange bei Perfektionismus und Verzettelei hilft) auf Gesundheitsmanagement anwenden und es sollte passen.

  28. #37 Staphylococcus rex
    10. Oktober 2023

    @ uwe hauptschueler, der Begriff Prävention zielt eher auf die Verhinderung bzw. Vermeidung von Krankheiten, ob die Früherkennung zur Prävention gehört, bin ich mir nicht sicher. Streng genommen gehört die Früherkennung als erster Schritt zu einer frühzeitigen Therapie einer bereits bestehenden Krankheit.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4vention
    https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BCherkennung_von_Krankheiten

    Was Alkohol und Nikotin betrifft, ich habe bewußt das Konzept der Reglementierung und nicht das des Verbots gewählt. Eine Reglementierung bedeutet Werbeverbot und Zugangsbeschränkungen (zeitlich, räumlich, für Altersgruppen). Ein Verbot hat eine hohe Schutzwirkung, aber es hat auch Kollateralschäden wie Eingriffe in die Freiheitsrechte und die Aktivierung von Umgehungsmechanismen. Das Alkoholverbot in den USA (Prohibition) hatte einen erheblichen positiven Einfluss auf Arbeitsunfälle und Gesundheitsschäden durch Alkohol, es war aber auch das ultimative Konjunkturprogramm für die organisierte Kriminalität. Eine Reglementierung schafft eine kleine Hürde, um der betroffenen erwachsenen Person Zeit zu geben, um über die Notwendigkeit und das Ausmaß des Konsums nachzudenken. Einige Personen nutzen diese Denkpause und andere nicht. Eine gute Aufklärung kann dabei sicher die positiven Effekte einer Reglementierung verstärken. Politik ist halt die Kunst des Machbaren.

    @ zimtspinne, der Hinweis auf die Prävention von UV-Strahlung ist natürlich berechtigt. Die von mir genannten Risikofaktoren (Alkohol, Nikotin, Fehlernährung, Bewegungsmangel) laufen etwas außer Konkurrenz, weil praktisch die gesamte Bevölkerung erheblich davon betroffen ist. Bei den meisten anderen Risikofaktoren muss dagegen unterschieden werden, ob es sich um Risikofaktoren mit geringem Einfluss für die gesamte Population handelt oder um Risikofaktoren mit hohem Einfluss für eine spezielle Risikogruppe (siehe auch den Wikipedia-Artikel). Bei der UV-Strahlung wären Kinder die eine Zielgruppe mit einem niedrigen individuellen Krebsrisiko und andererseits “Sonnenanbeter” die andere Zielgruppe als spezielle Risikogruppe mit einem hohen Individualrisiko. Beide Gruppen erfordern jeweils eine andere Herangehensweise.

    Sobald wir bei Risikofaktoren mit niedrigem Individualeffekt oder speziellen Risikogruppen sind, macht eine wissenschaftliche Erforschung und Auswertung der getroffenen Maßnahmen z.B. in einem BIPAM auch Sinn. Im Augenblick macht Herr Lauterbach den zweiten Schritt (Gründung des BIPAM) vor dem ersten (der Bekämpfung der wichtigsten Risikofaktoren).

  29. #38 zimtspinne
    10. Oktober 2023

    @ S. rex
    (ich hoffe, meine Abkürzungen deines nicks sind für dich i.O.)

    Zu deinem ersten Teil Früherkennung:

    Fällt der Befund negativ aus, ist es Prävention.
    Ist er positiv, dann Früherkennung und damit bereits Teil der Therapie.
    Ist jetzt nur meine Idee, wahrscheinlich ist es offiziell ganz anders. 😉

    Von Rezidivprävention spricht man ja auch (offiziell).
    Also bei Erkrankungen, die in Schüben auftreten, öfter mal wiederkommen ohne Plan (da hatten wir hier ja mal die Blasenentzündung) und bei Krankheiten, die (erstmal) zum Stillstand gekommen sind.

    Bei Krebserkrankungen wird dann unter bestimmten Voraussetzungen auch von Heilung gesprochen. Gleichzeitig aber auch von Prävention…. oder gar erneuter Früherkennung?
    Nach dem Krebs ist vor dem Krebs.

    Ich fand das schon immer verwirrend bei psychischen Erkrankungen, dass dort so unterschiedliche Begriffe für “Stillstand” existieren.

    Bei Alkoholkrankheit gibt es allein mindestens drei Begriffe, von Heilung wird dort -glaub ich- nie gesprochen.
    Bei Drepression spricht man von Rezidiven, Schüben und Episoden, von Heilung und Stillstand wohl auch.
    Ob es dort auch den bei Krebs vorkommenden Begriff “stable disease” gibt, weiß ich nicht.
    Finde aber, das würde auch passen für manche Fälle.

    Bei Essstörungen wiederum wird nix und alles davon wild durcheinander verwendet. Streng genommen müsste dort alles gelten, was für substanzabhängige Erkrankungen wie Alkohol und Medikamente auch gilt.

    Es ist kompliziert.

    Prävention bedeutet -für mich- jedenfalls nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und dass das so bleibt.
    Sondern eben auch bestehende Krankheiten zu managen.
    Also Rezidive, Schübe verhindern, Verschlimmerung zu verhindern oder rauszuschieben, eine Verbesserung oder Stabilität erreichen.

    Dann gäbe es noch Dinge wie Sturzprävention, was sehr allgemeingültig ist. Aber deshalb fällt es keinesfalls unter die Unwichtigeitsgrenze.

    uwe Hauptschüler scheint bei diesem Begriff eher nur an Gesundheitsapostelei und Versauen der guten Laune zu denken.

    Kein Mensch kann das eigentlich ernst meinen, dass man lieber 75 Jahre (was dann in der Realität eher nur 50 – 70 sind) alles macht, was einem in dem Moment Spaß macht, ohne jemals an die Folgen, Spätfolgen und Konsequenzen zu denken.
    Ich finde so ein Denken ehrlich gesagt ziemlich kindisch und dazu auch noch realitätsfremd.

    Nicht jeder ist berühmter Rocker und kann sich so einen Lebensstil leisten, in jeder Hinsicht 😉

  30. #39 uwe hauptschueler
    10. Oktober 2023

    @Kuhn #35

    Wäre demnach eine Prävention, die alle Suizide verhindert, rausgeschmissenes Geld?

    Eindeutig ja. Es ist ein gutes Beispiel für:

    keine überzogenen Ansprüche stellen, sonst landet man beim Denialismus und den dort regelmäßig eingeforderten unerfüllbaren Erwartungen.

    In Anlehnung an Justus Liebigs Minimumtonne könnte o.g. Bundesinstitut versuchen zu ermitteln wo die begrenzten Mittel am sinnvollsten eingesetzt werden. Viele Ärzte zu haben, wie früher im Ostblock, garantiert noch keine hohe Lebenserwartung, ebenda.

    nicht zu viel Alkohol

    Auch geringe Mengen sind der Gesundheit abträglich.

    • #40 Joseph Kuhn
      10. Oktober 2023

      😉

  31. #41 Joseph Kuhn
    10. Oktober 2023

    Stellungnahme der Fachgesellschaften

    Heute haben die beiden für das Thema wichtigsten Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Public Health und die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, eine gemeinsame Stellungnahme zum BIPAM abgegeben.

    Ein Kernsatz daraus:

    “Wenn dies so umgesetzt würde, dann wird sich an den wesentlichen Ursachen von Krankheit und Tod nichts ändern. Viele Ursachen für Krankheit und Tod liegen nicht im unmittelbaren Einflussbereich des medizinischen Versorgungssystems, sondern in gesundheitsschädlichen Umwelt- und Lebensbedingungen, die auch das Gesundheitsverhalten wesentlich bestimmen.”

    Es drohe sogar “ein Rückschritt”.

    Die Ärztezeitung hat die Stellungnahme unter der Überschrift “Public-Health-Fachleute rüffeln Lauterbachs BIPAM-Pläne” aufgegriffen.

    In der Ärztezeitung wird auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Andrew Ullmann zitiert. Der, so die Ärztezeitung, “warnte vor zu viel Macht für das neue Institut. Das BIPAM dürfe kein ‘Besserwisserinstitut’ werden. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte vor Ort müssten einbezogen werden. Ullmann behauptete sogar, eine Einrichtung wie das BIPAM sei im Koalitionsvertrag gar nicht vorgesehen.”

    Im Prinzip stimmt das. Der Koalitionsvertrag sieht ein “Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit” vor, kein BIPAM. Aber jetzt haben wir nun mal den Salat und man wird sehen müssen, wie man das Beste daraus macht. Oder, um im Bild zu bleiben: So manches ertragreiche Feld wurde mit Mist gedüngt.

  32. #42 Neumann
    12. Oktober 2023

    Bis jetzt gibt es keine Postanschrift für das BIPAM, noch ist nicht bekannt, in welcher Stadt es angesiedelt wird, vielleicht Köln ? Man weiß auch nicht , wo der Errichtungsbeauftragte wohnen wird.

    • #43 Joseph Kuhn
      12. Oktober 2023

      Woher wissen Sie das alles, oder besser, glauben Sie das zu wissen?

  33. #44 Neumann
    12. Oktober 2023

    Die Recherche hat keine Ergebnisse gebracht.

    • #45 Joseph Kuhn
      12. Oktober 2023

      Nicht immer ist die Grenze Ihres Wissens auch die Grenze des Wissens der Menschheit.

  34. #46 Neumann
    12. Oktober 2023

    Das will ich doch hoffen!

  35. #47 Joseph Kuhn
    13. Oktober 2023

    Unschärfen mit Gestaltungspotential?

    Vieles ist beim neuen Bundesinstitut noch unklar. Gegenüber der reichlich antiquiert ausgefallenen Ankündigung durch Lauterbach auf der Bundespressekonferenz war die Pressemitteilung des BMG deutlich offener angelegt.

    Das Ärzteblatt hebt heute ebenfalls Hinweise auf einen breiteren Handlungsrahmen hervor:

    “Als weitere Themen werde sich das BIPAM dem Gesundheitsschutz im Klimawandel besonders beim Thema Hitzeschutz sowie die Gesundheit von Kindern nach der Pandemie widmen. Auch solle das Institut eine Vernetzung mit den Public-Health-Instituten anstreben.”

    Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, wird im Ärzteblatt mit Blick auf Gestaltungsmöglichkeiten zitiert. Der sehe in dem Vorhaben einen

    “fachlich richtigen Ansatz, um die Lücke in der Prävention der nicht übertragbaren Krankheiten zu füllen. Allerdings müssen wir uns bei der konkreten Ausgestaltung noch einigen”

    Möge das BMG bei dieser “konkreten Ausgestaltung” mehr auf guten Rat aus der Fachwelt hören als bei der Vorbereitung der Eckpunkte.

    Recht kritisch hat, ebenfalls heute, Michael Schmedt, Chefredakteur des Ärzteblatts, die Causa BIPAM kommmentiert, mit Bedenken, wie sie ähnlich auch hier im Blog formuliert wurden, z.B. was die ungute Nähe von epdidemiologischer Aufgaben und politischer Kampagnen angeht.

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  36. #48 Joseph Kuhn
    27. Oktober 2023

    Stellungnahme der DGÖG

    In den nächsten Wochen wird es einige Stellungnahmen von Verbänden und Fachgesellschaften zum BIPAM geben. Die im Frühjahr neu gegründete Fachgesellschaft des ÖGD, die DGÖG, hat nun ihre Stellungnahme veröffentlicht.

    Sie spricht einige wichtige Punkte an, z.B. die Notwendigkeit, einen Health in all Policies-Ansatz zu verfolgen oder die Kinder und Jugendlichen nicht aus dem Auge zu verlieren.

    Insgesamt wirkt sie allerdings etwas mit der heißen Nadel gestrickt. Den ÖGD “als stärkstes Praxisfeld von Public Health” zu bezeichnen, trifft weder die Wirklichkeit noch passt es zu dem im ÖGD zu Recht jahrelang beklagen Kaputtsparen des ÖGD, der oft genug auch seinen traditionellen Pflichtaufgaben etwa in der Krankenhaushygiene oder bei den Schuleingangsuntersuchungen nicht mehr nachkommen konnte, geschweige denn maßgeblich moderne Public Health-Konzepten umzusetzen in der Lage war.

    Und warum die Stellungnahme ausgerechnet mit dem Bild eines Herzmodells in einer Hand geschmückt wurde, wenn danach die medizinische Fokussierung des neuen Instituts kritisiert wird? Ein menschliches Organ als Bild für den Kern von Public Health passt nicht wirklich, es sei denn, man will damit sagen, dass das Herz von Public Health in Deutschland nicht schlägt.

    Dessen ungeachtet sollte das BMG die Stellungnahme ernst nehmen, die Kritik der DGÖG ebenso wie ihr Kooperationsangebot.

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  37. #49 Joseph Kuhn
    30. Oktober 2023

    „Reset“ gefordert:

    Thomas Götz, Vorstandsmitglied von KLUG und bis Anfang des Jahres Staatssekretär in Berlin sowie Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen, kritisieren grundlegende Mängel des BIPAM-Konstrukts und fordern ein „Reset“ des ganzen Vorhabens:

    “Es ist Zeit für das BMG, die zahlreichen fachlichen Stellungnahmen zum BiÖG zur Kenntnis zu nehmen und beim BIPAM den Button „reset“ zu bestätigen.”

    https://www.gerechte-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/inhalte/23-10-Rosenbrock_Goetz_final.pdf

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  38. #50 Joseph Kuhn
    31. Oktober 2023

    Jürgen Windeler zur Lauterbachschen “Vorsorgemedizin”

    Im “Observer” ist heute ein lesenswerter Kommentar “Der Check heiligt die Mittel” von Jürgen Windeler, dem früheren IQWIG-Chef, zum neuen evidenzbefreiten Hype um mehr “Vorsorgemedizin” erschienen – erfreulicherweise ohne Paywall.

    Ich hätte ja die Überschrift “Der Scheck heiligt die Mittel” auch gut gefunden, aber das wäre vielleicht doch eine Prise zu viel Polemik gewesen. So manche Früherkennung ist schließlich gut und hilfreich, man hätte nur gerne Daten, wie Nutzen und Risiken für unterschiedliche Personengruppen jeweils aussehen, denn alle haben unerwünschte Nebenwirkungen. Prävention ist nicht immer gut, Früherkennung auch nicht.

    ———-
    Nachtrag 2.11.2023: Heute hat auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin eine Stellungnahme veröffentlicht, die den Ansatz Lauterbachs von Grund auf kritisiert.

    Lauterbach will seine Initiative zur Herzkreislauf-Prävention durch das BIPAM begleiten lassen. Wird das Institut dann die Daten liefern müssen, die zum Lauterbachschen Ansatz passen? Das wäre das Ende der Glaubwürdigkeit der amtlichen Gesundheitsberichterstattung. Besser wäre, das IQWIG würde vorab mit einer Prüfung der Evidenz beauftragt.

  39. #51 Joseph Kuhn
    3. November 2023

    Die nächste Kritik an der BIPAM-Konstruktion

    Im Ärzteblatt ist heute die nächste Kritik erschienen, von einer Ärztegruppe aus dem Umfeld der DGÖGB: https://www.aerzteblatt.de/archiv/235096/Bundesinstitut-fuer-Praevention-und-Aufklaerung-in-der-Medizin-Deutschlands-Sonderweg

    Die Kritikpunkte wiederholen sich inzwischen. Hoffentlich höhlt der stete Tropfen den Stein.

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  40. #52 uwe hauptschueler
    9. November 2023

    Organisatorisch ist es problematisch, das BIPAM als Bundesbehörde direkt an das BMG anzubinden. Wenn das BIPAM dem BMG weisungsgebunden untersteht, ist davon auszu­gehen, dass politisch opportune, aber wissenschaftlich fragliche Maßnahmen gegenüber politisch unbequemen, aber inhaltlich richtigen Vorschlägen bevorzugt werden.

    aus:+https://idw-online.de/de/news823630

  41. #53 zimtspinne
    9. November 2023

    Auf politischer Ebene und über politische Wege muss das Thema Prävention & Aufklärung aber angegangen werden.

    Wissenschaftliche Erkenntnisse liegen längst vor und sind allen bekannt.

    Die Politik muss endlich an heiße Eisen ran, beispielsweise an die Lebensmittelindustrie von A bis Z.
    Also von Agrarwirtschaft über Werbeindurstrie bis Zara Discounter.

    Die nicht mehr ganz so neue Nutri-Score-Kennzeichnung auf Lebensmitteln, natürlich wieder eine basierend auf den üblichen opportunistischen Selbstverpflichtungen (etwas anderes traut man sich ja in D nicht), ist auch eher ein Rohrkrepierer als hilfreich.
    Diese Lebensmittelampel, und wie die Lebensmittelindustrie sich dort erfolgreich heraustrickst, wäre ein spannendes Thema für sich.

    Wir brauchen dort auch keine umfassende Forschung mehr, wie gesundheits- und lebensverkürzend moderne Ernährungs- und Lebensgewohnheiten vieler Menschen sind. Forschung ist natürlich immer richtig und wichtig, damit das nicht falsch verstanden wird. Aber die Grundlagenforschung ist durch.

    Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass die Tabakindustrie nicht etwa Erfinder der altbekannten Tricks, Kniffe und Betrügereien war, sondern sie lernten von der Lebensmittelindustrie.
    Die hatte bereits alles, was später Big Tobacco im Repertoire hatte, als Vorreiter ausprobiert und praktizieren es übrigens auch bis heute (im Gegensatz zur Tabakindustrie, die mit ihren Mythen und Märchen nicht mehr durchkommt).

    • #54 Joseph Kuhn
      9. November 2023

      @ zimtspinne:

      Könnten Sie Quellen über eine systematische Wissenschaftsleugnung der Lebensmittelindustrie vor 1954 (dem legendären Treffen der Tabakleute mit Hill&Knowlton) angeben? Wäre hilfreich, danke.

  42. #55 zimtspinne
    9. November 2023

    Für den letzten Satz suche ich nochmal was raus, falls ich es finde. Ist eine Weile her, dass ich tiefer in die Materie “Tabak- und Lebensmittelindustrie und ihre Verwandtschaft”) eingetaucht war.

    Trotz allem haben wir doch schon Fortschritte gemacht, wenn man sich diese alten Werbespots in schwarz-weiß anschaut:

    :))

    http://www.youtube.com/watch?v=g8JJ6QELpnw

    http://www.youtube.com/watch?v=bnKLpO9qhOE

    [Links editiert, JK]

  43. #56 zimtspinne
    9. November 2023

    @ JK

    ja, hatte ich eh vor, siehe voriger Post.
    War meiner Erinnerung nach Kanada, die dort gebuddelt hatten, und es ging vor allem um gekaufte & korrupte Wissenschaftler und auch deren Hin- und Herswitchen von Forschung in die Industrie und wieder zurück. Auch vormals interne Dokumente wurden ausgegraben bzw präsentiert, ähnlich den offengelegten aus der Tabakindustrie.
    Es ging dabei zwar auch insgesamt um die Lebensmittelindustrie, aber es ist sehr viel schwieriger zu betrachten, da Tabakprodukte nicht ganz mit Lebensmitteln, also den Makronährstoffen vergleichbar sind.
    Zucker ist ja nicht per se mit dem ersten Gramm schädlich, wie Tabakrauchen mit dem ersten Zug.
    Trotzdem gibt es Parallelen und es ging dort wie gesagt nicht pauschal um die ganze Branche, sondern speziell um den Zucker und seine Etablierung und Vermarktung als Milliardengeschäft.

  44. #57 Joseph Kuhn
    9. November 2023

    Die nächste Kritik

    Der Reigen der kritischen Kommentare zum BIPAM und zum Impulspapier zur Herzkreislauf-Prävention gehen weiter. Das EBM-Netzwerk moniert auch die nun schon vielfach benannten Problemstellen: https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/nachrichten/evidenz-statt-aktionismus

    Die bisherigen Kommentare zum BIPAM kann man so zusammenfassen: In der Fachöffentlichkeit durchgefallen.

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  45. #58 Joseph Kuhn
    10. November 2023

    Kurz und knapp

    Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin hatte schon vor gut 2 Wochen Lauterbach persönlich angeschrieben – kurz aber mit klarer Botschaft:

    “Die uns bekannte Konzeption des BIPAM erscheint uns bislang (…) als zu Krankheits- bzw. Organ-bezogen gedacht. Präventionsmaßnahmen sind umso wirkungsvoller, wenn sowohl die jeweiligen sozialen Kontexte für Gesundheit und Krankheit adäquat berücksichtigt werden als auch die Präventionspfade und Versorgungswege einfach und übergreifend angelegt sind.”

    ———–
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005

  46. #59 Joseph Kuhn
    12. November 2023

    Fachliche Kritik in unguter Gesellschaft?

    Das Portal “Apollo News”, das primär ein rechtspopulistisches Milieu adressiert, beobachtet die Kritik am BIPAM-Konstrukt: https://apollo-news.net/rki-entmachtung-lauterbachs-dubiose-plaene-fuer-eine-neue-praeventionsbehoerde/

    Der Artikel ist sachlich gehalten und zitiert im Grunde nur die vorliegenden Stellungnahmen.

  47. #60 Joseph Kuhn
    15. November 2023

    Konsenspapier aus der Public Health-Community

    Heute hat das Zukunftsforum Public Health gemeinsam mit mehr als einem Dutzend (!) Fachgesellschaften und Verbänden eine Stellungnahme veröffentlicht, die die zentralen Probleme des BIPAM-Konstrukts, z.B. die fehlende Einbettung in eine Public Health-Strategie, die Trennung von Infektionskrankheiten und anderen Krankheiten oder die fehlende Evidenzbasierung der bekannt gewordenen Schwerpunkte noch einmal benennt und eine Korrektur fordert.

    In einem Interview in der WELT hat Lauterbach mit Blick auf sein Impulspapier zur Herzkreislauf-Prävention gestern gesagt, alle Fachgesellschaften würden an einem Strang ziehen. Das stimmt zwar nicht, DEGAM, das EBM-Netz oder die DGAUM haben das Papier ja unmissverständlich kritisiert, aber im Falle des BIPAMs stimmt es: Hier ziehen praktisch alle Fachgesellschaften an einem Strang, nur in die andere Richtung als Lauterbach es möchte.

    Ob er in der Lage ist, die Kritik anzunehmen und die nächsten Schritte gemeinsam mit den Akteuren im Public Health-Bereich zu gehen, wird man sehen.

    ——
    Nachtrag 16.11.2023: Schnelle Reaktion im Tagesspiegel background, mit Verweis auf einen informellen Referentenentwurf zum BIPAM-Gesetz: https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/vier-schwerpunkte-drei-kritikpunkte

    ——
    Eine fortgeschriebene Liste aller mir bekannten relevanten Statements zum Bundesinstitut findet sich hier: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/02/18/das-bundesinstitut-fuer-oeffentliche-gesundheit/#comment-119005