Nach vielen Ankündigungen, vielen Stellungnahmen von Verbänden und Fachgesellschaften und vielen Gerüchten hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach heute die grundlegenden Entscheidungen zum Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit auf der Bundespressekonferenz verkündet:
1. Das neue Institut soll „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) heißen und zum 1.1.2025 an den Start gehen. Der Errichtungsbeauftragte Dr. Nießen wird das neue Institut aufbauen und die alte BZgA abwickeln.
2. Das RKI wird im Wesentlichen auf Infektionskrankheiten beschränkt, die im Aufbau befindliche KI-Abteilung bleibt beim RKI. Neuer Präsident des RKI wird Prof. Schaade, der bisherige Vize-Präsident.
3. Das neue BIPAM soll sich auf Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen konzentrieren und dazu Daten erheben und Maßnahmen vorschlagen.
4. Der Haushalt des BIPAM wird noch verhandelt.
Zum Hintergrund hat Lauterbach erläutert, das Gesundheitswesen in Deutschland sei vergleichsweise teuer, trotzdem sei die Lebenserwartung nur europäisches Mittelmaß und die sozialen Unterschiede bei der Lebenserwartung seien groß. Ein Grund dafür sei, dass die „Vorbeugemedizin“ in Deutschland nicht ausreichend sei. Hier solle das neue Institut mit den drei Schwerpunkten Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen helfen, diese würden mehr als 75 % der Sterbefälle in Deutschland ausmachen.
Dem BMG ist mit den genannten Punkten eine Überraschung gelungen. Mit so einem Konstrukt haben vermutlich nicht viele gerechnet. Man wird abwarten müssen, was daraus wird und welche konkrete Rolle es im Public Health-Bereich spielen wird. Dass die Prävention gestärkt werden soll, ist ein Ziel, das man nur begrüßen kann. Aber vieles an dem BIPAM-Konstrukt ist recht befremdlich.
Sprachlich fällt auf, dass ein „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ einem Public Health-Anspruch schon vom Titel her nicht gerecht wird. Die Medizin leistet natürlich einen wichtigen Beitrag zu Public Health, aber die WHO spricht nicht umsonst von „Health in all Policies“. Public Health und Prävention sind ressortübergreifende Aufgabenstellungen. Möglicherweise hat Lauterbach die Engführung „in der Medizin“ bewusst gewählt, weil er im Kabinett keinen ressortübergreifenden Public Health-Ansatz erreichen konnte – oder es vielleicht gar nicht versucht hat.
Der Begriff „Vorbeugemedizin“ ist nicht nur antiquiert, auch hier ist wieder nur die Medizin angesprochen. Bewusst oder nicht, man weiß es nicht.
Die Auswahl von drei Krankheiten als prioritären Handlungsfeldern, statt der Adressierung von Risikofaktoren, könnte ebenfalls Ressortzuständigkeiten geschuldet sein. Für Krankheiten ist das BMG zuständig, für die zugrunde liegenden Risikofaktoren nur teilweise, und vor allem da, wo das Gesundheitsverhalten adressiert wird. Bei den Verhältnisfaktoren, z.B. der sozialen Lage, der Umwelt, den Arbeitsbedingungen, dem Verkehr, der Bildung usw., sind andere Ressort betroffen und wären einzubeziehen. Die haben ihre eigenen „Präventionsbehörden“, wie die BAUA oder das UBA.
Die Aussage Lauterbachs, auf die drei Krankheitsgruppen entfielen „mehr als 75 %“ der Sterbefälle in Deutschland, ist sachlich falsch. Im Jahr 2021 waren es 62 %. Der Anteil der drei Krankheitsgruppen an allen Sterbefällen geht kontinuierlich zurück. 75 % waren es im Jahr 1998. Grund für den abnehmenden Anteil ist die rückläufige Zahl der Sterbefälle infolge von Herzkreislauferkrankungen.
Ob man für eine Prioritätensetzung in der Prävention überhaupt die Sterbefälle nehmen sollte, darüber lässt sich trefflich streiten. Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen sind – im statistischen Durchschnitt – typische Alterserkrankungen. Ist ihr Anteil hoch, bedeutet das auch, dass die Menschen im Durchschnitt recht alt werden. Für die Prävention wären andere Parameter zielführend, z.B. die verlorenen Lebensjahre. Krebs und Herzkreislauferkrankungen wären hier zwar immer noch vorn, aber dann kämen beispielsweise auch die Unfälle ins Blickfeld. Wieder eine Frage der Ressortzuständigkeit? Oder geht es am Ende auch darum, dass Krebs, Demenz und Herzkreislauferkrankungen höchst interessante Felder für die Pharmaindustrie sind? Dazu passt, dass Lauterbach mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz für Forschungszwecke auch den Zugriff der Pharmaindustrie auf die Daten der Krankenversicherung erleichtern will. Das wäre immerhin ein konsistenter Ansatz, wenn auch nicht aus Public Health-Sicht. Aber das ist zugegebenermaßen Kaffeesatzleserei und vielleicht tut man dem ganzen Vorhaben damit Unrecht. Man wird sehen.
Das RKI ist seine – auch vom Bundestag 2007 bestätigte – Rolle als Public Health-Institut los, zumindest was die themenübergreifende Perspektive betrifft. Es ist wieder wie vor hundert Jahren auf ein Institut für Infektionskrankheiten zurückgeschnitten. Dabei hat die Coronakrise eigentlich unmissverständlich klar gemacht, dass Infektionskrankheiten immer die Gesellschaft als Ganzes betreffen und als Public Health-Herausforderungen, nicht nur als Infektionsschutzaufgabe, verstanden werden müssen.
Problematisch ist der Übergang der Epidemiologie nichtübertragbarer Krankheiten vom RKI an das neue BIPAM. Das RKI soll dem Koalitionsvertrag zufolge künftig „wissenschaftlich unabhängig“ arbeiten, das BIPAM wird eine dezidiert politische Behörde. Die Erhebung und Auswertung von epidemiologischen Daten wäre daher besser beim RKI verblieben. Warum die im Aufbau befindliche KI-Abteilung beim RKI verbleibt, ist unklar, vielleicht wird auch sie auf Infektionskrankheiten fokussiert.
Wie schon absehbar, wird das neue Institut aus dem Bestand von BZgA und RKI aufgebaut. Ob damit mehr Power für die Prävention generiert werden kann und eine substanzielle Ressourcenstärkung folgt, bleibt abzuwarten. Der Haushalt des neuen Instituts muss im nächsten Jahr mit dem Finanzminister verhandelt werden – sofern diese Bundesregierung bis dahin noch existiert.
Insgesamt fällt auf, dass die vielen Stellungnahmen der Verbände und Fachgesellschaften praktisch keine Spuren in der Konzeption des neuen Instituts hinterlassen haben. Die Konzeption wurde auch nicht mit den Ländern oder den im Public Health-Bereich aktiven Fachgesellschaften diskutiert. Vielleicht waren vertraulich einzelne Personen eingebunden, aber ein Public Health-Institut hätte man besser nicht in einer Geheimoperation vorbereitet.
Man wünscht dem Errichtungsbeauftragten viel Glück. Möge er das Beste aus der Sache machen, damit es am Ende nicht zu der bitteren Diagnose kommt, Operation geglückt, Patient tot.
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