In der Kryptologie gibt es viele merkwürdige Bücher. Man denke etwa an das Voynich-Manuskript, den Codex Rohonci oder die diversen Bücher, die ich selbst geschrieben habe ;-). Das ohne Zweifel seltsamste kryptologische Werk ist jedoch ein anderes: der Codex Seraphinianus.
Der Codex Seraphinianus ist ein komplett verschlüsseltes Buch, das bisher niemand dechiffrieren konnte. Es ist voll von verstörenden Bildern: zwei Menschen beim Geschlechtsverkehr, die sich in ein Krokodil verwandeln, Blumen mit unterirdischen Blüten, schwimmende Bäume, Mischwesen aus Mensch und Gegenstand, Totenköpfe, Skelette, aufgehängte Leichen – um nur einige der Skurrilitäten zu nennen. Das berühmte Voynich-Manuskript mit seinen seltsamen Illustrationen wirkt dagegen geradezu wie eine trockene Alltagsbeschreibung.
Doch warum ist dieses durchgeknallte Buch nicht längst ein kryptologisches Rätsel von Weltrang? Weil es dazu noch zu jung ist. Der Codex Seraphinianus stammt aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts und ist damit kein Buch für Historiker, sondern ein Stück moderne Kunst. Oder wie der Online-Buchhändler AbeBooks schreibt: „Eine einzigartige und aufwühlende surreale Parodie. Grotesk und wunderschön.“
Schöpfer des Codex Seraphinianus ist der italienische Künstler Luigi Serafini. Dieser hat dieses ungewöhnliche Werk zwischen 1976 und 1978 geschaffen. Es umfasst etwa 360 Seiten. Inzwischen werden für die diversen Druckausgaben Liebhaberpreise von mehreren Hundert Euro bezahlt. Etwas billiger ist es, wenn Sie sich den Codex Seraphinianus im Internet anschauen, zum Beispiel bei Flickr.
Einen guten Überblick zum Codex Seraphinianus gibt ein 2007 erschienener Artikel. Der Autor Justin Taylor schaffte es sogar, mit dem Künstler Luigi Serafini in Kontakt zu treten. Serafini sendete ihm eine einzige E-Mail zurück. Danach meldet er sich nicht mehr. Ausführlichere Informationen gibt es auf der Web-Seite von Kane X. Faucher. Auch auf YouTube ist der Codex Seraphianus gut vertreten, zum Beispiel mit dem folgenden Video:
Der Codex Seraphinianus ist wie eine illustrierte Enzyklopädie aufgebaut. Die Bilder zeigen sehr unterschiedliche Motive: Menschen, Tiere, Pflanzen, Landkarten, Diagramme – allesamt in verstörender, surrealistischer Darstellung. Als Vorbild ist das Voynich-Manuskript klar zu erkennen.
Der Codex Seraphinianus ist in einer Geheimschrift verfasst. Der Autor hat sie selbst erfunden. Die Schrift ähnelt den in Europa bekannten Schriften und wird von links nach rechts notiert. Groß- und Kleinschreibung werden unterschieden, zudem gibt es Ziffern. Das im Buch verwendete Zahlensystem ist vermutlich eine Variante von Base 21. Bisher konnte niemand die Verschlüsselung des Codex Seraphinianus knacken – falls dies überhaupt möglich ist.
Leider ist über die kryptologischen Eigenschaften des Codex Seraphinianus wenig bekannt. Es gibt bisher keine Transkription. Der erwähnte Kane X. Faucher berichtete auf seiner Web-Seite, dass er ein paar statistische Untersuchungen durchgeführt hat, ohne dass er dabei entscheidend weitergekommen wäre.
Es gibt also noch genügend Raum für kryptologische Forschung im Zusammenhang mit dem Codex Seraphinianus. Aber lohnt es sich überhaupt, dieses Buch zu entschlüsseln? Etwas Sensationelles wird ja wohl kaum drin stehen. Doch getreu dem Motto “Because it is there” kann man sicherlich auch dieses Kryptogramm angehen. Für mich ist der Codex Seraphinianus jedenfalls Platz 22 in meiner Top-25-Liste. Wenn es um das skurrilste Kryptogramm ginge, wäre er sogar auf Platz 1.
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