Die Schachweltmeisterschaft ist entschieden. Grund genug, dem spannenden Thema Schach und Steganografie eine Miniserie zu widmen.
„Deutschland hat ein neues Genie“, hieß es in einem Spiegel-Artikel im Jahr 1999. „Neben Goethe, Beethoven und Einstein wird demnächst Clemens Allwermann als Spitzenkraft teutonischen Denkertums zu weltweitem Ruhm gelangen.“ Anlass für diese (ironisch gemeinte) Aussage war der unerwartete Erfolg des Kreisklasse-Schachspielers Allwermann bei einem mit Großmeistern besetzten Turnier. Mit seinem geteilten ersten Platz stieß der Allgäuer zu den besten 40 Spielern der Welt vor.
Lange konnte sich Allwermann jedoch nicht über seinen Coup freuen. Noch während des Turniers fiel auf, dass die Züge des Hobby-Spielers denen des Computer-Schachprogramms Fritz verblüffend ähnelten. Erstaunlich war auch, dass Allwermann bei seinem Sieg gegen Großmeister Sergej Kalinitschew ein Matt in acht Zügen angekündigt hatte – auch dies sah stark nach Fritz aus. Für Fachleute war nun klar: Allwermann hatte seiner Spielstärke mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen.
Denkbar war etwa, dass Allwermann einen Komplizen in Publikum hatte. Dieser könnte ihm mit Hilfe eines Finger-Codes den jeweils besten Zug mitgeteilt haben, den er selbst von einem Computer in der Tasche bezog. Mit anderen Worten: Möglicherweise hat Allwermann Steganografie genutzt. Inzwischen gilt jedoch eine andere Variante als wahrscheinlicher: Vermutlich verwendete Allwermann ein Handsprechfunkgerät (mit einem in der Krawatte verborgenen Mikrofon), über das er einem Komplizen die Züge seines Gegners mitteilte. Dadurch wurde auch klar, warum Allwermann während seiner Spiele immer wieder vor sich hin gemurmelt hatte. Der Helfer, der sich vermutlich in einem Hotelzimmer befand, ließ das Fritz-Programm einen geeigneten Zug berechnen, den Allwermann anschließend mit Hilfe eines unter seinen langen Haaren versteckten Mini-Ohrhörers entgegennahm. Auch diese Methode gehört in den Bereich der Steganografie. Ein Ermittlungsverfahren wurde zwar mangels Beweisen eingestellt, doch der Bayerische Schachbund verhängte eine Sperre gegen Allwermann.
Der Fall Allwermann zeigt: Ein verstecker (also steganografischer) Kommunikationskanal zu einem Komplizen kann im Schach eine wirkungsvolle Waffe sein. Ein weiterer Fall, der sich einige Jahre später abspielte, bestätigt dies. Dieses Mal machte der indische Schachspieler Umakant Sharma durch spektakuläre Erfolge auf sich aufmerksam. „Nicht einmal Viswanathan Anand hat sich so schnell entwickelt“, staunte der Präsident des indischen Schachverbands. Sharma wurde jedoch überführt, bei einem Turnier einen Bluetooth-Empfänger unter seiner Wollmütze verborgen gehabt zu haben. Daher wurde er Ende 2006 für zehn Jahre gesperrt.
Im Januar 2013 berichtete der Spiegel erneut über mutmaßliche steganografische Betrügereien im Schach. Dieses Mal war der bulgarische Hobby-Spieler Borislav Ivanov der Verdächtige, nachdem dieser bei einem Turnier im kroatischen Zadar “wie ein Großmeister, an der Grenze zum Niveau der Weltspitze” (Spiegel) aufgetrumpft hatte. Ivanov ließ sich anschließend auf eine Untersuchung seiner Kleidung ein – man fand nichts. Ein Großmeister spekulierte anschließend, der Bulgare könne die Informationen mit Hilfe eines “unter die Haut oder in einen Zahn implantierten Chips” erhalten haben – auf diese Anwendung eines Chip-Implantats bin ich bisher nicht gekommen. Auch eine Minikamera und ein im Gehörgang platzierter Empfänger erschien einigen Beobachtern möglich. Doch so kompliziert muss man laut Spiegel-Artikel gar nicht denken. “Das einfachste ist die Drei-Personen-Methode. Einer sitzt am Brett, einer im Hotel mit einem Rechner und einer im Publikum. Der Mann im Hotel gibt dem Mann im Publikum die Züge durch, und der gibt diese per Zeichen [also per steganografischem Code] weiter”, mutmaßte André Schulz, Redakteur der Web-Seite Chessbase.de.
Ivanov setzte seine Siegesserie nach dem Spiegelartikel fort – aber nicht lange, denn schon bald weigerten sich andere Schachspieler gegen den vermeintlichen Betrüger anzutreten. Der US-Großmeister Maxim Dlugy vermutete, dass der Trick nicht auf Steganografie basierte, sondern dass Ivanov ein Smartphone im Schuh versteckt hatte. Hier beschreibt er, wie das funktioniert haben könnte. Im Oktober 2013 gab Ivanov schließlich seinen Rücktritt aus dem Wettkampfschach bekannt.
Kommentare (11)