Im Jahr 1783 verschickte der britische Botschafter in Frankreich einen verschlüsselten Brief. Wer kann den Code knacken?
Zu den langweiligsten Arbeiten, die ich in den letzten Monaten erledigt habe, gehörte das Durchblättern sämtlicher Ausgaben der NSA-Zeitschrift Cryptolog. Diese wurden letztes Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Von über 1000 Artikeln erwiesen sich allenfalls fünf als lesenswert für mich. Immerhin sind diese so interessant, dass sich die Arbeit gelohnt hat. So kamen etwa die Altar-Inschriften von Moustier und zwei verschlüsselte Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg auf diese Weise zum Vorschein.
In Ausgabe 109 der Cryptolog entdeckte ich eine weitere spannende Geschichte. Es geht um einen Lord Manchester, seines Zeichens britischer Botschafter in Frankreich, der 1783 einen verschlüsselten Brief an einen unbekannten Empfänger schickte. Hier ist die erste Seite des Briefs (eine höhere Auflösung und eine Transkription gibt es auf einer eigenen Seite zu diesem Thema):
Und hier die zweite Seite:
Der Autor des Cryptolog-Artikels konnte mit dem Manchester-Kryptogramm offensichtlich wenig anfangen. Er stellte lediglich fest, dass die Verschlüsselung so ähnlich aussah wie eine, die US-Präsident Thomas Jefferson verwendete. Wer sich etwas auskennt in der Verschlüsselungsgeschichte, erkennt jedoch sofort, dass es sich hier um einen Nomenklator handelt. Ein Nomenklator sieht für jeden Buchstaben des Alphabets sowie für wichtige Wörter je eine Zahl (oder eine Buchstabengruppe vor). Um eine Häufigkeitsanalyse zu erschweren, kann der Verschlüssler bei manchen Nomenklatoren zwischen mehreren Zahlen für denselben Buchstaben wählen. Wenn ein Nomenklator besonders viele Einträge umfasst, spricht man von einem Codebuch. Wo genau der Übergang zwischen einem Nomenklator und einem Codebuch liegt, ist nicht festgelegt, man könnte die Grenze bei etwa 1000 Einträgen ziehen.
Codebücher und Nomenklatoren waren ab dem 14. Jahrhundert bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Gebrauch. Sie sind vermutlich die meistverwendete Form des Verschlüsselns der Vor-Computer-Zeit überhaupt. Frühe Codebücher und Nomenklatoren lassen sich heute meist lösen (ein Beispiel ist der Mann mit der Eisernen Maske), doch ab etwa 1800 erreichte diese Technik eine Qualität, bei der auch heutige Codeknacker oft passen müssen. Ungelöste Codebuch- bzw. Nomenklator-Nachrichten sind etwa das Seidenkleid-Kryptogramm oder das van-Gelder-Kryptogramm. Auch das Ohio-Kryptogramm dürfte dazu gehören.
Ist das Manchester-Kryptogramm lösbar? Ich habe eine eigene Seite zu diesem Rätsel angelegt, auf der auch eine Transkription angegeben ist (Fehler und Ergänzungen nehme ich gerne entgegen). Mein erster Eindruck ist, dass es im Kryptogramm nur wenige Zahlen gibt, die mehrfach vorkommen. Das macht die Sache sehr schwierig. Vielleicht findet ein Leser trotzdem einen Ansatz. Auch über den historischen Hintergrund des Briefs kann man sicherlich noch mehr herausfinden. Über entsprechende Kommentare im Diskussionsforum würde ich mich freuen.
PS: Wer ein etwas leichteres Krypto-Rätsel sucht und damit ein Exemplar meines Buchs Nicht zu knacken gewinnen will, klicke hier (das Rätsel findet sich am Ende des Newsletters).
PPS: Wer mich einmal persönlich treffen will, kann dies am 11. März bei der Java User Group in Hamburg tun. Dort halte ich einen Vortrag mit dem Titel Kryptologie, die NSA und der ganze Rest.
Kommentare (1)